OKI-Logo Symposion über
Vladimir Solov’ev




Viktor Bychkov
Moskau

Die historische Weiterentwicklung der Sophiologie von Vladimir Solov’ev

Die Idee und die Gestalt der Sophia standen im Zentrum der Philosophie, der Dichtung und des Lebens von Vl. Solov’ev. Seine Sophiologie öffnete eine neue und hell leuchtende Seite in dieser neuorthodoxen Lehre, die im 20. Jahrhundert durch P. Paul Florenskij und P. Sergej Bulgakov geistvoll weitergeführt wurde.

Sophianische Intuitionen wurden in früher Jugend in der Seele von Solov’ev wachgerufen und sie drangen schrittweise in seine vielseitigen künstlerisch-philosophischen Konzeptionen ein, sie krönten seine Philosophie der Alleinheit und sie inkarnierten sich in seiner religiösen Sehnsucht nach einer idealen Universalen Kirche einer vollkommenen menschlichen Gemeinschaft.

Es zeigen sich drei Grund-Etappen in der Entwicklung dieser Konzeption:

Die 1. – eine romantisch-poetische in den Jahren 1875-1876

Die 2. – eine philosophisch-kosmogonische, die ihre vollkommenste Darlegung in den "Vorlesungen über das Gottmenschentum" fand (1877-1881)

Die 3.– eine kosmo-eschatologische, ausführlich beschrieben in dem Werk "Russland und die universale Kirche" (im Jahre 1889 in französischer Sprache herausgegeben). Jede der folgenden Etappen negierte nicht die vorhergehende, sondern baute darauf auf, was dazu führte, dass sich dadurch manche sehr schwierige und nicht eindeutige philosophisch-poetisch-theologische Formulierungen ergaben, die sich sowohl an den Verstand wandten, als auch an das ästhetische und religiöse Empfinden der Menschen, die die Sophiologie Solov’evs aufnehmen wollten.

Die erste Etappe der jugendlichen Meditationen über die Sophia liegt im Zeitraum des intensiven geistig-geistlichen Suchens des jugendlichen Denkers. Damals machte er sich vertraut mit dem Neuplatonismus, den gnostischen Lehren, der Kabbala, der Magie; er besuchte spiritistische Sitzungen, viele theosophische Ideen fanden seine Zustimmung, die Lehre von J. Boehme, von Svedenborg, die Philosophie Schellings. Seine Seele war offen für mystische Erfahrungen, er hörte oft Rufe anderer Welten; und die Manuskripte dieses Zeitraums sind nach S. H. Solov’ev "durchsetzt von Mediums-Gedanken. In dieser Zeit ist Solov’ev überzeugt, dass er durch ‘Medium-Schreiben’ Offenbarungen über himmlische Geister erhält und auch über Sophia selbst. Zum größten Teil sind diese Offenbarungen auf französisch geschrieben und haben als Unterschrift ‘Sophia’ oder griechisch Sojia (1). In ‚Album Nr. 1’ seiner ersten Auslandsreise ist sein gnostisch-kabbalistisches Gebet zu den geistig-geistlichen Wesen, in dem er sich auch an Sophia wendet, der er "Allheilige" und "wesentliches Bild der Schönheit", "die Süße des überweltlichen Gottes", "der leuchtende Leib der Ewigkeit, die Seele der Welten" nennt (XII 149).(2).

Aus dem Jahr 1876 ist ein Manuskriptentwurf mit dem Namen "Sophie" (3) in französischer Sprache erhalten, in dem ein ziemlich ungeordneter Abriss des künftigen Systems Solov’evs gegeben wird. Der Aufsatz ist in Form eines Dialogs geschrieben, in dem auf die Frage des Philosophen die Sophia selbst die grundlegenden Linien dieses Systems darlegt.

Der künftige Philosoph musste nur weiterdenken und sie noch klarer darlegen.

Zwei Jahre vor seinem Tod kam auf Solov’ev plötzlich die Notwendigkeit zu, der Welt von dem Verborgenen zu künden, das seine unruhige Seele im Laufe seines ganzen kurzen Lebens als Philosoph und Dichter belebte, was geistig-geistlich sein ganzes Schaffen nährte. Er schrieb ein nicht sehr langes Gedicht, in dem er "in scherzhaften Strophen" wie er selbst bemerkt, "das Bedeutsamste von dem, was bisher mit mir im Leben geschehen ist" (XII 86) darlegt. Dieses "Bedeutsamste" waren drei Erscheinungen der Sophia, die ihm zuteil wurden, die er jedoch nirgends mit Namen nennt ("Ewige Freundin, dich nenne ich nicht"). Der scherzhafte Ton des Gedichts "Drei Begegnungen", der sich mehr auf die lebendige Umrahmung der Visionen bezieht, unterstreicht noch ihre ungewöhnliche Heiterkeit (Klarheit), ihre romantische Erhabenheit, ihre geistig-geistliche Bedeutung und Ernsthaftigkeit. Andererseits tritt sie als Schutzschild und Abschirmung gegen Skepsis und Hohn auf und gegen die positivistische und rationalistische Stimmung der wissenschaftlich-intellektualisierten Gesellschaft von damals – um nicht als geistesgestört oder als Dummkopf zu gelten – argumentierte der bedeutendste russische Philosoph. Die scherzhafte Form der Darlegung zielt nicht auf eine bedingungslose Wahrhaftigkeit des Beschriebenen – wenn ihr wollt, glaubt oder nicht, aber wer Ohren hat zu hören, der höre. Das beachtete Solov’ev in dem Jahr auch, als er seine tief-intime Konzeption vom "Ewig-Weiblichen" in dem Gedicht "Das Ewig-Weibliche" (Ein Mahnwort an die Meeresgeister, XII 71-73) darlegte.

Die Scherzhaftigkeit bezieht sich auf jene "rauhe Schale der Dinge", unter der der beginnende Philosoph "anfing zu begreifen und das unvergängliche Porphyr und das Leuchten der Gottheit wahrnahm" (XII 85). Es erschien dem neunjährigen Jungen in der Kirche, dann dem 23jährigen jungen Mann zweimal im Britannischen Museum und in der Wüste Ägyptens eine wunderschöne Jungfrau, durchdrungen von "azurblauem, goldfarbigem", unirdischem Leuchten, mit "strahlendem Lächeln"

Im Purpurglanz des Morgenhimmels blühte
Ein Frühling auf, draus blicktest Du mich an.
Der helle Schein in Deinen Augen glühte
Wie einst das Licht am Tag, da Gott sein Werk begann.
Was ist, was war, was kommt in Ewigkeiten,
Lag vor dem Blick in reicher Vielgestalt:
Blau schimmern unter mir des Meeres Weiten,
Die weißen Bergeshöhn, der ferne Wald.
Ich sah das All, und alles war nur Eines,
War meiner ew’gen Freundin holdes Bild,
Und von dem Glanze dieses Himmelsscheines,
War alles um mich her und war mein Herz erfüllt.
(XII 84)

Von dieser "geheimnisvollen Schönheit" der Sophia war der "Lebens-Ozean" erfüllt, der junge Mann war unheilbar in sie verliebt, wie damals auch der junge Konstantin der Philosoph (der hl. Kyrill) ihr sein kurzes Leben weihte. Seit den ersten Jahren nach der Vision in Ägypten bis zum Lebensende meditierte er unaufhörlich über sie in seinen theoretischen Arbeiten und besang sie als göttliche Königin, als Geliebte in seinen Gedichten.

Das Schloss meiner Königin schimmert von Gold
Sieben Säulen tragen den Saal.
Am Diadem meiner Königin Hold,
glänzt Edelgestein ohne Zahl
(1875, XII,12)
Immakulata, schneeweiß, unbezwungen
Tief in Gedanken wie Mitt-Winternacht
Leuchtest du, dunkelem Chaos entsprungen
Hell doch wie Nordlicht in flammender Pracht
(1894, XII,43) u. a.

In diesen Gedichten tritt Sophia in der Gestalt einer sehr schönen Jungfrau auf, der "himmlischen Aphrodite", die personal die romantische Idee der "Ewigen Weiblichkeit" darstellt – der Muse und der Inspiration der Dichter und der Verliebten. Und viele russische Dichter Ende des XIX. – Anfang des XX. Jahrhundert ließen sich von diesem poetischen Bild Solov’evs inspirieren, besangen und entwickelten es in ihren Werken. Denken wir etwa an die "Verse über die schöne Dame" von Alexander Blok oder "Kubok metelej" von Andrej Belij.

Die visionäre und intim-poetische Erfahrung des jungen Philosophen mit Sophia bereicherte auch wesentlich seine theoretischen Arbeiten. Viele seiner poetischen Epitheten (Beiwörter) und Bilder, die die Dichtung von Vl. Solov’ev füllen, wurden in den theoretischen Arbeiten des Philosophen entfaltet, beginnend mit dem Traktat "La Sophia" in tiefer konzeptualer Darlegung, die gleichsam auf der dichterischen Gestalt der ganz schönen himmlischen Jungfrau aufbaut. Ihre leuchtende Gestalt schimmert immer durch das philosophisch-theologische Gebäude und erleuchtet es von innen her mit seinem warmen intimen Glanz und umgibt sie mit dem goldglänzenden Lazur-Blau.

Im Geiste der gnostisch-kabbalistischen Tradition wird in "La Sophia" dem weiblichen göttlichen Prinzip viel Aufmerksamkeit in der Gestalt der Welt-Seele gewidmet. In den verschiedenen Etappen des kosmogonischen Prozesses, die sie selbst auch hervorbrachte, stellt diese Seele den Geist des Bösen dar, dann ist sie lokalisiert in der lebensspendenden Schöpferkraft, dann aber auch als rückkehrend in das göttliche Element der Sophia. Nach der Überzeugung des jungen Solov’ev zeigt sich in der gegenwärtigen Etappe Sophia als subjektives Prinzip in Dichtung und Philosophie, besonders stark bei Jakob Boehme, Svedenborg, Schelling, d.h. sie erscheint als Inspiration der subjektiven mystisch-romantischen Tendenzen in Philosophie und Kunst. Ihre neue Inkarnation in Zukunft aber wird die ideale Universale Religion sein.

In den "Vorlesungen über das Gottmenschentum" entwickelt und ordnet Vl. Solov’ev die Ideen, die in "La Sophia" benannt sind. Hier wird die Weltseele praktisch identifiziert mit der Sophia als die Vergegenwärtigung des Logos im Universum als die Realisierung der Idee der kosmischen Alleinheit. Sophia wird dargestellt als "schon vollzogene Einheit" oder als "Einheit in der Erscheinung" im göttlichen Organismus Christi. Den Logos sah Solov’ev als das wirkende vollziehende Prinzip, das "die Vielheit der Elemente zu sich führt als dem Einen". Mit anderen Worten, der Logos stellt das Wesen Christi dar, die Sophia ist deren idealer Ausdruck, ihre wesenhaft gewordene Gestalt, die "wesenhaft gewordene Idee".

"Und wie der Seiende, obgleich er sich von seiner Idee unterscheidet, zugleich eins ist mir ihr, so ist auch der Logos, obwohl er sich von der Sophia unterscheidet, innerlich mit ihr verbunden. Die Sophia ist der Leib Gottes, ist die vom Prinzip der göttlichen Einheit durchdrungene Materie der Gottheit. Christus, der diese Einheit in sich trägt und sie verwirklicht, als ganzheitlich-göttlicher Organismus – universal und individuell zugleich – ist sowohl Logos als auch Sophia." (Aus "Vorlesungen über das Gottmenschentum") Die Sophia in Christus ist das ideale Prinzip der Menschheit oder des idealen ("normalen") Menschen in Ihm, der Ausdruck der uranfänglichen (ewigen) Teilhabe Christi am menschlichen Prinzip. "Sophia ist die ideale, vollkommene Menschheit, immer (ewig) eingeschlossen im ganzen göttlichen Sein oder in Christus" (121). Als solche beinhaltet sie potentiell alle lebenden Wesen, d.h. alle Seelen in sich, und sie verbindet sie alle mit sich in einer idealen Einheit. Indem sie in sich die Realisierung des göttlichen Prinzips darstellt, da sie ja sein Bild und Gleichnis ist, die uranfängliche Menschheit, oder die Seele der Welt, ist sie zugleich sowohl eins als auch alles; sie nimmt den vermittelnden Platz ein zwischen der Vielheit der Lebewesen, die ihren realen Lebensinhalt ausmachen, und ihrer absoluten Einheit mit der Gottheit, die das ideale Prinzip und die Norm dieses Lebens darstellt (III 140). Kraft dieser Besonderheit ihres Seins besitzt die Weltseele, oder Sophia, eine prinzipielle doppelte Wesenart (Doppelgesichtigkeit) – sie schließt in sich sowohl alles geschaffene Sein ein, als auch das göttliche Prinzip, das ihr das Freisein sowohl vom einen wie vom anderen gewährt. Sie offenbart sich als freies Subjekt des geschaffenen Seins, das die Freiheit selbständigen Wirkens besitzt, und zugleich unterwirft sie sich dem göttlichen Prinzip in ihrem schöpferisch-einheitsschaffenden Wirken, als dem Gegenstand ihres Lebenswillens. Die Weltseele erscheint als "göttliche Menschheit Christi", als idealer "Leib Christi" oder als Sophia und sie wird vom göttlichen Logos "gestaltet" und ihrerseits "gibt sie dem Heiligen Geist die Möglichkeit, sich in allem zu verwirklichen", d.h. die Idee zu verwirklichen, die im Logos enthalten ist. Indem sie in die göttliche Alleinheit eindringt, bemüht sie sich, diese in der Schöpfung zu realisieren – die Vielheit der unzähligen Geschöpfe zu etwas Vollendetem (Ganzen) zu vereinen. Aber da sie einen freien Willen hat, kann die (Welt)Seele sich auch auf sich selbst konzentrieren, unabhängig sein vom göttlichen Prinzip und ihre Funktion der Leitung der Geschöpfe als Vermittlerin zwischen ihnen und der Gottheit reduzieren. Dann wird die Schöpfung (was ja in der konkreten irdischen Geschichte geschieht) dem Abfall von der göttlichen Alleinheit preisgegeben und die ganze Schöpfung wird zur Sklaverei des Nichtigen und Vergänglichen gewendet.

Hier tritt die Weltseele, oder Sophia, in der Qualität des Prinzips (Anfangs) und Wesens auf, von dem die geschaffene Welt in ihrem kosmisch-sozialen irdischen Sein abhängt, mit Verlaub gesagt, sogar zum größeren Teil als (direkt) von Gott selbst. Denn sie (die Welt) wird sowohl geschaffen als auch gelenkt und zur Alleinheit geführt ausschließlich durch Vermittlung der Weltseele, von deren Willen es abhängt, als Vermittler zu fungieren oder nicht. Sophia (=Weltseele) erscheint hier praktisch in ihrem äußeren Erscheinungsbild als eigenverantwortliche und als relativ freie Künstlerin und Schöpferin, nachdem, so wie man sich einen Künstler der Ästhetik einer Neuen Zeit vorstellt, und besonders der Ästhetik des Romantizismus, die sich an der Richtung der Kultur des ausgehenden XIX. Jahrhunderts ausrichtete; eines Künstlers, der den göttlichen Willen – als Subjekt eines freien Schöpfertums – hervorbringt und erfüllt.

Schon am Beispiel der beiden ersten Etappen der Sophiologie Solov’evs sehen wir, wie die Gedanken des Philosophen sich konzentriert darauf richten, die vielen, gegensätzlichen Charakteristiken, Funktionen, das Wirken des weiblichen göttlichen Prinzips der Kosmogonie (5) in eine Gestalt und sogar in eine Persönlichkeit zusammen zu bringen, sie aber auch zu scheiden: zu unterscheiden zwischen zwei Wesen oder Prinzipien – der Weltseele und der Allweisheit. Diese Arbeit wird tatsächlich in der dritten Etappe geleistet – im Werk "Russland und die universale Kirche" und in einigen künstlerisch-ästhetischen Werken.

Wenn in "La Sophia", die Weltseele auf einer gewissen Etappe des kosmogonischen Prozesses gleichsam vervollkommnet und umgestaltet wird in die Sophia, so wird sie in den "Vorlesungen über das Gottmenschentum" faktisch in eins gesehen mit der Allweisheit, denn dort ist die Rede von dem gegenwärtigen Zustand des Universums, als schon die verwirklichte Menschheit existiert. In seiner letzten Phase seines schöpferischen Wirkens geht Solov’ev nun über zur gleichzeitigen Trennung von Weltseele und Sophia und ihrer dialektischen Vereinigung. Hier nun gewinnt eine Reihe von kosmogonisch-ästhetischer Gegensätze eine wichtige Bedeutung: Chaos – Kosmos, Hässlichkeit – Schönheit, Irrationales – Rationales, usw.

In Anlehnung an die schon im Altertum (besonders durch die Gnostiker) aufgestellten dualistischen Prinzipien und Archetypen des Seins, stellt Vladimir Solov’ev das Chaos als die negativ-potentialen Grundlagen der ganzen Weltgründung dar. In Gott ist uranfänglich "die Möglichkeit des chaotischen Seins" gegeben, welche fortlaufend durch Ihn verurteilt, unterdrückt und vernichtet wird. Trotzdem, "Gott liebt das Chaos auch in seinem Nichtsein, und Er will, dass dieses Letztere existiere". Er wird mit seinem Zustand immer fertig und deswegen "gibt er dem Chaos Freiheit (XI 293). Gerade mit dem Chaos verbindet jetzt Solov’ev die Weltseele. "Chaos, d.h. die negative Grenzenlosigkeit, der leuchtende Abgrund jeder Unverständigkeit und Hässlichkeit, die dämonischen Aufwallungen, die gegen alles Positive und Gebührende aufstehen, - das ist das tiefste Wesen der Weltseele und der Grund des ganzen Weltalls" (VII 126).

Und als Geschaffene, zerspalten in ihre Vielheit von Welten, hervorgebracht durch die Weltseele, erscheint sie als Gegenteil und als umgekehrte Seite der göttlichen Alleinheit, Allvereintheit, so ist "die Weltseele selbst der Gegensatz oder Antityp der wesentlichen Göttlichen Allweisheit".

Wenn Sophia von Solov’ev jetzt gedacht wird als das ausschließlich positive uranfängliche göttliche Prinzip (das Prinzip, der Anfang, in welchem Gott nach Gen 1,1 die Schöpfung beginnt), so ist die Weltseele – das erste Geschöpf, die materia prima, das Substrat der geschaffenen Welt, das heißt die Personalisierung des chaotischen, disharmonischen, zeitlichen Prinzips im Universum. Und in diesem Sinne ist sie prinzipiell verschieden sowohl von Gott als auch von der Sophia und ihnen entgegengesetzt. Andererseits, so wie das Chaos ihr Wesen ist, hat sie nicht ewiges Sein in sich selbst aber "von Ewigkeit existiert sie in Gott im Zustand der reinen Möglichkeit als verborgener Grund der ewigen Allweisheit" (XI 295). Und dieser Urgrund hat ein negatives Zeichen, gleichsam als Anti-Grund, d.h. sie erscheint als Begründerin dieser inneren kosmischen Spannung, als deren Resultat nur mehr das schöpferische Potential existiert, die bewegende Kraft der Sophia in den Werken der Schöpfung und Leitung der Welt.

"Diese Anwesenheit eines chaotischen, irrationalen Prinzips in der Tiefe des Seins gibt den verschiedenen Erscheinungen der Natur diejenige Freiheit und Kraft, ohne die das Leben selbst und die Schönheit nicht wären." (VII 127). Und wie zum Wesen der Schönheit notwendig eine teilweise Unordnung gehört, die aber frei durch ihre gegensätzliche chaotische dunkle Kraft kämpft, so muss auch zum Sein der Sophia als schöpferischem Prinzip notwendigerweise die gegen sie kämpfende Weltseele gehören, als ihr Grund, "als die Trägerin, Mittlerin und das Substrat ihrer Realisierung" in der geschaffenen Welt, ihr zweites geschaffenes "Ich", würden wir jetzt wohl sagen, ihr Anderes. Doch Kraft ihrer Freiheit und ihres zweifachen Charakters hat die Weltseele prinzipiell die Möglichkeit, sich vom Chaos loszusagen, die Schöpfung zur vollen Einheit zu führen und "sich mit der ewigen Allweisheit zu identifizieren" (XI S. 295). Auf dieser Ebene lagen die eschatologischen Hoffnungen Solov’evs.

Wenn man die Sophiologie Solov’evs sieht, darf man nicht vergessen, dass hinter aller komplizierten Kosmogonie und Metaphysik des russischen Theoretikers der Alleinheit, hinter all seinen philosophisch-theologischen Prinzipien immer diese schwer zu zeichnende ganz schöne bezaubernde weibliche Gestalt stand; die seine Seele in seiner Jugend verwundete; und er war überzeugt, dass gerade in ihr die Hauptqualität der Sophia durchscheint, die ihren inneren göttlichen substantiellen Zustand aufzeigt. Gerade in der "schöpferischen Sphäre des Wortes und des Heiligen Geistes erscheint die Göttliche Substanz, die wesentliche Allweisheit, sie nimmt klare Gestalt an und erscheint in ihrer tiefsten Qualität als strahlendes und himmlisches Wesen (XI 300). Und dieses Wesen stellt bei Solov’ev "die wahre Ursache und das Ziel der Schöpfung" dar, beinhaltet in sich "die ganze vereinigende Kraft des geteilten und zerspaltenen Seins der Welt" und "in ihrem Grund ist die Einheit des Ganzen und als Ziel hat sie die Einheit des Gegensätzlichen"(XI 298; 306).

Sophia ist bei Solov’ev ein irgendwie prinzipiell antinomisches Wesen, eine schöpferische Energie, ein eidetisches Phänomen, das sich praktisch einer verbalen Beschreibung und einem diskursiven Verständnis entzieht.

Unsere mittelalterlichen Vorfahren fühlten diese geheimnisvolle und schwer erfassbare Gestalt in der ganzen Fülle und Kostbarkeit, aber sie konnten sie nicht vollkommen klar erkennen; sie, die Erbauer der Kirchen der Sophia. Trotzdem, so ist Solov’ev überzeugt, realisierten sie ihre tiefe geistliche Erfahrung in der Kunst, teilweise in den Ikonen der Sophia, der Göttlichen Allweisheit. Zu dieser Überzeugung kommt der russische Philosoph, wenn er über die Ikone des Sophia-Typos von Novgorod aus der Sophia-Kathedrale in Novgorod nachdenkt. Er ist überzeugt, dass diese Ikone kein griechisches Vorbild (Urtyp) hat, sondern ein Produkt "unseres eigenen religiösen Schaffens ist" "Dieses Große königliche und weibliche Wesen", das nicht Gott ist und auch nicht der ewige Sohn Gottes oder die Gottesmutter oder ein Engel "wer ist es wenn nicht die wahrste, reinste und vollste Menschheit, die höchste und allumfassendste Form und die lebendige Seele der Natur und des Alls, ewig vereinigt mit der Gottheit und im zeitlichen Prozess sich mit ihr vereinigend und alles mit ihr vereinigend, was ist (IX 188)

Bis zur Erschaffung des Menschen, bis zum Auftauchen der Menschheit als Gipfel der Schöpfung, hatte die Sophia keine reale Möglichkeit einer vollen Selbstverwirklichung. Gerade im Menschen, in seinem sakralen Wesen, findet sie die Fülle ihrer Inkarnation. Die Sophia erscheint nun als das Dreifaltige und zugleich auch das Eine gott-menschliche Wesen, in dem sich die mystische Einheit der Menschen (= der Menschheit) mit Gott verwirklicht. Als zentrale und persönliche "Enthüllung" der Sophia in der Welt erscheint der inkarnierte Logos, Gott Sohn Jesus Christus, mit weiblicher "Ergänzung" die Heilige Jungfrau, die Gottesmutter, und "in universaler Ausweitung – die Kirche" (XI 308). In unmittelbarer Einheit mit Gott befindet sich nur der Gottmensch Jesus, aber durch ihn, die Heilige Jungfrau (durch das Geheimnis Seiner Geburt) und die Kirche (die als Sein Haus und Sein Leib erscheint). Und alle drei sind eines – die Menschheit, wenn man betrachtet, dass Gott in seinem ewigen Gedanken die Schöpfung als Ganzes gut hieß. Gerade deswegen frohlockte die biblische Allweisheit, als sie ihre fortschreitende Realisierung sah.

"Die Menschheit, vereint mit Gott in der Heiligen Jungfrau, in Christus, in der Kirche, ist die Realisierung der wesentlichen Allweisheit oder der absoluten Substanz Gottes, ihre bewusste Form, ihre Inkarnation (XI 309). Eine Bestätigung dieser Folgerungen findet Solov’ev auch in der Erfahrung des orthodoxen Gottesdienstes und in der altrussischen religiösen Kunst. Wenn auch die Kirchenväter fast einmütig die Allweisheit mit Gott dem Sohn identifizierten, so beziehen doch viele der gottesdienstlichen Texte der "mystischen Bücher" die Allweisheit sowohl auf die Gottesmutter wie auch auf die Kirche, und die kirchliche Kunst, im Zusammenhang der Sophia mit der Gottesmutter sowohl als auch mit Christus, unterscheidet trotzdem diese voneinander, indem sie eine Gestalt eines eigenen Göttlichen Wesens darstellt, worin das russische Volk, nach der Überzeugung von Solov’ev "unter dem Namen der Heiligen Sophia die gemeinschaftliche (soziale) Inkarnation der Gottheit in der Universalen Kirche erkannte und liebte". Dieser universale Aspekt der ekklesiologischen Sophia sah Solov’ev als Offenbarung der russischen orthodoxen Kirche und der "wahrhaften nationalen" Idee. Ihrer Entfaltung widmete er seine Konzeption der Universalen Kirche.

Die Sophiologie von Vladimir Solov’ev ging dauerhaft in das philosophisch-theologische Werk einer Reihe russischer Philosophen ein, aber besondere Aufmerksamkeit widmeten ihr P. Pavel Florenskij und P. Sergij Bulgakov.

P. A. Florenskij teilte einige einzelne Ideen und Darlegungen von Vl. Solov’ev nicht, da er sie im Widerspruch zur orthodoxen Tradition sah, doch trotzdem lehnt er sich vielfach in seinem Verständnis der Sophia an ihre vielseitige Getalt, wie sie von Solov’ev mit talentiertem Pinsel gezeichnet worden war. Der Sophia widmete er ein eigenes Kapitel (Zehnter Brief) seines fundamentalen Werkes "Säule und Grundfeste der Wahrheit". Quelle seiner Konzeption war die ganze vorausgehende europäisch-mediterrane Kultur. Er bezieht sich häufig auf die Hl. Schrift, auf die Kirchenväter, auf östliche und westliche Theologen, Mystiker, Gelehrte und besonders auf die Erfahrung von russischer kirchlicher Kunst und Gottesdienst.

Nach dem hl. Athanasius dem Großen und anderen alten Kirchenvätern erkannte Florenskij den christologischen Aspekt der Sophia an und fand, dass man da nichts weiter beweisen muss; darum richtet er sein hauptsächliches Augenmerk auf den ekklesiologischen und mariologischen Aspekt, Aspekte, die von Vl. Solov’ev nur erwähnt wurden, wenn auch sehr energisch.

Die Vielfalt der oft sich widersprechenden Charakteristiken der Allweisheit, die in der Sophiologie bis in seine Zeit sich anhäuften, führte P. Paul Florenskij in einer dialektisch-antinomistischen Konzeption zusammen. Das betrifft zum Teil auch die Frage der Geschaffenheit der Sophia. Bei Florenskij wird dieses Problem, als ein die Grenzen des menschlichen Verstandes übersteigendes, durch die Antinomie "die Geschaffene – die Ungeschaffene" beschrieben, in Unterscheidung vom Sohn-Logos-Christus, der eindeutig nicht Geschöpf ist.

In Weiterentwicklung der Idee des hl. Athanasius schrieb Florenskij, dass die Sophia, verwirklicht im Geschaffenen, das die Welt übersteigt, "auch wenn sie geschaffen ist, geht sie der Welt voraus, erscheint als vor-weltliche personale Zusammenfassung der göttlichen Ur-Bilder des Seins" (348)6.

Sie "ist die erst-erschaffene Natur der Schöpfung, die schöpferische göttliche Liebe", die die geschaffene Welt mit Gott in kosmischer Alleinheit vereint; sie ist "die wahre Schöpfung oder die Schöpfung in der Wahrheit" (391).

In der Ontologie von P.P. Florenskij erscheint Sophia, die Göttliche Allweisheit gerade als die höchste Schöpfung (Über-Schöpfung), die die Grenze zwischen dem Oben und dem Unten überwindet, die in sich diese Welten verbindet.

Sie "ist die große Wurzel der gesamten Schöpfung ... durch die die Schöpfung in das Innertrinitarische Leben eingeht und durch welche sie für sich das Ewige Leben von der Einzigen Lebensquelle erhält" (326). Sophia ist nach dem Verständnis von Florenskij ein unfassbarer Zustand des Übergangs von Gott zur Schöpfung; sie ist zwar nicht Gott, nicht das göttliche Licht, aber auch nicht die materielle Schöpfung, "nicht die grobe Trägheit der Materie; sie ist ein gewisser "metaphysischer Staub" balancierend zwischen "den idealen Grenzen zwischen der göttlichen Energie und der geschöpflichen Passivität; sie ist so Gott, wie sie nicht Gott ist, so Geschöpf, wie sie nicht Geschöpf ist, über sie kann man nicht sagen "Ja" und auch nicht "Nein"(7). Sophia ist das erste und feinste (zarteste) Kunstwerk des göttlichen Tuns.

Für die geschaffene Welt ist sie der Mittelpunkt der schöpferischen Energie, die teilweise auch die Kunst, d.h. die ästhetische Tätigkeit der Menschen befruchtet.

Die Sophia, dachte P. Pavel, hat Teil an der Dreifaltigen Gottheit, sie nimmt teil an der göttlichen Liebe und ist vor allem eng verbunden mit der zweiten Hypostase, mit dem Göttlichen Wort. Ohne Verbindung mit ihm "hat sie kein Sein und fällt auseinander, Bruchstücke der Ideen der Schöpfung; in Ihm aber erhält sie schöpferische Kraft". (329). Für das orthodoxe Bewusstsein hat das Sein der Sophia in der geschaffenen Welt eine Fülle von Aspekten. Im Menschen leuchtet sie auf als das Bild Gottes, als Gottes uranfängliche Schönheit.

Im Gottmenschen Christus ist sie Anfang und Zentrum der Erlösung der Schöpfung – Sein Leib, d.h. der geschaffene Anfang, in dem sich das Göttliche Wort inkarnierte. Sophia versteht man aber auch als Kirche in ihrem irdischen und himmlischen Aspekt. In letzterem Fall ist sie die Zusammenfassung aller Personen, die angefangen haben, das verlorene Gottesebenbild wieder aufzurichten. Und so geschieht ein Prozess der Reinigung der Glieder der Kirche, gewirkt durch den Heiligen Geist: "diese Sophia ist die Jungfräulichkeit. Als ihre Trägerin im höchsten ausgezeichnetem Sinn aber erscheint die Jungfrau Maria, die Mutter Gottes", und sie wird bei Florenskij in die Nähe mit der Sophia gebracht als deren "Trägerin", als "Erscheinung der Sophia".

Die Vielheit der Aspekte der Sophia in der geschaffenen Welt hat eine tiefe Wurzel – die unverwelkliche ur-anfängliche Schönheit der Schöpfung, die geistig-geistliche Schönheit. Sophia ist der wahre Schmuck des menschlichen Wesens, die aus allen seinen Poren hervortritt, auf ihrem Gesicht glänzt, sich in ihrem Lächeln zeigt, in ihrem Herzen mit unaussprechlicher Freude jubelt, sich in all ihren Gesten ausdrückt, den Menschen wie mit einer wohl duftenden Wolke und einem lichtstrahlendem Nimbus umgibt, ihn "höher als alle weltliche Einheit erhebt, sodass der Mensch, obwohl er in der Welt bleibt, nicht "von der Welt" – überweltlich wird ... Sophia ist die Schönheit". Sophia ist der geistig-geistliche "Anfang" in der geschaffenen Welt und im Menschen, der diese sehr schön macht, sie ist der Wesensgrund des Schönen. "Nur die Sophia" – schrieb Florenskij – "nur sie ist die wesentliche Schönheit und in aller Schöpfung; aber alles Übrige ist nur Flitter (Goldfaden) und Schmuck ihres Kleides ... (351): Auf Erden tritt als erste und hauptsächliche Trägerin der Sophia im russischen orthodoxen Bewusstsein die Gottesmutter auf – die lebendige Mittlerin zwischen Himmel und Erde, dem Oben und Unten. "Wie der Geist die Schönheit des Absoluten ist, so ist die Gottesgebärerin die Schönheit des Geschaffenen, die Herrlichkeit für die Welt, und durch sie erhält die ganze Schöpfung Schönheit" (355). Die orthodoxe Welt verstand die Gottesmutter als Symbol des geistig-geistlichen "Anfangs" auf Erden, als reale Erscheinung der Sophia, als Trösterin und Fürsprecherin bei Gott für die sündige Menschheit , als das Jerusalem von Oben, das sich auf die Erde herabsenkt, als "Zentrum des geschaffenen Lebens, als den Berührungspunkt von Erde und Himmel", als eine mit kosmischer Herrschaft betraute. "In der Gottesmutter vereinigt sich die sophianische Kraft, d.h. die der Engel, und die menschliche Demut", sie steht an der Grenzlinie, die den Schöpfer vom Geschöpf trennt und darum ist sie völlig unerreichbar (359; 358).

Das Haupterkennungszeichen ihrer Sophianität – ihre unaussprechliche Schönheit, die alle geschaffene Welt erhellt, die das Herz der Menschen mit unbeschreiblicher Freude erfüllt. Das menschliche Bemühen, ihre Schönheit zu erfassen und festzuhalten, kann man in der Ikonenkunst sehen, "die Ikonographie gibt die Vielfalt der verschiedenen Aspekte der sophianischen Schönheit der Jungfrau Maria wieder" (369).

Wenn bei Solov’ev hinter seiner komplizierten philosophisch-theologischen Konzeption von der Sophia die poetische Gestalt der wunderschönen Jungfrau, der Ewigen Weiblichkeit stand, so tritt in der Sophiologie von P. P. Florenskij der marianisch-ästhetische Aspekt der Sophia an die erste Stelle – die absolute Schönheit, die sich inkarniert hat in der Mutter Gottes. Hier einer der hauptsächlichsten und wesentlichen Aussagen dieser Sophiologie:

Sergij Nikolaevic Bulgakov war einer von vielen, wenn nicht der einzige unter den orthodoxen Denkern, der die Philosophie von Vl. Solov’ev in seinem sophianischen Ursprung schätzte, ja gerade in der Sophiologie seine Originalität, Kraft und Bedeutung aufzeigte. Darum sah er in seinen formal-logischen Texten und Konstruktionen zu Recht nur die Spitze des Eisberges des geistig-geistlichen Erbes des gewaltigsten russischen Philosophen. Als Hauptsache aber sah er bei Solov’ev seine reichliche mystische Erfahrung, die ihren größten, adäquaten Ausdruck nicht in seiner Philosophie fand, sondern in seinem künstlerischen Schaffen – in seiner Dichtung, zum großen Teil der Sophia geweiht, aufgezeigt im Licht der persönlichen mystischen Beziehung des Dichters mit ihr, der Liebe zu ihr. Nicht zufällig, betont Bulgakov, zeigten sich die russischen Dichter-Symbolisten Blok, Belij, Vjaceslav Ivanov besonders feinfühlig für die geistig-geistliche Erfahrung Solov’evs (8). Die persönliche Mystik des Ewig-Weiblichen, die sophianische Beschwingtheit Solov’evs offenbarten sich am vollständigsten in seiner Poesie; sie wurde ein eigentümliches (originelles) intimes Tagebuch, das im Laufe seines ganzen Lebens die tiefe Erfahrung viel vollkommener widerspiegelte als die philosophischen Texte. Darum überwältigt Bulgakov immer stärker der Gedanke, "dass in dem vielstöckigen, künstlichen und schwierigen Schaffen Solov’evs nur der Poesie die absolute Originalität zukommt, so dass man auch seine Philosophie an der Dichtung überprüfen kann, ja muss", dass das Hauptsächlichste in seinem Schaffen die Poesie ist und die Philosophie dazu nur ein Kommentar ist und dass Solov’ev mehr als "philosophischer Prophet" erscheint denn als "dichterischer Philosoph" (9). Sein Werk nennt Bulgakov nicht anders als "sophianisch-erotisch", "mystischer Realismus", durchdrungen von tiefster und alles verschlingender Liebe zur Himmlischen Aphrodite, zur Göttlichen Sophia.

Unter dem Einfluss von Vl. Solov’ev und besonders von P. A. Florenskij hat P. Sergij Bulgakov die Lehre von der Sophia ins Zentrum seiner Weltanschauung gestellt. Mehr noch, er bezeichnete die Sophiologie als die besondere, synthetische, theologische Wissenschaft, die sich weit über die Philosophie erhebt und praktisch als die neue moderne Etappe der orthodoxen Theologie gelten kann. Die Sophiologie von P. Sergij ist neo-orthodox im direkten und vollen Sinn des Wortes. Im Buch "Die Göttliche Allweisheit" schreibt er, seine Lehre zusammenfassend "Die Sophiologie ist eine Weltschau, eine christliche Schau der Welt, eine theologische Konzeption ... eine besondere Interpretation der ganzen christlichen Lehre, beginnend vom Verständnis der Hl. Dreifaltigkeit und Inkarnation und endend bei den Fragen des heutigen praktischen Christentums ... als zentrales Thema der Sophiologie erscheint die Beziehung zwischen Gott und der Welt ... Die Sophiologie ist der Ruf zum geistig-geistlichen Leben und zur schöpferischen Aktivität, ausgerichtet auf die Rettung seiner selbst und der Welt" (10).

Viele orthodoxe Hierarchen und die russische Kirche selbst verhielten sich abweisend gegenüber der Sophiologie Bulgakovs, sie sahen in ihr häretische Elemente (11). Trotzdem sah P. Sergij seine Lehre (wie auch die entsprechenden Ideen von Solov’ev und Florenskij) als einen neuen Schritt in der Entwicklung der Theologie. In seiner Sophiologie lehnt er sich, wie auch P. Pavel Florenskij an die ganze vorhergehende philosophisch-theologische Erfahrung auf diesem Gebiet an, beginnend vom AT, Plato, Philo, den Kirchenvätern über die westlichen Sophiologen Jakob Boehme, John Pordage bis zu Solov’ev und Florenskij.

Erste Überlegungen zu diesem Thema machte er schon in "Philosophie der Ökonomie" (1912), ausgearbeitet wurde sie im Buch "Das nicht-abendliche Licht" (1917), in der Trilogie über das Gottmenschentum ("Lamm Gottes", "Tröster", Die Braut des Lammes"), im "Nichtverbrennenden Dornbusch" (1927), "Ikone und Ikonenverehrung" (1930) und er gab eine Gesamtübersicht in "Die Göttliche Allweisheit".

Wie auch seine Vorgänger befindet sich Bulgakov in ziemlich schwieriger Situation. Vor ihm liegt ein reiches, nicht eindeutiges, vielfach widersprüchliches kulturell-historisches Material von sehr verschiedenen Erklärungen der Sophia, die sein philosophisch-theologischer Verstand zu ordnen sich bemüht. Er durchschaut in der geheimnisvollen Gestalt der Sophia gewisse neue Wahrheiten über das Sein, neue Wege zum Eindringen in geistig-geistliche Sphären.

Darum enthält er sich sofort des Aufbaus einer einseitigen widerspruchslosen Konzeption. Wie auch Florenskij schätzt er die Darlegungen in der orthodoxen Dogmatik von Antinomie sehr hoch als wahre Methode der Beschreibung unbeschreibbarer Phänomene. Daher ist auch die Sophia Etwas, was eine antinomische Beschreibung braucht.

Im Werk "Das nichtabendliche Licht" stellt die Sophia vor allem die lebendige Persönlichkeit, "die realste Realität", "die Idee Gottes", das hineingestellte "Subjekt" der unendlichen göttlichen Liebe dar, "die Süßigkeit, Erquickung", "die Freude", "die Spiele". Wenn die Personen der Trinität sich im Zustand innerer, intimer, unzugänglicher, sich selbst genügender, innergöttlicher Liebe befinden, dann ist Sophia die Person (Hypostase), die hinein-aufgenommen wurde; gleichsam als "vierte Hypostase"; aber eine Hypostase (Person), die passiv (empfangend) in Beziehung zu Gott ist, das Ausströmen Seiner Liebe aufnimmt; das ist "das Ewig-Weibliche", in dem unter dem Wirken der göttlichen Liebe die geschaffene Welt geboren wird, und sie ist der "Anfang" der Welt (12). So stellt Sophia hier die weibliche Hypostase (Person) der Gottheit dar, umfangen (umarmt) vom göttlichen Eros.

Vom anderen Gesichtspunkt aus gesehen – in Beziehung zur unendlichen Vielfalt der geschaffenen Welt - ist Sophia "der Organismus der Ideen, in dem sich die Ideen-Samen aller Dinge sammeln. In ihr ist die Wurzel ihres Seins" (13).

Darüber schreibt Bulgakov auch in "Allweisheit Gottes", "In der Sophia sind die Gestalten (Bilder) der Schöpfung grundgelegt, die Ideen aller Dinge und aller Wesen; sie erscheint als die alles umfassende Ur-Idee des Ganzen. Sie ist das Ideal von allem (des Ganzen), der integrale Organismus und die ideale Einheit aller Ideen" (14). Hier tritt schon der persönliche Charakter der Allweisheit Gottes hervor.

Sophia ist nicht bloß die vorzeitliche Zusammenfassung aller Bilder (Gestalten) der geschaffenen Welt, sondern selbst diese Welt im Urgrund; sie ist das Fundament (Urgrund) dieser Welt, "ihre ideale Entelechie, sie existiert nicht irgendwo außerhalb der Welt, sondern ist ihr Grund-Wesen" (15). Und als Entelechie der Welt "in ihrem kosmischen Antlitz" stellt sie die Weltseele dar. Indem er das Ergebnis der philosophischen Tradition von der anima mundi von Plato bis Solov’ev anführt, sieht S.N. Bulgakov in ihr "diese Gesetzmäßigkeit des kosmischen Lebens", diese physischen Gesetze des Seins, die in der wunderbaren Zweckmäßigkeit und Funktionalität aller Organismen der geschaffenen Welt aufscheinen.

Sie ist diese "einigende, die Welt vereinigende" Kraft, die immer in der "Verbundenheit, Verflochtenheit der Welt gespürt wird" (16). Sie zeigt sich in diesen wirren (vagen) Instinkten, die die Evolution des Lebens regeln (17).

Sophia ist also sowohl eine Persönlichkeit mit eigenem Antlitz (licnost – lik), Subjekt und "Gegenstand" der göttlichen Liebe, als auch nicht Persönlichkeit, Gesamtheit der Prinzipien, oder anima mundi. Und diese uranfängliche Doppelheit, die in Antinomie übergeht, bemerkt man bei Bulgakov dauernd. Sie verwirrt einerseits den philosophischen Verstand durch ihre Nichtdefinierbarkeit und Widersprüchlichkeit, andererseits hebt sie die Schleier der Seele, hinter denen sich das eröffnet, was dem Verstand nicht zugänglich ist.

Mit noch größerer Klarheit erscheint die sophianische Antinomie im Thema der "Metaxionie" (vom platonischen metaxu - "dazwischen") der Sophia. Die Sophia, behauptet Bulgakov in "Das nichtabendliche Licht", ist dieser nicht zu fassende "Rand", der sich zwischen Gott und der Welt befindet, zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf, als nicht dieses und als nicht jenes erscheinend. Sie ist etwas "Besonderes", ein "drittes Sein", gleichermaßen das eine und das andere einend und trennend (18). Und dieses "Dazwischen" besonderer Art, dieser antinomischen Vermittlung – Nichtvermittlung, oder das direkte "Bindeglied zwischen Gott und der Welt" wie P. Sergij später aufzeigt.

In seiner Kritik der Idee von der "Metaxionie" des Göttlichen Sohnes bei Arius stellt Bulgakov fest, dass eine solche Mittel-Stellung nicht denkbar und nicht möglich ist. Der Mittler bräuchte für sich wieder einen Mittler und so ad infinitum ... Der Gedanke eines Vermittlers ist nicht möglich, das ist in gewisser Weise ein rundes Quadrat. Trotzdem wurde das Problem zu Recht gespürt ..." (19).

Als so ein "rundes Quadrat" oder so eine "Wurzel aus Minuseinheit" erscheint bei Bulgakov die Sophia. Sie steht da als "unmöglich" für den Verstand, als unsinnige, unlogische Vermittlung zwischen Gott und der Welt indem sie gleichzeitig in gewisser Weise mal als diese, mal als jene erscheint und nicht erscheint, in Wirklichkeit als nicht das und als nicht jenes.

Sophia ist zeitlos, sie erhebt sich über die Zeit und über jeden Prozess, aber sie gehört auch wesentlich nicht zur Ewigkeit, aber sie hat Anteil an ihr Kraft der göttlichen Liebe zu ihr (s. Augustinus: quamvis non aeterna, tamen co-aeterna quia grandi amore adhaeret Deo d. Übersetzer). Sie hat ein gewisses Zwischen-Sein im metaphysichen Sinne zwischen Zeit und Ewigkeit. Das kann auch über die Ausdehnung im Raum der Sophia gesagt werden. In ihr sind "vereint Momente der Verschmelzung und der Trennung, des ja und nein, der Einheit und der Vielheit". Sophia ist "überräumlich", sie erscheint als Ursache aller Räumlichkeit. Sophia ist in der Welt anwesend als ihr Grund, als Verklammerung ihres Seins, und zur gleichen Zeit transzendiert sie die Welt, denn sie ist außerhalb und höher als alles Werden (Entstehen), in dem sich die Welt befindet (20). Sophia ist nach Bulgakov die undefinierbare und unerreichbare Grenze zwischen dem Geschaffen-Sein und dem Über-Sein, dem Wesen der Gottheit – nicht Sein und nicht Über-Sein.

Sie ist das Ein-Viel-Alles. ... sie ist das, was nicht im Sein ist, d.h. sie ist und ist nicht, teilhabend einerseits am Sein, andererseits diesem transzendent, von ihm entschwindend. Sie nimmt einen Platz ein zwischen Sein und Über-Sein, indem sie "nicht das eine, nicht das andere ist als beides zugleich erscheint"(21).

Unter all diesen fast Antinomismen des frühen Bulgakov spürt man trotzdem das Bemühen (vielleicht unbewusst als Erbe der jahrhundertealten philosophischen Tradition), es irgendwie zu rechtfertigen mit dem Verstand. Es scheint, dass den unausgesprochenen irrationalen Antinomismus die klare Vorstellung (die Grundlage aller russischen Sophiologie) von dem persönlichen Charakter der Sophia, von der schönen Jungfrau Allweisheit stört...

Wie dem auch sei, die Abkehr vom strengen Antinomismus geht in diese Richtung. Die Vorstellung von einer antinomisch gezeichneten Sophia wechselt bei Bulgakov mit den Ideen von zwei Gesichtern der Sophia ab, ausgerichtet auf (metaphysisch) verschiedene Seiten, auf zwei Sophien insgesamt – die Göttliche und die geschaffene.

Die metaphysische Natur der Sophia unterliegt nicht der traditionellen philosophischen Beschreibung, meint S.N. Bulgakov, da sie "zwei Antlitze (lika) hat. Durch das eine, "das Gott zugewandt ist, ist sie Sein Abbild, Idee, Name.

Aber dem Nichts zugewandt, ist sie der ewige Grund, der "Anfang" der Welt, die himmlische Aphrodite, als ihr wahres Vorahnen der Sophia, wie sie Plato und Plotin nannten (22).

Und noch mehr, die Welt als "das Nichts, übersät mit Ideen", ist sie "die sich herausbildende Sophia", die geschaffene Sophia. Aber das göttliche Antlitz der Sophia - das ist die vor-ewige Allweisheit, die Braut des Logos (23).

Beim Nachdenken über die biblische Idee der Erschaffung der Welt aus dem Nichts, kommt Bulgakov zum Schluss auf eine Möglichkeit, ja einer prinzipiellen Notwendigkeit, von zwei Sophien zu sprechen – der himmlischen (göttlichen) und er irdischen (geschaffenen), die nichts desto weniger eins sind in ihrer vollen Gegensätzlichkeit durch die grundlegenden Charakteristiken, d.h. er kommt trotzdem zur Behauptung und Rechtfertigung der Antinomie von Sophia..."diese Einheit der Gegensätze, coincidentia oppositorum, übersteigt den Verstand und wühlt ihn auf. Aber wenn auch das für den Verstand als ein Widerspruch bleibt, so kann er doch nichts Weiseres ausdenken als diesen Widerspruch für die Lösung des Problems" (24).

In der Pariser Periode kommt P. Sergij zur endgültigen Überzeugung, dass die Antinomie, und gerade die sophiologische "die genaue Formel der Offenbarung Gottes in der Welt ist" (25) und er formuliert diese Antinomie:

THESIS: Gott in der Hl. Trinität eines Wesens, offenbart sich selbst in Seiner Allweisheit, die sein Göttliches Leben ist und die Göttliche Welt in der Ewigkeit, in der Fülle und Vollkommenheit (Die Ungeschaffene Sophia – die Gottheit in Gott)

ANTITHESIS: Gott schafft die Welt durch Seine Allweisheit, und diese Allweisheit, die den Göttlichen Anfang der Welt bildet, existiert im zeit-räumlichen Zustand, umgeben von Nichtsein (Die geschaffene Sophia – die Gottheit außerhalb Gott, in der Welt) (26)

Das schon im 4. Jahrhundert antinomistisch formulierte Dogma von den zwei Naturen Christi, stellt nach Bulgakov "auch die Aufdeckung der sophiologischen Antinomie in der Anwendung auf die Christologie" dar (27). aber als "besonders eigen" erscheint die sophiologische Antinomie in der Antinomie der Ikone in der Undarstellbarkeit – Darstellbarkeit Gottes.

In den späteren Werken "Lamm Gottes", "Braut des Lammes" und anderen bestärkt sich P. Sergij in der Idee der einen Sophia, die sich in Gott und in der Schöpfung offenbart und die sich nur einer antinomistischen Beschreibung unterwirft.

Wenn wir uns jetzt an die christlichen Tradition erinnern, wenn wir uns dem Dogma und der Liturgik zuwenden, dann sehen wir, dass die Antinomie vor allem bei den trinitarischen und christologischen Dogmen verwendet wird, wenn die Unmöglichkeit auftritt, irgendwie das Wesen der Trinität und das Wesen Christi zu bezeichnen; in der kirchlichen Hymnographie – wenn Gott und Jesus Christus und die Gottesmutter besungen und verherrlicht werden. Und P. Sergij hatte alle diese Tradition und die gottesdienstliche Praxis vor seinem nachdenklichen Verstand, und er tat einen neuen Schritt im Nachdenken über Sophia.

Da sie faktisch ein universales Wesen ist, das in sich sowohl das Göttliche als auch das Geschaffene umgreift (sie ist der "Anfang" und das Wesen der Schöpfung) muss die Sophia Wesen Gottes (ousia) sein und als solches erscheinen.

"Resümieren wir – schrieb P. Sergij - die ganze Heilige Trinität ist als Ganzes in ihrer Drei-Einheit die Sophia, sowie auch jede der Drei Hypostasen in Verschiedenheit". Die Trinität hat ein ein-einziges Wesen, die ousia - ousia und diese ousia ist die Sophia"(29). Die Drei Göttlichen Personen haben ein gemeinsames Leben, das heißt eine ousia, eine Sophia" (30). In dem Bemühen, den Vorwurf zu vermeiden, dass es irgend wie Gott eine vierte Hypostase zuschreibt (was sie ihm tatsächlich vorwarfen) erklärt P. Sergij dass "die Sophia keine Hypostase sei, sondern dass sie wie eine Qualität sei, die in Bezug steht zur göttlichen Hypostase, ein Attribut des hypostatischen Seins", "ein gewisses anderes Prinzip als es die Hypostase ist "und ähnliches"(31). Praktisch ist sie diese ousia des Dreieinigen Transzendenten Gottes in Seiner Hinwendung zur geschaffenen Welt.

Ohne im Einzelnen, weiter, von theologischer Sicht her schwierige Erklärungen zu geben, möchte ich unterstreichen, dass in der reifen Periode seines Philosophierens P. Sergij zu der Überzeugung kam (obwohl er sie nicht sehr überzeugend begründete) dass Sophia – das göttliche Wesen in Gott ist, seine ousia , als Alleinheit verstanden", als "göttliche Welt, als die Gottheit in Gott, die Natur in Gott" (32). Dieses Verständnis der Sophia schließt in der Art wiederum die Vorstellung aus, sie sei eine Person.

Sie schließt somit aus - aber nicht für das antinomische Denken. Im metaphysischen Verständnis ist Sophia die ousia Gottes, der Trinität. Doch die religiöse Erfahrung der russischen Orthodoxie, der russischen Frömmigkeit, der russischen Kunst, gibt Erkenntnisse auf anderer Ebene. Sie sieht sie in eins mit Christus, und mit der Kirche und besonders oft mit der Gottesmutter. Diese Erfahrung und Erkenntnis steht Bulgakov nahe und ist ihm verständlich. Er stützt sich aktiv auf sie in seiner Sophiologie "und wenn die Fülle der Schöpfung ihre wahre Schönheit wie auch ihre vernünftige Herrlichkeit die göttliche Sophia ist, als Offenbarung der Hl. Trinität, so muss man dies auch in der Anwendung auf die Gottesmutter wiederholen. Die Gottesmutter ist sophianisch in höchster Stufe. Sie ist die Fülle der Sophia in der Schöpfung und in diesem Sinne die geschaffene Sophia ... die Sophia ist der Grund, die Säule und Grundfeste der Wahrheit, als deren Erfüllung die Gottesmutter erscheint, und in diesem Sinne ist sie gleichsam der persönliche Ausdruck der Sophia in der Schöpfung, das persönliche Gesicht der irdischen Kirche" (33). In der Gottesmutter vereinen sich beide Antlitze der Allweisheit, und darum, als geschaffene Sophia, gehört sie und gehört sie nicht zu dieser Welt. Die Annäherung der Sophia an die Gottesmutter und an die Kirche zeigt uns wiederum die Sophia in ihrem weibliche Aussehen der wunderschönen himmlisch-kosmischen Jungfrau.

Indem P. Sergij die scheinbaren Widersprüche aufzeigt, die historisch in der Sophiologie entstanden sind, glaubt er, dass man zwar eine "Christo-sophianische" Interpretation der bekannten Stellen der Hl. Schrift annehmen kann, wie auch eine "marianisch-sophianische" (34). Byzanz ist bei der ersten stehen geblieben, der alten Rus’ war die zweite näher, aber sie sind gleich wahr und rechtmäßig, sowohl jede für sich, wie auch zusammen, denn "die Fülle der sophianischen Gestalt in der geschaffenen Welt oder in der Menschheit ist Christus mit der Gottesmutter, wie auch das dargestellt wird in unseren gewöhnlichen Gottesmutter-Ikonen, besonders deutlich in der "Muttergottes des Zeichens". Im Wesen ist jede Ikone der Gottesmutter in seinem tiefsten Sinn eine Ikone der Sophia (35).

Die Göttliche Allweisheit stellt somit in der Sophiologie Bulgakovs ein tiefes, vielfach als aktives, als antinomisch beschriebenes Wesen dar, das sich einer einseitigen formal-logischen Betrachtung und einer diskursiven verbalen Beschreibung entzieht. In ganzer Fülle eröffnet sie sich neu dem religiösen Bewusstsein in einigen Akten mystischer Erfahrung. Gleichzeitig erscheint sie als abstrakte göttliche ousia, d.h. Wesen und als Bild Gottes innerhalb der Gottheit; und als das Ewig-Weibliche in der Gottheit, als ihr passiver (empfangender) aber schöpferischer (in Richtung Welt) "Anfang", und als die Zusammenfassung aller Schöpfungsideen Gottes, d.h. der Ideen der Schöpfung und auch als Inspiratorin und Führerin aller schöpferischen Tätigkeit der Menschen, darunter auch der Künstler (36) und als Vermittlerin aller göttlichen Energien, und als Gottmenschentum, verstanden als "Einheit Gottes mit der ganzen Schöpfung" (37) und als reale Erscheinung der Kirche Christi. Sie stellt endlich in der konkreten und der Seele des russischen Volkes sehr nahen Gestalt die Gottesmutter dar, die Jungfrau und Mutter, die Schutzherrin und Fürsprecherin für das Menschengeschlecht bei ihrem Sohn.