OKI-Logo Symposion über
Vladimir Solov’ev




Arkadij Rovner
Moskau

Neuer Himmel und neue Erde
Die Idee der Veränderung (Verklärung) des Lebens
bei Joseph de Maistre und Vl. Solov’ev

(deutsche Zusammenfassung)

Joseph de Maistre (1753-1821) ist eine außergewöhnliche Gestalt, die einen begrenzten aber ungewöhnlich starken Einfluss auf die Entwicklung der europäischen und der russischen Kultur genommen hat. Dieser leidenschaftliche religiöse und politische Denker, dieser Kämpfer gegen die Ideen der französischen Aufklärung und auch gegen die englische, materialistische Philosophie eines John Lokke und eines Francis Bacon lebte als politischer Emigrant und als Flüchtling vor dem revolutionären Terror15 Jahre in St. Petersburg. In Russland erlebte er die schreckliche Erfahrung mit der französischen Revolution und dort schrieb er seine berühmten "St. Petersburger Abende".

Die Idee vom Dritten Testament, das sich auf den Vorahnungen und Visionen der Apokalypse aufbaut, beschäftigte ihn und auch seine Zeitgenossen. Die zentrale Idee, auf die sein ganzes Gedankengebäude aufbaut, ist die Idee der Göttlichen Ordnung und der Göttlichen Vorsehung und vor allem, der moralischen Ordnung. Diese Idee stand in Widerspruch zu der anderen Idee, nach der die Gerechten leiden müssen und es den Ungerechten wohl ergeht. Das sind zwei sich gegenseitig ausschließende Ideen. Einerseits existiert in der Welt eine moralische Harmonie, die Göttliche Ordnung, die besonders klar erscheint in der bald kommenden– nach der jüdischen und der christlichen – Dritten Offenbarung. Aber auch in der gegenwärtigen Welt wendet Gott sich nie von der Welt ab. Gleichzeitig aber geht es den Bösen, Schlauen, Schamlosen und Grausamen gut, aber die Ehrlichen, Edlen und Wohltätigen leiden. Wie können diese beiden Positionen vereinbart werden? Das ist die große Frage für De Maistre.

Vor allem beweist er die Richtigkeit der Idee von der Göttlichen Vorsehung. Er behauptet: es ist nicht wahr, dass es den schlechten Menschen gut geht und dass die Gerechten leiden. Die Schlechten werden bestraft und die Guten werden belohnt, auch wenn wir das nicht so sehen. Unsere Sicht ist oberflächlich, unsere Augen sind getrübt. Es gibt eine Strafe Gottes für die Bösen. Eine davon sind die Krankheiten, sie haben letztlich als Ursache moralische Verfehlungen.

Außerdem quält die Bösen das schlechte Gewissen.

Nach der Meinung von De Maistre wirkt Gott manchmal stark, manchmal leise, manchmal still im Gewissen, aber bei gewissen historischen Ereignissen ist das Wirken der Göttlichen Vorsehung auch äußerlich besonders auffällig.

Schon im Jahre 1796 zeigte J. de Maistre auf, dass die Menschheit eine neue Phase des Christentums oder einer neuen religiösen Revolution erleben wird. Im Jahr 1799 schrieb er: "Die erste Offenbarung konzentrierte die ganze Wahrheit auf ein kleines Volk. Die zweite Offenbarung ging über die Grenzen von Palästina hinaus, aber immer noch ist das Christentum vom Ozean des Heidentums umgeben, wenn diese Aufgabe erfüllt ist (er meint wohl, wenn alle christianisiert sind), dann kommt die Zeit der Dritten Offenbarung".

1799 sieht er diese neue Epoche der religiösen Geschichte als Rückkehr aller getrennten Kirchen zur Einheit mit Rom.

Auch wenn er gelegentlich den französischen Illuministen nahe stand, war er doch immer der römisch-katholischen Kirche treu ergeben.

In den "St. Petersburger Abenden" entwickelt er seine Idee von der Dritten Offenbarung. Dies geschieht in einem Gespräch zwischen drei Partnern: Graf, Senator Kavalier, wobei er selbst in gewisser Weise in den Gedanken aller drei erkennbar wird.

Er sah als Ziel die Rückkehr aller Kirchen in den Schoß der katholischen Kirche und das Einfließen aller geheimem mystischen Strömungen in den Katholizismus als Ausweitung der Grenzen der katholischen Kirche und als Ausgießung einer ganz neuen Gnade auf die Kirche. Er sprach von einem "transzendentalen Christentum".

Die Ideen von Joseph de Maistre waren eurozentrisch und auch "katholiko-zentristisch". Aber das war sein Spezifikum, seine Tradition. Er war vorsichtig gegenüber gewissen Strömungen der Freimauerei. Doch in seinen frühen Werken (im Schreiben an den Herzog von Braunschweig im Jahre 1782) führt er aus, dass das einzige und wichtigste Ziel der Freimauerei und im Besonderen des Illuminismus die "große Sache" der Einheit der Kirchen sein soll, mit Hilfe der Göttlichen Vorsehung.

Er glaubte, dass in Folge der Dritten Offenbarung das Dritte Testament kommen werde.

So war er auch in Verbindung mit der Biblischen Gesellschaft.

Diese Verbindung sollte ihm auch die Ausweisung aus Russland bringen.

Sein Einfluss auf ‡ aadajev, Kirejevskij, Chomjakov war groß,.

Auch Vladimir Solov’ev hatte gewisse Vorstellungen von einer neuen Epoche in der Weltgeschichte: "Ähnlich den Chiliasten der Urkirche – schreibt L. M. Lopatin – war Solov’ev überzeugt, dass in nächster Zukunft eine große Umwälzung geschieht, durch die ein kosmischer und historischer Prozess abgeschlossen wird. Diese Umwälzung ist nach seiner Vorstellung ein Triumph der Theokratie, d.h. der völligen Verwirklichung der Göttlichen Gerechtigkeit in der Ordnung der Menschheit. Anfangs hielt er sich an eine weite mystische Interpretation und er sah in naher Zukunft eine Ausgießung höherer geistlicher Kräfte, die die Menschheit auf ihre hohe Bestimmung ausrichten wird. Doch die konkrete Wirklichkeit gab seinen Hoffnungen nicht recht; aber trotzdem wankte bei Solov’ev der Glaube an eine nahe Umwälzung nicht. Da suchte er dann unter den bestehenden historischen Kräften jene, die am meisten geeignet seien, die Menschheit nach dem christlichen Ideal auszurichten". Am Anfang sah er in Anlehnung an die Slavophilen diese Kraft in der russischen Kirche und in der russischen Staatlichkeit, doch davon musste er sich bald lösen, als er von deren Unfähigkeit und deren mangelnder Bereitschaft überzeugt wurde, an der beginnenden allgemeinen Bewegung teilzunehmen. Da wandte er sich der katholischen Kirche zu, da er diese umwälzende Erneuerung dem Katholizismus zusammen mit Russland und der russischen Orthodoxie zutraute.

In Anlehnung an E. N. Trubetzkoj (15) schreibt Georgij Florovskij von drei Phasen der Entwicklung seiner sozial-historischen Sichtweisen: zu Anfang der Übergang von Slavophilentum zum Katholizismus, dann die katholische Epoche und zuletzt der Zusammenbruch seiner theokratischen Überzeugungen (16). Am Anfang suchte Vladimir Solov’ev in seinen slavophilen Kreisen und den damit Verbundenen, dann im Katholizismus eine Stütze für seine Ideale eines sozial tätigen Christentums, in dem "ein intensiver Einfluss der hohen geistlichen Kräfte" möglich ist und die "die Verwirklichung der Göttlichen Gerechtigkeit in der Organisation der Menschheit" ist.

Nach Meinung von Solov’ev können die noch getrennten Christen diese globale Mission nicht erfüllen. Darum stand die Vereinigung der Östlichen und der Westlichen Kirche, und auch die Vereinigung des Protestantismus mit der Kirche vor Vl. Solov’ev "als erste und wichtigste Aufgabe der praktischen christlichen Aktivität" (17). Diese Tätigkeit muss sich aber auf dem Bewusstsein gründen, dass "wir östliche wie auch die westlichen Christen, bei allen Meinungsverschiedenheiten unserer kirchlichen Gemeinschaften, fortwährend weiterhin Glieder der ungeteilten Kirche Christi sind...,denn die Kirche besteht aus der realen mystischen lebendigen Verbindung mit Christus als dem ‚Anfang’ der Gottmenschlichkeit".

Ausgangspunkte für eine solche Vereinigung sind für Solov’ev:

  1. die Annahme einer wesentlichen Einheit beider Kirchen in Christus.
  2. die moralische Verpflichtung, diese Einheit einzubringen in die rein menschlichen gegenseitigen Verbindungen zweier kirchlicher Gemeinschaften, damit die Kirche eine sei in der Welt"

Deswegen müssen alle Versuche ausgeschlossen werden, dass die eine Kirche die andere verschlingen möchte, denn "die universale gottmenschliche Kultur" oder das universale Christentum erschöpft sich nicht im östlichen oder im westlichen Christentum, einzeln für sich genommen".

In der Frage der dogmatischen Entwicklung der Kirche in Verbindung mit der Vereinigung der Kirche hat Solov’ev eine klare und folgerichtige Überzeugung, dass "die wahre Offenbarung eine ist und ungeteilt.. aber sie (die christliche Menschheit) konnte sie nicht sofort in ihrer Fülle erfassen in einzelnen Definitionen, welche notwendig wurden im Kampf mit Abirrungen, wodurch sich das Denken der Kirche entwickelte.."

Die freie Einigung der Gottheit mit der Menschheit ist nach Solov’ev die Gottesherrschaft oder Theokratie. Seine Aufgabe in dieser Hinsicht stellt Solov’ev folgendermaßen dar: "den Glauben unserer Väter bestätigen, ihn auf eine neue Stufe des verständigen Bewusstseins erheben; aufweisen, wie dieser alte Glaube, wenn er befreit ist von örtlichen (ortsgebundenen) Eigenheiten und Selbstgefälligkeiten, der gleiche ist wie der der ewigen und universalen Wahrheit" (18). Und schließlich "die freie Vereinigung der Menschheit in der Kirche Christi ist, nach Solov’ev, das Ziel der christlichen Politik" (19). In dieser Sicht von Solov’ev erscheinen die Elemente einer grandiosen Synthese, welche sich einerseits mit den Vorstellungen von Joseph de Maistre über die neue religiöse Einheit verbindet und von diesem als großes geistliches Ereignis vorausgesagt worden war.

Aber wie Trubetzkoj zurecht bemerkte, hat Solov’ev, als er "in flammenden Zeilen die zukünftige Veränderung (Verklärung) verkündete" versucht, "dieser irdischen Illusion und Utopie..., das Göttliche in den Formen der irdischen unerleuchteten Gestalt" beizumischen. Er verlor das Bewusstsein von den Grenzen, die das Sündige, Irdische, Menschliche vom Göttlichen trennen....", was sich bei ihm im "Übermaß des Rationalen, Verständigen, Natürlichen zeigt... und er versucht, das Reich der Veränderung (Verklärung) der Menschheit im Rahmen einer kirchlich-staatlichen Organisation darzustellen" (20).

Da er keinen schnellen Fortschritt in seinen Projekten "inmitten der gegenwärtigen historischen Kräfte" fand, erlebte Vl. Solov’ev in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine sehr tiefe Krise, deren Überwindung mit Ideen verbunden war, in denen sich sein schöpferischer Genius klar zeigte. Ich denke dabei an seine Idee vom Antichrist und von der Ewigen Weiblichkeit. "Nicht leicht überlebte Solov’ev diese Verzögerung seines theokratischen Projektes – schreibt über ihn Georgij Florovskij – aber er änderte seine Sicht von der Vereinigung der Kirche nicht...es erscheint aber nun bei ihm eine apokalyptische Unruhe" (21). Jetzt beschäftigt sich Solov’ev mit der Ausarbeitung einer neuen apokalyptischen Sicht: der Antichrist steht auf und auf seine Seite stellt sich fast die ganze Menschheit. Was soll man tun? Solov’ev stellt sich die Aufgabe: sich stärken lassen durch den Geist Christi und gegen den Antichrist kämpfen. Das Wort Gottes sieht eine weltweite Verkündigung des Christentums vor dem Ende der Welt voraus. Es eröffnet sich eine neue Religion, über die Solov’ev an Rozanov folgende nicht zu erwartende Worte schrieb (im Brief vom 28. Januar 1892) "...mit mir bekennen eine Religion des Heiligen Geistes, weiter und zugleich inhaltlich reicher als alle verschiedenen Religionen: sie ist weder die Summe, noch ein Extrakt aus ihnen, wie der ganze Mensch weder die Summe noch ein Extrakt seiner verschiedener Organe ist...". Nach den Worten von Georgij Florovskij herrscht jetzt bei Solov’ev eine Idee der "Vereinigung der Christen, die über die Geschichte in die Eschatologie hinausgehoben ist..." vor. "Das wird etwas alles Umfassendes und etwas alle Widersprüche Versöhnendes", zitiert er Vl. Solov’ev und fährt fort: das wird zugleich dann die große Synthese. Doch in ihr ist nur eine Lücke: die Zusammenfassung aller christlichen "Kostbarkeiten", aber nicht Christus Selbst..." (22).

Im Gedicht "Drei Begegnungen" begegnet uns gleichzeitig die prophetische Sicht Solov’evs vom Kommen der Gestalt der "Ewigen Frau" und das Thema einer neuen Religion des Heiligen Geistes. Darin zeigt sich sein jugendlicher exaltierender Glaube, dass bald, sehr bald "in seiner ganzen Herrlichkeit das Reich Gottes erscheint – das Reich innerlicher geistig-geistlicher Beziehungen, der reinen Liebe und Freude, neuer Himmel und neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt" (23).

Ein Jahrundert früher hat Joseph de Maistre ähnliche erstaunliche Worte geschrieben: "Wir müssen uns bereiten für ein großes Geschehen in der Göttlichen Weltordnung, ein Geschehen, dem wir schneller und schneller in einer Geschwindigkeit entgegeneilen, die jeden Beobachter erstaunt. Schreckliche Orakel künden: "Die Zeiten sind erfüllt!".

So kamen die Ansichten von zwei christlichen Philosophen zusammen, die konfessionell und historisch voneinander getrennt waren, aber vereint waren im dem Traum von einer Verwirklichung der Göttlichen Weltordnung. Die kulturell-historische Wirklichkeit der folgenden Jahrhunderte zeigte sich schrecklicher und grausamer als alle noch so düsteren Erwartungen und Vorhersagen des 19. Jahrhunderts. Das Mühlwerk der Geschichte hat die Zivilisation des Westens wie des Ostens zermahlen.

Es kommt die Epoche des psychotronen Globalismus, der eine Bedrohung darstellt in Hinsicht einer geistig-geistlichen Kastration der Menschheit. Aber die Hoffnung ist nicht verloren. Man kann sie ausdrücken in den Worten von E. N. Trubetzkoj, mit denen er seinen Aufsatz " Vladimir Solov’ev und sein Wirken" beendet: "Es stürzt all das ein, was nicht ein absolutes Fundament hat. Es wird weggenommen, was nicht tiefe Wurzeln hat. Aber ewig bleibt das Absolute, das Alleine...(24)