OKI-Logo "Wir sind schon eins"
Interview in: "Neue Stadt".
Februar 2008. S. 7 - 9

 

 

Wie es um die katholisch-orthodoxe Beziehung steht, ist selbst für Interessierte schwer einzuschätzen. Zu widersprüchlich sind die Signale. Albert Rauch, ausgewiesener Kenner der Ostkirchen, gibt überraschende und hilfreiche Einblicke in eine kaum bekannte Welt.
Ernst Ulz: Herr Rauch, früher regnete es förmlich Dialogdokumente und ökumenische Erklärungen mit den Ostkirchen. Dann kam Sand ins Getriebe, und ab 2001 war Funkstille …
Albert Rauch: … der theologische Dialog ist nur einer. Weitaus wichtiger ist der Dialog des Lebens, der Liebe. Und der ist nie unterbrochen worden - wenigstens nicht auf der Ebene, auf der wir vom Ostkirchlichen Institut tätig sind.
Es werden immer Dinge zwischen uns stehen, allein schon deswegen, weil die christliche Botschaft von Anfang an in unterschiedliche Kulturräume hineingewachsen ist.
Ernst Ulz: Die Einheit ist nicht so wichtig?
Albert Rauch: Nicht die Einheit, die sich die meisten Leute vorstellen!
Ernst Ulz: Sondern?
Albert Rauch: Wichtig ist es, die Einheit sichtbar zu machen, die schon da ist! Es gibt nur die Eine Kirche Christi, und zu der gehört - wie russische Theologen sagen - die ganze Menschheit, ja die ganze Schöpfung. Natürlich sind durch die Jahrtausende verschiedene Riten herangereift. Diese Einheit in der Vielfalt sollen wir vertiefen an statt sie durch irgendwelche Verträge zu zerstören.
Ernst Ulz: Trotzdem haben wir noch keine Eucharistiegemeinschaft.
Albert Rauch: Das ist doch nebensächlich!
Ernst Ulz: Ja?
Albert Rauch: Wichtig ist die "Communio" - echte Gemeinschaft unter Christen. Die "Kommunion" ist nur eine Form dieser Gemeinschaft. Was ist denn mehr "communio"; Wenn ich aus Liebe zu orthodoxen Geschwistern drei Stunden ihrer Liturgie beiwohne, oder wenn ich schnell einmal in einen Gottesdienst reinsause, um die Kommunion abzuholen?
Manche evangelische Christen feiern zu Hause kaum das Abendmahl, aber wenn sie in ökumenischen Kreisen sind, bekommen sie plötzlich eucharistischen Hunger. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Ernst Ulz: Aber ist es nicht gerade die Eucharistie, die die Christen vereint?
Albert Rauch: Das kann nicht stimmen! Unsere Urgroßmütter und -väter sind sehr gerne in die Kirche gegangen und haben viel Gutes getan - haben aber bloß ein Mal im Jahr die Kommunion empfangen. Unser heutiger lässiger Umgang mit der Eucharistie erregt bei den Orthodoxen Anstoß. Ich war jüngst bei der Amtseinführung des rumänischen Patriarchen Daniel. Nicht einmal der neue Patriarch höchstselbst hat die Kommunion empfangen! Wir sind fixiert auf die Abendmahlsfrage!
Ernst Ulz: Worauf sollten wir dann schauen?
Albert Rauch: Dass die Eine Kirche immer wieder bedroht ist durch den, der alles spaltet: "den Zerstreuer", wie man "diabolos" - das griechische Wort für "Teufel" - übersetzen sollte. Aber Spaltung bekämpft man nicht mit den Waffen des Verstandes, sondern indem man die Gemeinschaft der Liebe verstärkt.
Ernst Ulz: Was bedroht denn die Einheit der Kirche?
Albert Rauch: Die Einheit der Kirche kann nicht bedroht werden. Die Kirche ist immer eins. Nur die Einheit der Christen ist bedroht, und zwar überall. In den orthodoxen Schwesterkirchen ist es beispielsweise die Tendenz, sich immer noch mehr voneinander in eigenständige nationale oder regionale Teilkirchen zu trennen.
Ernst Ulz: Um den inneren Zusammenhalt der Christenheit dreht sich auch das neue Dokument der offiziellen katholisch-orthodoxen Theologenkommission, das erste nach der Dialogpause. Worum geht es da?
Albert Rauch: Das Grundbemühen des Ravenna-Papiers ist die Frage nach der "protia", der Rolle des "Ersten" oder "Erstverantwortlichen" in der Kirche. Es erläutert, dass es auf allen Ebenen der Kirche seit jeher ein solches Amt des "Ersten" gibt: Innerhalb der Eucharistiegemeinde ist es das Bischofsamt, an dem die Priester Anteil haben. Dann gibt es Kirchenprovinzen oder die Metropolien, also Zusammenschlüsse von einzelnen Ortskirchen. Und schließlich haben bestimmte historische Bischofssitze ein besonderes Gewicht: die "Patriarchate".
Ernst Ulz: Wie kam das?
Albert Rauch: Zunächst waren das Bischofssitze, die auf einen der Apostel zurückgingen: Antiochien in der heutigen Türkei, Alexandrien in Ägypten, Jerusalem - und dann Rom. Aber schon bei Rom spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass sie die Kaiserstadt war. Im dritten Jahrhundert verlagerte Kaiser Konstantin den Schwerpunkt des Römischen Weltreiches dann nach Konstantinopel, in das heutige Istanbul. Infolgedessen wertete die Kirche den dortigen Bischofssitz immer mehr auf. Das Konzil von Chalzedon nannte im Jahre 451 folgende Reihenfolge der Patriarchate: Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem.
Im Laufe der Jahrhunderte weitete sich die Kirche von Rom immer weiter aus, während die Ostkirchen immer mehr eingeengt wurden.
Ernst Ulz: Wie kommt das nun in dem Ravenna-Dokument zur Sprache?
Albert Rauch: Orthodoxe und katholische Theologen erkennen an, dass der Bischofssitz von Rom aus geschichtlichen Gründen eine besondere Rolle einnimmt.
Ernst Ulz: Ist das eine Neuheit?
Albert Rauch: Neu ist, dass sie es so deutlich sagen. Neu ist auch, wie sie von diesem "Primat", reden: Sie sprechen der Kirche von Rom eine bestimmte Welt-Verantwortung zu, aber nicht Welt-Jurisdiktion, also keine Befehlsmacht.
Ernst Ulz: Sahen das auch die katholischen Kommissionsmitglieder in Ravenna so?
Albert Rauch: Ja. Heute stellt man diesen juridischen Aspekt mehr zurück.
Ernst Ulz: Was muss sich an der Ausübung des Papstamtes ändern, damit die Orthodoxen es annehmen können?
Albert Rauch: Die Christen im Osten haben die Entwicklung des Papsttums nur bis zum Ende des ersten Jahrtausends mitgemacht, weil sie danach vom Westen abgeschnitten waren. Deswegen sagte Joseph Ratzinger in den 60er-Jahren, man solle von den Orthodoxen nicht mehr verlangen, als was im ersten Jahrtausend Übung war. Das sieht er heute als Papst immer noch so. Im ersten Jahrtausend war Rom - vereinfacht gesagt - die oberste Instanz, die man in äußersten Konfliktfällen anrufen konnte. Aber Rom sollte den Orthodoxen nichts vorschreiben, nicht in ihre Bereiche eingreifen.
Ernst Ulz: Die russisch-orthodoxe Delegation hat die Beratungen in Ravenna vorzeitig verlassen und damit das Dokument nicht unterzeichnet. Welchen Wert haben dann die Beschlüsse?
Albert Rauch: Kirchliche Dokumente haben immer schon zwei Phasen durchlaufen: Den Beschluss und die Annahme oder Umsetzung durch die Teilkirchen. Beim Trienter Konzil (1545 bis 1563) vergingen dazwischen hundert Jahre! In dieser Form wird das Ravenna-Dokument von der russischen Orthodoxie derzeit nicht anerkannt werden, aber es wird eine Wirkungsgeschichte haben.
Ernst Ulz: Angeblich waren innerorthodoxe Zwistigkeiten Ursache für den Boykott.
Albert Rauch: Die Russen fürchten, dass Konstantinopel plötzlich sagen könnte: "Gleich nach Rom kommt Konstantinopel. Was der Papst für den Westen ist, ist der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel für den Osten, für die Orthodoxen." Da wird Moskau ärgerlich. Man muss bedenken, dass drei Viertel aller Orthodoxen zur russischen Kirche gehören, und nur einige Tausende zu Konstantinopel.
Ernst Ulz: Die Russen würden also lieber Rom als "ersten" Bischofssitz anerkennen als Konstantinopel?
Albert Rauch: Da ist etwas dran. - Auch wenn kein Orthodoxer das so sagen würde.
Ernst Ulz: Obwohl es ständig zwischen der Russisch-Orthodoxen und der Katholischen Kirche knirscht? Viele fragen sich, wann der russische Patriarch Alexij endlich den Papst treffen will.
Albert Rauch: Warum muss denn immer gleich das im Mittelpunkt stehen, was die Journalisten wollen: ein gemeinsames Foto? Das ist doch nebensächlich! Die Gemeinschaft ist stärker, als wir denken, und hängt nicht von solchen Gesten ab.
Ernst Ulz: Die katholische Kirche hat 2002 vier Diözesen in Russland errichtet, und die Orthodoxen waren stocksauer. Wo liegt das Problem?
Albert Rauch: Wir sollten uns eigentlich als Schwesterkirchen betrachten und deswegen alles, was wir auf einem Gebiet machen, absprechen. Das ist nicht geschehen. Ich finde, dass katholische Bischöfe, auch wenn sie einen anderen Ritus haben, eine besondere Beziehung haben sollten zum "Ersten" vor Ort, in diesem Fall zum Moskauer Patriarchen.
Ernst Ulz: Was stellen sich die Orthodoxen überhaupt unter "Ökumene" vor?
Albert Rauch: Metropolit Pitirim von Volokolamsk sprach von drei Formen der Ökumene: Die "kleine" Ökumene ist die zwischen Katholiken, Protestanten und Orthodoxen. Die "große" Ökumene ist jene mit den Religionen und anderen Weltanschauungen. Aber die "Superökumene" ist die mit der ganzen Schöpfung.
Konkret bedeutet das, dass die russische Kirche sich stark im interreligiösen Dialog engagiert. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel Bartholomaios setzt sich sehr für die "Superökumene" ein, also für ein harmonisches Zusammenleben mit der Schöpfung. Das hat ihm den Beinamen "der grüne Patriarch" eingebracht. Viele Russen sehen sogar die ganze Schöpfung als einen großen Organismus, der eine "Seele" hat, die ihn zusammenhält.
Ernst Ulz: Gemeinhin denkt man aber beim Wort "Ökumene" an die Versöhnung unter den Kirchen.
Albert Rauch: Das ist einseitig! Das griechische Wort "oikoumene" kommt von "oikos" - das Haus - und bedeutet: die ganze bewohnte Erde. Unsere Worte "Ökologie" und "Ökonomie" haben die selbe Wurzel.
Ernst Ulz: Trotzdem zurück zur "kleinen" Ökumene: Was können katholische und evangelische Christen hierzulande tun, um ihre Gemeinschaft mit den Orthodoxen zu stärken?
Albert Rauch: Sie könnten gelegentlich konkrete Zeichen der "communio" mit den hier anwesenden Orthodoxen setzen: ihre Gottesdienste besuchen, oder ihnen Kirchen, Gesellschaftsräume und praktische Hilfe zur Verfügung stellen. Das ist gar nicht so einfach, weil die Orthodoxen in vielen Ausdrucksformen so ganz anders sind, dass man anfangs auch etwas schockiert sein könnte.
Bestimmte Leute müssen dann auch in ihre Herkunftsländer fahren, sie besuchen, bei wichtigen Festen dabei sein …
Ernst Ulz: Also das tun, was Sie eingangs den "Dialog der Liebe" nannten.
Albert Rauch: Genau so ist es. In Freud und Leid verbunden sein, weil wir zur Einen Kirche Christi gehören.
Ernst Ulz: Herzlichen Dank für diese Einladung zum Umdenken.