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und die Theologie des 20. Jahrhunderts

 

von Prof. Dr. Barbara Hallensleben, Fribourg

 

Meine Herren (wage ich mit P. Klein zu sagen),

fast als die einzige unter Ihnen habe ich P. Klein nie persönlich kennengelernt. Nun, dem lässt sich vielleicht doch etwas Positives abgewinnen: Was geschieht, wenn P. Klein "überliefert" wird an diejenigen, für die er nicht Spiritual im engeren oder weiteren Sinne war? Wenn seine Worte "ausgeliefert" werden an solche, die ihm nie von Angesicht zu Angesicht begegnet sind? Wird er Tradition? Oder wird er verraten? Das ist ein aktuelles Problem, dem wir z.B. gerade in der Kommentierung des II. Vatikanums begegnen. Was passiert, wenn die Generation der enthusiastischen Zeitzeugen die Früchte des Konzils an spätere Generationen weitergeben soll? Wenn eine Theologieprofessorin wie ich, die selbst keine Erinnerungen an das Konzil hat, zu Studierenden spricht, für die das Konzil graue Vorzeit ihrer eigenen Kirchenerfahrungen ist?

P. Klein und die Theologie des 20. Jahrhunderts - das Thema wurde mir vorgegeben. Dafür bin ich sehr dankbar, denn auf diese Weise bin ich etwas weniger verantwortlich für die Folgen. "Schuld" ist Karl Rahner, wie Sie wissen - ein bisschen mehr Gisbert Greshake, der Rahners Äußerung in den Artikel im Lexikon für Theologie und Kirche aufnahm - und am Ende auch Klaus Wyrwoll, der mir den Titel vorgeschlagen hat. Im Rückblick würde ich sagen: Das Thema trägt indirekt sehr gut dazu bei, P. Klein richtig zu überliefern und nicht zu verraten. Nehmen wir einen Vergleich: Wir beginnen ein Ignatius-Jahr: 450 Jahre nach seinem Tod. Stellen Sie sich vor, der Festvortrag trüge den Titel: "Ignatius von Loyola und die Schulrichtungen der Barockscholastik des 16. Jahrhunderts". Sie würden sagen: Na ja, das mag ja für Spezialisten nicht uninteressant sein, geht aber doch an dem vorbei, was Ignatius war und was er für uns heute bedeutet. Damit die Frustration hier und heute nicht allzu groß wird, sage ich im voraus: Ich meine, P. Klein sollte in dem, was er war und für uns bedeutet, nicht unter dem Aspekt der systematisierten Theologie gewürdigt werden.

Wenn ich von jemandem sage: Der ist kein Theologe - dann kann das Verschiedenes heißen. Wenn ich das von einem meiner Kollegen in der Theologischen Fakultät in Fribourg sage, ist es eine vernichtende Kritik. Wenn ich dasselbe von Mary Ward oder gar von Jesus von Nazareth sage, dann ist da eine ehrfürchtige Würdigung, die besagt: Es gibt etwas, das nicht weniger, sondern mehr ist als die Theologie, aus dem die Theologie beständig lebt. Nicht die Theologie, jedoch die Weisheit des Theologen sollte entscheiden können, wo Theologie am Platz ist und wo nicht. P. Klein wollte nicht Theologe sein, sondern Spiritual. Das sollten wir respektieren.

Auf diesem Hintergrund nehme ich einige Thesen vorweg:

  1. P. Klein war kein Theologe im engeren Sinne und sollte nicht unter diesem Aspekt gewürdigt werden.
  2. Er hat nichts direkt und unmittelbar getan, um die Theologie des 20. Jahrhunderts zu erneuern und weiterzuführen.
  3. Das war wohl auch aus Gründen, die nicht allein von ihm abhingen, kaum möglich.
  4. Kritisieren kann man ihn dort, wo er zu viel Theologe ist, d.h. Wo er seine Intuitionen zu systematisieren versucht, dabei aber von der unreformierten Theologie seiner Zeit abhängig bleibt.
  5. Insgesamt wird man wohl sagen dürfen, dass er den Stellenwert der Theologie für das Leben der Kirche unterschätzt hat.

Als ich begann, meinen Vortrag zu schreiben, war Neujahrstag, das Fest der Mutter Gottes, der Mutter des Neuen, und ich habe den Hymnos Akathistos gehört, den Hymnus des Mariengeheimnisses, der wie folgt anhebt:

Aus dem Himmel her trat ein Erzengel in die Welt des Sichtbaren,
der Gottesmutter den Freudengruß zu sagen.
Und als er dich mit seinem leiblosen Wort
zugleich leibhaft werden sah, o Herr,
da stand er außerstande und jubelte ihr zu:

Sei gegrüßt, durch dich leuchtet das Heil hervor;
sei gegrüßt, dunkel wird das Unheil vor dir.
Sei gegrüßt, den gefallenen Adam richtest du wieder auf;
sei gegrüßt, von ihren Tränen erlösest du Eva.

Sei gegrüßt, allem menschlichen Überlegen hoch überlegen bist du;
sei gegrüßt, so abgrundtief erschauen dich die Engel nicht einmal.
Sei gegrüßt, von Uranfang des Friedefürsten Thron;
sei gegrüßt, denn du trägst den, der alles erträgt.

Sei gegrüßt, du Stern, der offenbart die Sonne;
sei gegrüßt, aus deinem Leib wird Gott der Menschensohn.
Sei gegrüßt, aus dir wird die Schöpfung neu geboren;
sei gegrüßt, durch dich wirkt der Schöpfer ungeboren als Kind.

Sei gegrüßt, du jungfräuliche Mutter!

So ganz ihres lauteren Wesens inne bekannte sie vor Gabriel:
Das Wunder deiner Rede vermag ich nicht wahrzuhaben;
denn mit Jauchzen kündest du mir die göttliche Erwählung an:

Halleluja - Halleluja - Halleluja!

Ist das die hymnische Fassung dessen, was P. Klein wesentlich übermitteln wollte: das Mariengeheimnis? Und sagt er nicht selbst über den Johannes-Prolog: Das ist ein Lied, und: "Ein Lied singt man eigentlich, sonst versteht man es schwerer" (J 19)?

Bleiben wir zunächst bei der Aufgabe, die uns gemeinsam gestellt ist: "P. Klein und die Theologie des 20. Jahrhunderts". Das ist "nicht etwas Schweres, sondern etwas Unmögliches" (J 158). Lassen wir P. Klein das freundliche kleine "und" als Ausdruck seiner bewussten Distanz zur Theologie: "Es geht hier nicht um das wissenschaftliche Studium der theologischen Wissenschaft. Ich bin Ihr Spiritual, nicht Ihr Professor" (R 213). Wenn schon Professor, dann war ihm die Philosophie lieber. Von Joseph Ratzinger, der ihn mit Sokrates verglich, fühlte er sich verstanden und geschmeichelt.

Erst recht unmöglich ist der zweite Teil des Titels: Wer vermag schon das kaum zuende gegangene 20. Jahrhundert in seiner theologischen Entwicklung und Bedeutung auszuwerten? Zur Zeit von P. Klein muss es Theologen gegeben haben, die den Weltuntergang nahe wähnten "aus dem einfachen Grund, weil in der Theologie alles schon zu Ende behandelt und nichts mehr zu tun sei" (KJ 306). Von dieser Naivität ist die Theologie wohl gründlich geheilt. Wie in jeder guten Wissenschaft haben sich die Fragen als wichtiger und beständiger herausgestellt als die Antworten. So möchte ich mich hier darauf beschränken, exemplarisch einige Fragen zu benennen, die die Theologie des 20. Jahrhunderts - immer noch, wiederum oder auf neue Weise - bewegen:

  1. Es ist - immer noch - die alte Lessing-Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Geschichte, sei es in Lessings eigener Variante, der Geschichtswahrheiten für zufällig und Vernunftwahrheiten für notwendig hielt, oder in der umgekehrten Überzeugung, Vernunftwahrheiten seien doch höchst beliebig, während man sich an positive Geschichtswahrheiten wenigstens irgendwie halten könne.
  2. Da ist die leidige Debatte über das Verhältnis von Natur und Übernatur, die wohl nicht deshalb abgeklungen ist, weil sie eine Lösung gefunden hätte, sondern weil sie sich als ausweglos erwies und man ihrer überdrüssig geworden war. Inzwischen ist sie in ihrem eigentlichen Kern wieder aufgetaucht als Frage nach der Natur selbst, die nach den naturwissenschaftlichen Forschungen desselben Jahrhunderts weit weniger eindeutig und mit sich identisch ist als die Moderne annahm. Muss am Ende der Platz für den würfelnden oder liebenden, Wunder wirkenden Gott gar nicht mehr erkämpft werden? Führt uns die Natur selbst zu dem, was nicht nur Natur ist?
  3. Da ist die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, die angesichts der modernen Subjektivität aporetisch geworden ist: Für das Subjekt ist die Gemeinschaft bei allem vorübergehenden Gewinn letztlich Entfremdung und Begrenzung der Freiheit. Für die Gemeinschaft ist das Subjekt der beständige Störfaktor. Ist unter diesen Umständen das soziale und politische Projekt der Menschheit überhaupt zu retten? Kenner sagen, die westliche Demokratie sei nur noch die Atrappe ihrer selbst.
  4. Damit geht einher der zermürbende Verdacht, im Gegenüber von Wahrheit und Interesse könne sich letztlich nur das Interesse durchsetzen, das auf Selbsterhalt und Selbststeigerung zielt. Unmittelbar steht die ethische Frage auf dem Spiel: Können wir an Freiheit und Verantwortung des Menschen appellieren, oder ist das nur noch ein Vorwand, um durch Gesetze und materiellen Anreiz den Eigennutz der einzelnen wie der Nationen in einem labilen Gleichgewicht zu halten?
  5. Angesichts der universalen Ausweitung der Kommunikation von den Medien bis zur Wirtschaft wiederholt sich in dem Verhältnis von Einheit und Pluralität, Globalisierung und Partikularisierung die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft. Ohne Zweifel bringt die Globalisierung als Gegenreaktion eine neue Betonung der eigenen begrenzten Identität mit sich. Wer zu Europa gehört, achtet besonders darauf, dies als Deutscher, Italiener, Schwede, Rumäne zu tun. Wie kann ein partikulares Zeugnis - und sei es das Bekenntnis zu Jesus Christus - Bedeutung haben für den ganzen Globus, ja Kosmos?

An diesem Übergang zur Frage der christlichen Verkündigung wird deutlich, dass ich die Grundfragen der Theologie des 20. Jahrhunderts aus einem säkularen Kontext gewonnen habe. Auf keine anderen Fragen antwortet im Licht des Glaubens die Theologie, und das sollte sie nicht vergessen.

  • Albert Schweitzer findet in seiner monumentalen Geschichte der Leben-Jesu-Forschung weder über die Vernunft noch über die Geschichte zu Jesus Christus. Der Weg der Liebe als Ehrfurcht vor dem Leben, der ihm zum Ausweg wird, führt ihn aus der Theologie heraus in das Urwaldhospital in Lambarene.
  • Adolf von Harnack sieht sich genötigt, die Wissenschaftlichkeit der Theologie an ihre historisch-kritische Akribie zu binden.
  • Henri de Lubac riskiert seinen kirchlichen Ruf als Theologe, um eben dieser Kirche den Ort der übernatürlichen Gnade mitten in der Natur der Schöpfung selbst aufzuzeigen.
  • Das II. Vatikanische Konzil gibt der Theologie auf, ihre vielfältigen Wahrheiten entschieden nicht vom einzelnen Glaubenden, sondern von der Kirche her zu denken, von der Communio im Zeichen der dreifaltigen Communio Gottes.
  • Hans Urs von Balthasar sucht das Unbedingte als Gestalt in der Geschichte, die sich der Vernunft auferlegt und von deren kritischer Kraft weder gesetzt noch aufgehoben werden kann.
  • Karl Rahner arbeitet in seiner Transzendentaltheologie einen Weg aus, auf dem der suchende Geist zu sich selbst kommt. Die kategoriale Geschichte ist dabei Anlass und Durchgang der Selbstvergewisserung des Geistes, praeambulum, würde P. Klein sagen, nicht weniger und nicht mehr. Die Natur ist ja "immer schon" überhöht durch das übernatürliche Existential. Das ist für P. Klein zu abstrakt und zu spekulativ. Das Mariengeheimnis ist die personal formulierte Variante dieses übernatürlichen Existentials. Kein Wunder, dass die höchste Würdigung für P. Klein gerade von Karl Rahner stammt…

Die Liste der Suchbewegungen der Theologie im 20. Jahrhundert könnte lang fortgesetzt werden, insbesondere für die zweite Hälfte des Jahrhunderts, als die Frage der Pluralität der Religionen und Kulturen in den Vordergrund tritt und auch P. Klein nach seinem Abschied aus dem Germanicum immer stärker zu beschäftigen beginnt. Halten wir hier nur fest, dass alle Fragen zusammenlaufen in der einen großen Frage: Wer ist der Mensch? Der Mensch, aufs äußerste pervertiert und geschunden in den beiden Weltkriegen; der Mensch, in seinen äußersten Möglichkeiten wie nie zuvor freigesetzt und damit sich selbst anvertraut - und ausgeliefert. "Homo nostri temporis vult scire quid ipse, secundum Dei consilium, revera sit. Divina enim revelatio non solum manifestat quid sit Deus sed etiam quid plene sit homo. Mysterium Christi non est solum epiphania Dei, sed etiam, ut ita dicam, epiphania plenitudinis hominis. Christus est secundus Adam, novus homo, vere lex mundi; et Maria, eius Mater et adiutrix, est secunda Eva et regina mundi". "Jawohl, so ist es" (VA 427), hätte P. Klein vielleicht dazwischengerufen (wie während der Predigt von Nuntius Lajos Kada zum 80. Jahrestag seines Priesterweihe am 28. 10. 1992), wenn er dabei gewesen wäre bei dieser Wortmeldung von Cardinal Radulfus Silva Henriquez aus Santiago de Chile am 28. Oktober 1964 während der 105. Generalkongregation des II. Vatikanischen Konzils. Im Konzilsdokument Gaudium et Spes wird daraus die unscheinbare und doch so abgründige Äußerung: "Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung […] Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt" (GS 22). Ich habe sehr aufgehorcht, als in der Sitzung der Internationalen Theologischen Kommission Anfang Dezember des vergangenen Jahres unwidersprochen gesagt wurde: Diese Aussage war unverkennbar die Schlüsselstelle für die Pontifikatszeit Johannes Pauls II. und hat eine starke inspirierende Kraft für die ganze Theologie - aber theologisch erklären können wir sie nicht.

P. Klein und die Theologie des 20. Jahrhunderts - was also besagt das "und"? P. Klein als Spiritual des Collegium Germanicum et Hungaricum spricht in einer polarisierten Situation im politischen wie im kirchlichen Bereich:

  • Es ist die Zeit der geistigen und politischen Neuordnung Europas nach den Schrecken des II. Weltkriegs, noch unter dem Schock der totalen Perversion all dessen, was Menschsein ausmacht und schon wieder angesichts der politischen und ideologischen Grenzen des Eisernen Vorhangs, zugleich aber im wachsenden Optimismus eines sich abzeichnenden ökonomischen Aufschwungs und einer geistig-geistlichen Erneuerung.
  • Es ist innerkirchlich eine polarisierte Situation: In ein und demselben Jahr 1950 wird die Enzyklika "Humani generis" veröffentlicht, die überall Niedergang und Verrat wittert (und der wir immerhin die Aufzeichnungen von P. Klein verdanken), und es wird das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel proklamiert, das der Menschheit ein großartiges Zeichen der Hoffnung vor Augen stellt. P. Kleins Exhorten sprechen hinein in den Aufbruch der Konzilsankündigung, in den Aufruf der Kirche, auf neue, nicht-konfessionelle Weise "katholisch" zu werden. Mit seinen Reisen nach Japan und China trägt er die Öffnung für andere Kulturen und Religionen entschieden mit und lässt sich von seinen Erfahrungen bewegen.
  • Und er selbst spricht vor 120 Priesteramtskandidaten in roten Soutanen, die ihren Katechismus kennen und eine gesunde kirchliche Sozialisierung mitbringen, deren theologische Ausbildung sich in recht unerschütterten Bahnen bewegt und die bei aller gelegentlichen Skepsis und Müdigkeit mit der Bereitschaft da sind, mit der Unbedingtheit ihrer Bereitschaft zur Nachfolge auf ihren Spiritual zu hören. Die Professorin des beginnenden 21. Jahrhunderts, die in Fribourg schon den Kinderkatechismus nicht mehr voraussetzen kann, wird für einen Moment neidisch, besinnt sich dann aber schnell eines Besseren.

P. Klein tut das Beste, was er in dieser Situation tun kann, wohl nicht nur deshalb, weil er als Spiritual auch nicht viel anderes tun kann: er hält sich aus den polarisierenden Streitigkeiten heraus. Er lenkt entschieden den Blick auf den lebendigen Glauben, der in der Liebe wirksam wird (Gal 5,6). Er führt zur Quelle aller Erneuerung und Versöhnung. Im Hinblick auf die Theologie bedeutet das dreierlei:

  1. Er verweist die Theologie als Fachwissenschaft in den Bereich des puren Wissens, das im schlimmsten Falle "nur ein anderes Wort für Hölle und Teufel" ist (J 179), im besten Falle zum praeambulum der Gnade werden kann.
  2. Er lässt die Theologie, wie sie ist, und nimmt anknüpfend oder widersprechend in seinem Denken auf sie Bezug. Das ist nicht immer ein harmlos neutrales Geschehen, besonders wenn P. Klein sich damit in die Abhängigkeit unhinterfragt übernommener Theologoumena begibt.
  3. Man lasse sich nicht täuschen: Letztlich betreibt P. Klein "Theologie mit anderen Mitteln". Seine Auslegung der Heiligen Schrift lebt von einer gut durchdachten - sagen wir - philosophischen Hermeneutik, die sich der geschmähten Begriffe souverän zu bedienen vermag. Weder ihm noch der zeitgenössischen Theologie hat es gut getan, dass er seine Voraussetzungen nie offenlegen und auf der Ebene des partnerschaftlichen wissenschaftlichen Disputes erproben und differenzieren musste. Unter den gegebenen Umständen allerdings mag dies der beste Weg gewesen sein, der Theologie neue Wege offenzuhalten, deren Zeit noch nicht reif war.

Den weiteren Überlegungen sei daher ein prophetisches Wort aus P. Kleins Johannes-Kommentar vorangestellt, in dem er wohl auch sich selbst in eine noch ausstehende Entwicklung kirchlicher Einsicht einbezieht: "Ich stelle mir im Stillen vor, wie etwa nach weiteren, sagen wir fünfzig Jahren, dies fünfte Kapitel [des Johannesevangeliums] in der Kirche erklärt wird, wenn in der Theologie die Wahrheit von der Muttergottes weiter entfaltet sein wird […], wenn die Sprache der Kirche in ihrer beständig lebendigen Entfaltung das Mariengeheimnis immer mehr auch aus der Hl. Schrift erklingt, wo sie jetzt noch verhüllt steht. Dann wird alle Bibelbetrachtung noch unsäglich persönlicher und lebendiger, als wir uns heute vorstellen können […] Dieses Geheimnis, im ersten christlichen Jahrhundert noch ganz verhüllt, wird mehr hervortreten im Lauf der Weltzeit im Grad, als der Widersacher hervortritt" (J 325; vgl. 386). Da diese Betrachtung am 3. Februar 1960 gehalten wurde, haben wir übrigens nicht viel mehr als vier Jahre Zeit, um P. Kleins Verheißung zu erfüllen …

Geben wir nun endlich P. Klein das Wort in diesem Horizont des 20. Jahrhunderts, den er ja mit seiner Lebenszeit fast vollständig ausgeschritten hat. Lassen wir ihn hineinsprechen in eine die Theologie erschütternde Entdeckung der Wende zum 20. Jahrhundert: die Wiederentdeckung der eschatologischen Dimension der Verkündigung Jesu. Erstmals 1892, in zweiter, erweiterter Auflage genau im Jahre 1900 erschien das Buch "Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes" von Johannes Weiss. Wenn Jesus das Reich Gottes wirklich als eine eschatologische, von Gott her zu verwirklichende Größe ansieht, wie die biblischen Texte besagen - so Weiss -, dann ist es aus mit der beruhigten und beruhigenden Idee zeitgenössischer protestantischer Theologie, das Reich Gottes sei ein Reich der sittlichen Gerechtigkeit in dieser Welt, damit "innerweltlich und seine Verwirklichung eine Sache der menschlichen Selbstthätigkeit" (zit. nach Weiss 243). Der Gedankengang ist völlig konsequent: Jesus wusste sich als Messias. Er wusste zugleich, dass er das Reich Gottes nicht herbeiführen kann, da dies nur Gott selbst vermag. Das verborgene Apriori, das Anti-Dogma schlechthin, ist unübersehbar: Gott handelt nicht in der Geschichte, auch nicht in Jesus von Nazareth. Jesus muss erst durch seinen Tod diese Welt verlassen, damit er dann vom Himmel her als Messias eingesetzt werden kann. "Damals ging ein Erschrecken durch die theologische Welt", berichtet Rudolf Bultmann, und er erinnert sich in seinem Geleitwort zur Neuausgabe der Schrift von Weiss, "wie Julius Kaftan im Kolleg über Dogmatik sagte: 'Ist das Reich Gottes eine eschatologische Größe, so ist es ein für die Dogmatik unbrauchbarer Begriff" (zit. nach Weiss V). Albert Schweitzer ist fasziniert von dem Gedanken und erweiterte ihn zu seiner eigenen Lösung der Leben-Jesu-Problematik: Jesus, der das Scheitern seiner Verkündigung und das Ausbleiben des Reiches Gottes erlebt, führt die Verheißung eigenmächtig herbei, indem er höchst geschickt seinen Tod in dieser Welt provoziert. Die eschatologische Botschaft trifft durch ihr Scheitern hindurch ein - und so wird die Eschatologie ein für allemal aufgehoben. Schweitzers eigener Entwurf eines Lebens Jesu unter dem Vorzeichen des Messiasgeheimnisses endet mit dem Todesschrei am Kreuz - was gäbe es von dieser gott-losen Welt her denn sonst zu melden? Was bleibt, ist das heroische Gegenzeugnis der Nächstenliebe, nun wieder Sache menschlicher Selbsttätigkeit geworden und (1952) mit dem Nobelpreis gekrönt.

Auf diesem Hintergrund tönt P. Kleins Redeweise wie ein unerhörter Paukenschlag: "Dieser Mensch ist Gott" (J 43, 126 und passim), Jesus von Nazareth ist "der fleischgewordene Gott selbst" (J 46). "Jesus ist das Reich Gottes" (J 128). Der schlichte Name "Jesus" verstärkt die Wirkung dieser Aussage. Für die Leben-Jesu-Forschung bleibt da nur eine abschätzige Randbemerkung: "Man hat zu allen Zeiten solche sogenannte 'Leben Jesu' geschrieben. Aber die lassen leicht vergessen, dass der Mensch, dessen Leben da steht, der unendliche Gott selber ist" (J 319). Kein Zaudern, kein Wenn und Aber, keine Erklärung. Das Bekenntnis des Glaubens steht fest und erfährt eher noch eine provokante Verstärkung: In Jesus steht der Schöpfer selbst vor uns: "Jesus war und ist die unendliche Person des Schöpfers Himmels und der Erde, der ewige Sohn des ewigen Vaters" (J 293). Ja, sogar die Negation wird hinzugefügt: "Jesus ist nicht Geschöpf" (J 188f., vgl. 399, 561). Die anti-arianische Spitze ist unverkennbar: "Jesus ist nicht Geschöpf, wie die Arianer bis heute es ausdrücken. Er ist der Schöpfer" (KJ 73). Giuseppe Trentin (43, Anm. 40) zitiert P. Kleins Berufung auf den Artikel des Thomas von Aquin "Utrum haec sit vera: Christus, secundum quod homo, est creatura". Was finden wir, wenn wir den Artikel aufschlagen?

Thomas pflegt seine Untersuchung mit der Negation seiner eigenen Meinung zu beginnen. Hier nun lautet der erste Satz: "Videtur quod haec sit falsa: 'Christus, secundum quod homo, est creatura'. Und tatsächlich läuft die Antwort des Thomas auf eine differenzierte Verteidigung derselben Aussage hinaus: Steht homo in dem untersuchten Satz für das suppositum, sagen wir: für das Satzsubjekt, so ist die Aussage falsch, da dieser Träger in Jesus die ewige Person des Logos ist. Steht homo jedoch für die Menschennatur, so kann die Aussage bejaht werden, quia ratione humanae naturae, sive secundum humanam naturam, convenit sibi esse creatura. Ja, der Satz ist sogar mehr richtig als falsch, denn in der Frage steht homo durch seine Hervorhebung eher für die Natur als für die Person. P. Klein hat nichts Falsches gesagt. An vielen Stellen verteidigt er die wahre Menschennatur Jesu und weist jeden Doketismus von sich. Und doch hat er einen Akzent gesetzt, der mitwandern wird durch alle Auslegungen, bis in das Mariengeheimnis hinein. Besser: Er hat eine Lücke gelassen, die anderweitig gefüllt werden muss. Da ist kein Staunen über die Beteiligung des "Fleisches" Jesu am Erlösungsgeschehen, über seine Menschennatur als instrumentum coniunctum, wie Thomas sagen würde. Die Negation - "wo er doch nicht mehr im Fleisch da ist" (VA 224) - dominiert über die vereinzelte Rede vom "unbefleckten auferstandenen Fleisch des Herrn" (J 396). Da ist kein Jubel über die Menschennatur Jesu, die in seiner Himmelfahrt zur Rechten des Vaters erhöht ist. Eher ein erleichterter Abschied von der Gestalt, die der Ambivalenz der Geschichte unterliegt: "dieser bloß geschichtliche Jesus wird geschichtliche Vergangenheit, aber der die bloße Geschichtlichkeit Besiegende, vom Grab des Fleisches Auferstehende wird in seinen Gläubigen leben, weiterleben, der eine Christus in vielen gläubigen Christen" (VA 57; vgl. 87).

Maria tritt bei P. Klein in die Lücke der Menschheit bzw. Menschlichkeit Jesu. Giuseppe Trentin beginnt seine vorzügliche Einführung in das "Mariengeheimnis" in den Manuskripten von Wilhelm Klein mit der präzisen Zusammenfassung: "In principio, in Maria, actus purus der Schöpfung, erschafft der Schöpfer sich eine menschliche Natur, in der er den unendlichen Abstand überwindet, der ihn von den Geschöpfen trennt, und Mensch wird" (5). Da ist er wieder, der unendliche Abstand, der Johannes Weiss und Albert Schweitzer umtreibt. Wie kommt Gott in die Geschichte? Gar nicht, sagen Weiss und Schweitzer, jedenfalls nur ohne und gegen diese Schöpfung. Durch Maria, das reine Geschöpf, sagt P. Klein. "Geschaffene Vermittlung" wird Maria immer wieder genannt (J 65), und sie ist ein "muss": "In diesem Sichselbstbezeugen des Schöpfers in seinem geschaffenen Wesen muss aber eben jene geschaffene Vermittlung erscheinen, in der dieses Zeugnis geschieht" (J 65). Wo Gott in der Geschichte handelt, ist er "Gott in Maria" (J 47f.) - sonst wäre er nicht in der Geschichte. Der ewigen Vermittlung in der Heiligsten Dreifaltigkeit (J 171) entspricht die geschaffene Vermittlung, "Maria" oder "reine Schöpfung" genannt. Schärfer - sicher zu scharf - sagt es der Altgermaniker Herbert Biesel in seinen Bemerkungen zu P. Kleins Römerbriefkommentar: "Die Gnostiker erfanden den Demiurgen; Wilh. Klein die »reine Schöpfung«" (5,187).

Das führt uns zu der Frage: Wovon ist eigentlich die Rede, wenn P. Klein "Maria" sagt? Sicher nicht von dem isolierten historischen Individuum Maria von Nazareth (vgl. Trentin 43 mit Anm. 40), wie es auch nicht um ein Individuum namens Jesus in Palästina vor 2000 Jahren geht. Das wäre nur eine nestorianische Reduktion des fleischgewordenen Gottes. Das Mariengeheimnis geht zurück auf die arche der Schöpfung. "In principio" lautet der Titel von Giuseppe Trentins Werk: "Gott sprach, es werde Licht. Da ward das Licht, das reine Geschöpf. Und die Möglichkeit des Nein. Und diese Möglichkeit [nicht Gott!] sprach: Es werde Finsternis. Da ward die Nacht, das gefallene Geschöpf, in der Weltgeschichte" (J 25). Ein banaler Dualismus wird sorgfältig vermieden. Gott schuf nicht die Finsternis (J 244). Sobald Gott sein Leben im anderen seiner selbst mitteilt, ist die Immaculata da, das reine Geschöpf. "Gott schafft die reine Schöpfung, den Himmel. Aber die Möglichkeit des Abfalls ist damit geschaffen. Gott schafft Himmel und Erde. Gott schafft, und die liebende Schöpfung antwortet dem Schöpfer im dankenden Ja, antwortet auf das Fiat seiner Liebe mit dem Fiat ihres liebenden Hörens. Sie, die reine Schöpfung, tut im Uranfang die Wahrheit gegen die Versuchung, Nein zu sagen" (J 197). "Das, was wir so in den ersten Zeilen der Bibel lesen, ist das Urgericht, die Urscheidung, die Urentscheidung, am Anfang, und im Anfang. Die im ersten Licht ihres Daseins reine Schöpfung, ab initio et ante saecula, von Anfang vor allen Zeiten, wird geschieden, die erste krisis gegen jede macula originalis. So steht Schöpfung und Schöpfungsgericht in initio viarum suarum, im Anfang der Offenbarung Gottes" (J 197). Und das Entscheidende: "Der Abfall und die Welt und das Weltgericht berührt aber nicht das reine Geschöpf, die Immakulata, in das der Schöpfer selbst seinen liebenden Sohn sendet durch den Liebeshauch des Geistes" (J 199). Steht hier Grignion de Montfort im Hintergrund, der die Schöpfung ebenfalls, wenn auch auf andere Weise, in verschiedene Bereiche einteilt?: "Gott schuf eine Welt für den Menschen im Zustand des Erdenwandels, es ist diese sichtbare Welt; er schuf eine Welt für den Menschen im Zustand der Seligkeit, es ist der Himmel; aber er schuf auch noch eine andere Welt für sich, und er nannte sie Maria, eine Welt, die fast allen Sterblichen hienieden unbekannt und allen Engeln und Seligen im Himmel droben unbegreiflich ist" (Gesammelte Werke IV, Freiburg i.Ue. 1929, 22: Geheimnis Mariä I,2).

Zumindest zwei elementare Rückfragen drängen sich hier geradezu auf:

  1. Nach den klassischen Auslegungen des Schöpfungsberichts ist der "Himmel" nicht eine reine, nie gefallene Schöpfung, sondern die Welt der Geistgeschöpfe, die unserer raumzeitlichen Schöpfung nicht beziehungslos nebengeordnet ist, sondern deren geistige Entsprechung in der Welt der Engel darstellt. Auch die Welt der Engel ist vom Sündenfall betroffen, ursprünglicher sogar als die Welt der materiellen Geschöpfe. Auch diese himmlische Welt bleibt vom Sündenfall auf Erden nicht unberührt. Die Engelwelt kann nicht schlechthin reine, erlöste Schöpfung sein ohne die Erlösung der Welt des Fleisches, für die Gott Fleisch geworden ist. Nach Thomas ist die Scheidung zwischen Licht und Finsternis nicht unmittelbar auf ein geistliches Gericht hin zu deuten: "Per tenebras non intelligitur peccatum angelorum, sed informitas corporalis naturae, quae formanda restabat" (In II Sent. d. IV, q.1, art. 3, ad 4; vgl. STh I,67,4, ad 4). Wenn wir auch die gefallene Schöpfung benennen wollen in ihrer Qualität als Bild nach dem Bild Gottes im Sohn, als erwählt zur Braut des Lammes - müssen wir dann wirklich eine Scheidung in verschiedene Bereiche der Schöpfung vornehmen, oder geht der Bruch nicht mitten durch die eine Schöpfung hindurch? Sie ist gute Schöpfung, immaculata im Herzen Gottes, aber nichts in ihr ist ausgenommen von der Schuldgeschichte. Das Dogma von 1854 definiert ja mit Marias besonderen Würde zugleich ihre Bedürftigkeit, durch die Gnade Gottes von der Erbsünde bewahrt werden zu müssen.
  2. Gott ist Fleisch geworden nicht einfach in die nie gefallene Schöpfung des Anfangs hinein. Maria ist die Wiederherstellung des Paradieses, insofern sie der Beginn der neuen Schöpfung ist. Denn der uns geschaffen hat ohne uns, wollte uns nicht erlösen ohne uns. Die Heilsgeschichte des Alten Bundes läuft nicht ins Leere. Sie wird gekrönt in der Tochter Zion, die Frucht der Gnade und der menschlichen Leidens- und Hoffnungsgeschichte ist. Das hat neben Joseph Ratzinger in seinem Büchlein "Die Tochter Zion" (Einsiedeln 1977) auch ein Germaniker sehr schön gezeigt: Karl-Heinz Menke mit seinem Buch "Fleisch geworden aus Maria. Die Geschichte Israels und der Marienglaube der Kirche" (Regensburg 1999). Ja, die erlöste Schöpfung ist das wiederhergestellte Paradies, aber nicht in der Rückkehr zum unberührten Anfang, sondern im Durchgang durch die felix culpa ihrer Geschichte, von der in der Solidarität der Geschöpfe niemand ausgenommen ist. Maria ist gemäß dem Dogma von 1854 vorerlöst im Hinblick auf die Verdienste ihres Sohnes, aber sie ist Erlöste, nicht nur rein Geschaffene!

Maria nicht nur von Jesus Christus her, sondern auch von Israel her zu verstehen, nicht nur von Gott, sondern auch von der Schöpfung her, ist eine Perspektive, die P. Klein fremd bleibt. Ein lutherischer Pfarrer kommt in seinem Nachdenken über die Auslegungen zum Kirchenjahr und in der Betrachtung eines Marienaltars auf den Gedanken: "Sollte Gott in Maria sein erwähltes Volk Israel und in ihm seine gefallene Schöpfung dennoch, um des Sohnes willen, also auch durch den Sohn, krönen?" (J 621). Das Brevier legt uns für den 1. Januar eine Lesung aus den Briefen des hl. Athanasius vor, der Maria als unsere Schwester bezeichnet, weil sie wie wir aus Adam hervorgegangen ist: "Soror étenim nostra est Maria, omnes quippe ex Adámo orti sumus" (lat. Brevier 391). P. Klein vermeidet die Formulierung von Chalcedon: consubstantialis patri secundum divinitatem, et consubstantialis nobis secundum humanitatem - in allem außer der Sünde. Er formuliert unter Berufung auf Leo d.Gr. die Parallele: consubstantialis Patri secundum divinitatem, consubstantialis Matri secundum humanitatem (J 198; KJ 54, 297f. 443; KJ 169). Im Tomus Leonis findet sich diese Formulierung nicht, und auch Papst Leo scheut sich nicht, das nos in die christologische Parallele einzubeziehen: In integra ergo veri hominis perfectaque natura verus natus est Deus, totus in suis, totus in nostris - nostra autem dicimus quae in nobis ab initio Creator condidit et quae reparanda suscepit (DH 293).

Wir sind bereits eingetreten in den Bereich der wechselvollen Geschichte, die sich ausspannt zwischen Schöpfung und Erlösung, Genesis und Apokalypse. Es gehört zur Größe des Denkers Wilhelm Klein, stets diese ganze Spanne vor Augen zu haben und vor Augen zu führen. Doch der "Geschichtsbesessenheit" (KJ 370), der "Geschichtsverklärung" (5a,432) seiner Zeit steht er skeptisch gegenüber. "Heute ist Geschichte zu einem Götzen der Gedankenlosigkeit geworden, auch und gerade bei den Gebildeten" (J 320). Zu klar sieht er die Versuchung, an der "bloßen Geschichte", an der superficies historica (KJ 412) "hängenzubleiben", den faktischen Zustand der Welt zu verwechseln mit ihrer göttlichen Berufung. So kommt es zu einer Gedankenreihe, in der gilt: "Geschichte ist nur ein anderes Wort für sarx Fleisch … Dasselbe ist auch gemeint mit den Worten, die wir schon kennen: Welt, Kosmos oder Finsternis oder Nichtaufnahme" (J 70), Sterben, Tod und Verwesen (vgl. KJ 359). "Diese Geschichte ist die versuchte Gegenschöpfung des Widersachers, durch den die Sünde in die Welt tritt und durch die Sünde der Tod" (KJ 359). In dieser Hinsicht muss Erlösung konzipiert werden als Überwindung der Geschichte (KJ 62), als Sieg über die Geschichte bzw. alles bloß Geschichtliche (KJ 79). "Gott der ewige Schöpfer hat keine Geschichte. Und auch die reine nie gefallene Schöpfung nicht, sie hängt dem unwandelbaren Schöpfer in ungewandelter Liebe an" (J 67). Im Evangelium geht es "um die Geschichte des Menschen, der der ewige Gott selber ist, um die Geschichte des ewigen Gottes, der in seiner Gottheit gar keine Geschichte hat und haben kann. Aber mit seinem geschaffenen Wesen in Maria ist er in die Menschengeschichte, in die Welt des gefallenen Menschen herabgestiegen" (J 194).

Was ist das, die Geschichte des Menschensohnes, der keine Geschichte hat?, die sarx des fleischgewordenen Gottes, dessen Fleisch vom Fluch des Fleisches bewahrt ist? Wäre hier nicht eine Theologie der "Geschichtsverklärung" im positiven Sinne zu entwickeln? Geschichte und sarx bleiben in demselben Schatten, in dem auch die Menschennatur Jesu Christi steht. Hier schleicht sich ein Dualismus zweiter Ordnung ein. Trotz gegenläufiger Zitate bleibt eine einseitige Gewichtung, die Helmut Feld wohl zu Recht dahingehend zusammenfasst, dass P. Klein "im Grunde völlig ungeschichtlich dachte" (VA 483), und zwar aus Prinzip und nicht nur aus mangelnder Kenntnis der Legende über Franziskus und den Wolf von Gubbio.

Das deutlichste Signal dieser Einseitigkeit ist wohl die ständig wiederkehrende Formulierung "Das macht es nicht", die sich bei P. Klein auf alles, aber auch auf alles bezieht, was in dieser Schöpfung nur begegnen kann, sogar auf ihn selbst und seine Möglichkeit, den Studenten das Evangelium zu erschließen. Dies ist tatsächlich eine Seite dessen, was wir "Sakrament" nennen: Als geschöpfliches Zeichen ist es "nur" Zeichen, "bloßes Zeichen", nicht die bezeichnete Wirklichkeit (J 117), es "macht die Gnade nicht". Positiv gesprochen kann nach P. Klein alles zum praeambulum der Gnade werden. Doch auch in dieser Formulierung klingt noch die Warnung vor der geschichtlichen Verabsolutierung des Zeichens an, die immer eine Versuchung bleibt. Wieder derselbe Schatten: Gott selbst wohnt in seiner Schöpfung - ist da nicht Grund zum Jubel, der alle Warnung zurücktreten lässt? Gott selbst lädt uns ein, auf den Wegen der Geschichte Frucht zu bringen, die bleibt, die der Vergänglichkeit der bloßen Geschichte entnommen ist und als Frucht des Heiligen Geistes eingeht in die neue Schöpfung. Hier vergesse ich alles "Das macht es nicht!" und singe überall, wo das geschieht: Sei gegrüßt, durch dich leuchtet das Heil hervor!

Noch einmal: Wen grüße ich eigentlich, wenn ich so singe und bete? Die namentliche Anrede "Maria" suggeriert Personalität, die mir aber von P. Klein als historische Individualität entzogen wird. Wie sonst ist diese Anrede gerechtfertigt? "Individuum" ist nach P. Klein eine Negativbestimmung: "vor Christus erst im Unterwegs zu ihm, noch nicht eigentlich entschieden; nur erst bloß: Individuen, wenn »dividuen« die sich Ent-scheidenden heißen, erst Individuen der Masse, noch nicht, was der wirkliche Glaube als Person ansprechen kann" (J 436). Person-sein ist also Entschiedenheit, nicht nur als moralischer Akt. "Das macht es nicht", können wir mit P. Klein sagen. Versuchen wir die Möglichkeiten der Theologie zu erproben, das Gesuchte zwar nicht begreifbar, aber doch verstehbar werden zu lassen. Person-sein ist die vom Geist Gottes gewirkte Befähigung, das Heil hervorleuchten, hindurchklingen zu lassen in unwiderruflicher, unverlierbarer Weise. Hindurchklingen, per-sonare, durch was? Durch das ganze Mensch-sein, die Geschöpflichkeit, die geschöpfliche Natur in ihrer Einheit als sapientia creata, als geschaffene Weisheit, die ihr Urbild in der ungeschaffenen Weisheit der göttlichen Natur hat. Maria ist das historische Individuum, das als erste der neuen Schöpfung Person im vollen Sinne geworden ist. In ihr ist die eine geschöpfliche Natur, in der sie mit uns allen kommuniziert, voll personalisiert. Sie ist das voll personalisierte menschliche Fleisch. Sie ist in einem ganz unmittelbaren Sinne "unser Leben, unsere Wonne, und unsere Hoffnung", die wir grüßen. In ihr steht uns vor Augen, wie die Personalisierung der Menschennatur durch den Logos in Jesus Christus unser menschliches Personsein nicht aufhebt und ersetzt, sondern ermöglicht und zur Vollendung bringt. Deshalb ist sie Typos der Kirche, ja sie ist die Kirche, die Braut des Lammes, die Braut des Heiligen Geistes, die Braut des Dreifaltigen Gottes. Denn wenn wir Person sind durch Personalisierung ein und derselben geschaffenen Weisheitsnatur der Schöpfung, dann sind der Einzelne und die Gemeinschaft keine Konkurrenten mehr.

Diese Person Maria ist nicht zu reduzieren auf das historische Individuum und ermöglicht doch oder gerade deshalb die Anrede mit ihrem historischen Namen hier und jetzt, weil sie in einer Kontinuität zu ihrer endlichen Geschichte steht. Diese Maria ist in der Einheit der menschlichen Natur bei bleibender Differenz der Person eins mit ihrem Sohn. Jesus Christus zur Rechten des Vaters wirkt nichts, was seine erhöhte Menschennatur tut, ohne seine verherrlichte Mutter, die eins mit ihm ist in seiner Sendung. In diesem Sinne ist sie nicht nur Mutter Christi, nicht nur Mutter der Kirche und der Christen, sondern Mutter aller Menschen, Grund der Hoffnung für jedes Geschöpf. P. Klein sagt mit dem Ausdruck "Träger" statt "Person" das gleiche: "Was aber da das Entscheidende ist, das eigentlich eine wahre Einheit zusammenschließende wirkliche Persönliche der Gemeinschaft im geschaffenen Wesen Christi in der Menschheit, deren unendlicher Träger der Sohn des ewigen Vaters im Hl. Geist ist, und deren geschaffener Träger die wahre Mutter im Anfang ist, das sehen wir nicht weltlich" (J 518; vgl. den Brief an Karl Barth: KJ 450). An diesem "Persönlichen" liegt P. Klein viel. Die theologische Rede von der Gnade als accidens stört ihn. In Maria will er die Gnade als eine personale Wirklichkeit aufweisen. Insofern er aber meint, sie dazu als reine Schöpfung von der gefallenen Schöpfung abtrennen zu müssen, wird die Geburt in Maria zu einer Art "Zurück" (J 130, 171, 453), zu einem Heraus aus der Geschichte. Wenn wir diese Geburt als Fortführung der Neuschöpfung sehen, die in Maria begonnen hat, dann ist sie ein eschatologischer Vorgang, der verborgene Beginn des Reiches Gottes in der Kirche und durch die Kirche. Davon spricht in der Tat die Konzilskonstitution Lumen Gentium in ihrem VIII. Abschnitt, der fast ebensowenig eine Wirkungsgeschichte hat wie P. Kleins "Mariengeheimnis": "Nun aber wird die Kirche, indem sie Marias geheimnisvolle Heiligkeit betrachtet, ihre Liebe nachahmt und den Willen des Vaters getreu erfüllt, durch die gläubige Annahme des Wortes Gottes auch selbst Mutter: Durch Predigt und Taufe nämlich gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen und unsterblichen Leben" (LG 64). Es ist ein guter Brauch nicht nur bei weiblichen Ordensgemeinschaften, den Beinamen Maria dem eigenen Namen hinzuzufügen. Denn Person werde ich in der Communio mit der bereits vollendeten Person Maria. Und in dieser Hinsicht richtet sich die Anrede "Maria" tatsächlich in einem Akt eschatologischer Hoffnung an jeden und jede von uns: Klaus Maria, Giuseppe Maria, Maria Barbara…

Bei P. Klein finden sich alle Redeweisen: Maria, das reine Geschöpf des Uranfangs der Schöpfung, bewahrt vor der Schuldgeschichte der Schöpfung; Maria, die kyriake, die Kirche; Maria in mir, in uns, in jedem, der das Wort Gottes aufnimmt. Eindrucksvoll ist vor allem seine Rede von der Kirche als Person: "Die Kirche ist Person, geschaffene Person, keine tote Sache; eine Person, die uns, die vielen, zusammenschließt und uns ein Herz und eine Seele werden lässt im auferstandenen Herrn, ihrem Sohn und Erstgeborenen, dass wir seine Brüder werden" (KJ 384). Die Kirche ist "geschaffene Personengemeinschaft, wie er [der dreifaltige Gott] ungeschaffene Personengemeinschaft ist" (VA 294).

Na also, du sagst ja selbst, dass sich alles bei P. Klein selbst findet, mögen Sie mir nun ungeduldig entgegenhalten. Aber so einfach ist es nicht. P. Klein hatte den großen Vorteil, über Nikolaus von Autrecourt promoviert zu haben. Bei diesem antimetaphysischen Philosophen des 14. Jahrhunderts lernte er ein Denken kennen, das Wahrheitsurteile nur als analytische Urteile im strengsten Sinn des Wortes gelten lässt. Erstaunlich unbewegt zieht er die Schlussfolgerung: "Wäre freilich dieser Satz so evident, wie Nikolaus ihn hinstellt, so wäre es um jeden eigentlichen Fortschritt im wissenschaftlichen Erkennen geschehen. Denn es ist klar, dass die Beschränkung unserer Gewissheit auf solche Folgerungen wie die von der Existenz eines Hauses auf die Existenz einer Hauswand - den Tod aller Realwissenschaft bedeuten würde, nicht nur den der Metaphysik und den der aristotelischen Naturphilosophie, wie Nikolaus meint" (a5,98f.). Vermag unser Denken, wenn es "einen wesensmäßigen Zusammenhang von »Einem« mit »einem anderen«" herstellen will, so der letzte Satz und die offene Frage der Dissertation, "letztlich zurückgehend auf die allgemeinste und wahrhaft erste Gewissheitsquelle, - die Einsicht in den Sachverhalt - auch solche Zusammenhänge als wesensmäßig notwendig zu erkennen, die nicht auf Identität beruhen?" (5,104). Die Antwort auf diese Frage hat P. Klein suspendiert. Sein Redestil als Spiritual scheint Ähnliches zu tun, nicht nur weil er gut ignatianisch die Schlussfolgerungen aus seinen Impulsen dem Gebet der Zuhörer überlässt.

So lautet meine Vermutung, dass es zwischen den verschiedenen Ansätzen, die uns P. Klein vorlegt, tatsächlich keine Brücke vom "Einen" zum "anderen" gibt, nicht nur keine analytische Brücke im toten Weltwissen, sondern auch keine geistlich-theologische in der erneuerten Schau des Glaubens. P. Klein ist genug Philosoph und Theologe, um das erstarrte Systemwissen seiner Zeit souverän zur Seite zu schieben - er ist nicht genug Philosoph und Theologe, um die Erneuerung der endlichen, aber potentiell sakramentalen Gestalten theologischer Begrifflichkeit in Angriff zu nehmen. Ja, er hat deren Stellenwert wohl letztlich unterschätzt. Während Yves Congar etwa gleichzeitig gegen die zeitgenössische neuscholastische Begrifflichkeit durch den Rückgriff auf Thomas von Aquin frischen Wind in die Theologie und in das Leben der Kirche bringt und sich ökumenischen Impulsen öffnet, hat P. Klein mitten in der Fülle der theologischen Zeugnisse, die ihn bewegen, keine vergleichbare Quelle. Nirgendwo ist seine negative Abhängigkeit von der Theologie seiner Zeit so offenkundig wie im Naturverständnis. Natur ist für ihn endliche, a-personale Materie in ihrer immanenten Gesetzmäßigkeit, gefallene Schöpfung (J 308), die Ordnung des nasci et mori (J 358), die Moritura. Sie muss durchbrochen werden, wenn Gottes Wunder geschehen sollen (J 289; 291). Wenn "Natur" so eindeutig gebraucht wird, dann ist es sogar für P. Klein schwer, in der Vieldeutigkeit aller irdischen Begriffe der Verheißung des divinae naturae consortes (2 Petr 1,4; J 375) einen realen Sinn abzugewinnen. Wie in der ganzen westlichen Theologiegeschichte der Moderne fehlt ein Personverständnis, das die Naturdimension einbezieht. Vergessen wir nicht die Kehrseite: Was er sucht, drängt kraftvoll hin zur Sophiologie, die eine erneuerte negative Theologie der Natur wie der Person ist und in der bleibenden Ambivalenz endlicher Begriffe ein Werkzeug zur Verfügung stellt, um das Mariengeheimnis zu einer Antwort auf die genannte Grundfrage des 20. Jahrhunderts werden zu lassen: Wer ist der Mensch im Geheimnis Gottes?

Es ist weniger gleichgültig, ob wir über dieses Werkzeug verfügen oder nicht, als P. Klein wohl meinte. Das zeigt eine Gegenprobe auf das Gesagte in seiner Altersweisheit. Er wird zum Zeugen gegen sich selbst, indem er aus seinem eigenen Denken Schlussfolgerungen zieht - Schlussfolgerungen meint ziehen zu müssen -, die sich gegen seine ursprünglichen Intuitionen wenden:

Die Schattenexistenz der geschöpflichen Seite des göttlich-menschlichen Geheimnisses wird in den Altersgedanken radikalisiert. Nun kommt es zur Formulierung einer Mitwirkungslehre, die dem radikalen Protestantismus in nichts nachsteht. "Der freie Mensch! Ich gebe zu: 0,00000, aber dann eine 1. Nein! Da bist und bleibst du 000 in indefinitum. Aber das sind wir: eine Null Gottes, ein Schatten Gottes, halitus tantum omnis homo, creatura. Auch die Mutter Gottes" (5,264; vgl. 289, 295, 362). Dem Nichts des Menschen entspricht das Alles Gottes: Gott "wirkt alles in allem, ta panta en pasin. Er ist die Liebe, er kann nur Liebe wirken" (VA 409) Der Einwand von Josef Peter: "Das bezieht sich aber nur auf die Charismen, muss der Exeget einwerfen" (5,323), verhallt ungehört. Die Extrembeispiele, die geradezu zur Nagelprobe für den rechten Glauben werden, sind immer dieselben: Hitler und Stalin sind unbedingt im Himmel. - Gott wirkt auch die Sünde (während P. Klein in seiner Bultmann-Kritik klar formuliert: "Die Kirche muss sich wehren gegen solche Ausdrücke, wie etwa: Diese Sünden Augustins, die er da erzählt von Buch I bis Buch VIII, waren in Gott getan. Das geht nicht. Du magst im Letzten ringen mit Gott um einen Ausdruck - diesen darfst du nicht anwenden": J 154). - Buddhisten, Moslems, schismatische Patriarchen, sie alle sind Ausdrucksgestalten der Liebe Gottes. Jeder Rest von Dualität wird beseitigt: "Also diese Unterscheidung von Natur und Übernatur, die ist hin-fällig, hinfällig. Und wenn ich sage. Alles ist Gnade, oder: Alles ist übernatürlich. Kann ich genauso gut sagen: Und alles ist natürlich" (5,438). Die Gegensätze berühren sich: Nichts kann eigentlich noch kritisiert werden, weil Gottes Liebe es ja gewirkt hat, selbst wenn ich das nicht begreife. Gleichzeitig mehren sich bei P. Klein geradezu lieblos kritische Äußerungen gegenüber der konkreten Gestalt der Kirche.

Führt das nicht zu einer gewissen Gleichgültigkeit?, fragen P. Kleins Gesprächspartner. "Gleichmöglichkeit, Gleichgültigkeit, Gleichwertigkeit", lautet die Antwort. "Es liegt nur daran, wie man es betont. Du kannst es so oder so ausdrücken. Vielleicht ein Buddhist: er drückt es so aus. Da sitzt ein Schintoist: er drückt es so aus. Da sitzt ein russischer Schismatiker usw. ein Patriarch. Und da sagst du: es ist alles gleichgültig - gleich gültig" (5,306). Diese Gleich-Gültigkeit tritt dann und genau dann ein, wenn die geschichtliche Gestalt radikal und definitiv von der in ihr erscheinenden göttlichen Liebe getrennt wird. Dann aber ist keine Gestalt mehr Sakrament der Selbstoffenbarung Gottes. Dann ist kein Name mehr der Name Gottes, in dem unser Heil ist und der die Anrede "Sei gegrüßt!" letztlich zu einer wirklichen personalen Anrede macht. Das Mariengeheimnis ist zu einem a-personalen "Prinzip" geworden. Dann bleibt der sich als alles in allem offenbarende Gott hinter seinen Gestaltwerdungen anonym. Dann aber ist auch mein Name nicht mehr in seiner unverwechselbaren Einmaligkeit eingeschrieben in Herz und Hand Gottes. Der völlige Verlust von Urteilsmöglichkeiten ist die Kehrseite einer überraschenden neuen erkenntnistheoretischen Eindeutigkeit, die P. Klein seiner Aussage "Hitler ist im Himmel - unbedingt" selbst zuspricht. Seine späte briefliche Äußerung: "In jedem Geschöpf schau ich Ihn" - ist in diesem theologischen Kontext nicht Mystik, sondern diejenige Univozität, in der die facta bruta identisch geworden sind mit der Erscheinungsweise der Liebe Gottes - also das genaue Gegenteil von dem, was die Geschichtsskepsis P. Kleins uns bislang gelehrt hat. Die gegenwärtige Auseinandersetzung mit der pluralistischen Religionstheorie handelt von nichts anderem.

Die Universalisierung, die P. Klein auf diesem Wege sucht, tritt nicht ein, ja sie schlägt um in ein beliebiges Auseinanderfallen der Gestalten. Die kostbare Spur zu wahrer Universalität in den Exhorten des Spirituals hatte über Glaube, Hoffnung und vor allem über die Liebe geführt. Gott ist die Liebe. Es ist seine göttliche Natur, zu lieben bis zur Hingabe seines Lebens an seine Schöpfung. Ich werde Person nach dem Urbild Marias, wenn ich die mir anvertraute geschöpfliche Natur nicht eigenmächtig als ein Interessen verfolgendes Individuum setze, sondern wenn ich mich setzen und senden lasse von dem, in dem durch den Geist der Liebe die Liebe des Vaters Fleisch geworden ist. Dies ist nur möglich in der Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott im Glauben, im Gebet, durch die Sakramente der Kirche und die Communio mit allen sakramentalen Spuren des Handelns Gottes in der Geschichte. In der missionarischen Kraft der Liebe, die durch Jesus Christus und seinen Geist in Maria bereits geschöpfliche Person, Kirche, Reich Gottes geworden ist, liegt die wahre Universalität christlichen Zeugnisses. Doch diese Liebe ist kein objektivierbares, eindeutiges Kriterium, an dem ich die Authentizität geschichtlicher Gestalten messen kann. Diese Liebe lässt ich nicht einlösen, indem alle eine Krankenpflegeausbildung absolvieren, wie P. Klein vorschlägt. In solcher Weise spricht die postmoderne Philosophie eines Gianno Vattimo, bei dem die anonyme, kriterienlose Liebe zum erklärten Ersatz für die überholte Welt der Dogmen wird. Wir sprechen von der Liebe, die durch den Heiligen Geist ausgegossen ist in unsere Herzen (vgl. Röm 5,5).

"Kindlein, liebet einander!" Wenn Ihnen dieses Referat streckenweise als sehr abstrakt vorgekommen sein mag, so werden Sie sich vielleicht wundern, dass ich in der Schlussfolgerung mit drei Worten auskomme und ganz mit P. Klein einig gehe. "Kindlein, liebet einander!" Im Kontext des gelebten und gefeierten und gesungenen christlichen Bekenntnisses enthält dieser Aufruf, auf die der Überlieferung nach der hl. Johannes im hohen Alter seine Verkündigung beschränkte, alles Notwendige. Dem braucht nichts hinzugefügt zu werden als die je größere Liebe selbst.

Wenn es stimmen sollte, dass P. Klein nicht in erster Linie als Theologe gewürdigt werden sollte, dann müssten wir jetzt gemeinsam überlegen, als was denn sonst? Was sollte in der 4. Auflage des "Lexikon für Theologie und Kirche" stehen? Vermutlich hatte P. Klein einfach recht zu sagen: Meine Bücher seid ihr! Dann aber fällt das Ergebnis dieses Referates gleichsam auf Sie zurück: Sie können dann P. Klein nicht überliefern, indem Sie weitergeben: P. Klein hat dies und jenes gesagt, sondern vermutlich auf andere Weise:

  • indem Sie die Liebe zur Heiligen Schrift vermitteln - wie Sie es von P. Klein empfangen haben,
  • indem Sie der Spur des Geheimnisses Marias in der Heiligen Schrift folgen - wie Sie es von ihm empfangen haben,
  • indem Sie glauben, dass die Frucht, die wir in der Liebe des Heiligen Geistes bringen, bleibt für das ewige Leben - wie Sie es von P. Klein empfangen haben,
  • indem Sie glauben, dass wir dieses Wirken Gottes in der Geschichte in aller Vieldeutigkeit irdischer Worte und Gestalten jetzt schon feiern und besingen dürfen, wie wir es in der Vesper gestern, im Dom heute morgen und anfangs im Hymnos akathistos getan haben.

 

Abkürzungen:

J = Johanneskommentar
R = Römerbriefkommentar
VA = Vorträge - Aufzeichnungen
KJ = Gottes Wort im Kirchenjahr
5, = Vorabdruck des unveröffentlichten Bandes 5
Trentin = Giuseppe Trentin, In principio. Il "mistero di Maria" nei manoscritti di Wilhelm Klein, Padova 2005