OKI-Logo Auch in Regensburg lädt man zum İftar ein

 

Rotaryclub Regensburg
1.12.2006

Ein Vortrag, spontan geplant nach den gefühlten päpstlichen Angriffen auf Mohammed - übrigens kann man das arabische Wort "Mohammed" im lateinischen am besten mit "Benedictus" wiedergeben, der Gesegnete.

Zwischen Freund Burghardts theologischen Kommentaren zur Ratzinger-Vorlesung und Freund Reicholds philosophischen Kommentaren zu Duns Scotus und Reformation und Kant, die Freund Reichold bei einem meeting im Frühjahr vortragen wird, heute einige Wirklichkeiten zum Islam, wie ich sie täglich mit meinen christlichen Studenten aus jetzt oder früher islamische geprägten Ländern erlebe, und wie ich sie erleben, wenn ich die Heimatländer meiner Studenten besuche im Gebiet des Osmanischen Reiches - eine Karte habe ich mitgebracht und reiche sie herum.

Konzilsteilnehmer Nikaia 325

Konzilsteilnehmer Trient 1545-1563

Oder auch hier in Regensburg, in der Ostengasse gibt es fünf türkische Geschäfte, und als ich gerade herkam, ging ich auch am türkischen Reisebüro von Tokçan vorbei, Herr Tokçan erhob sich wie immer von seinem Bürostuhl hinter dem Schreibtisch und grüßte ehrerbietig den Hodscha, den Geistlichen. Ich träume davon, nach meiner Pensionierung mal ein Jahr in İstanbul zu wohnen.

So entstand auch der Titel. Ich hatte gerade mit der türkischen Gemeinde zum İftar in der Moschee in der Lindnergasse gegessen, zum İftar, der abendlichen Mahlzeit nach dem Fasten den ganzen Tag über, da las ich in der Katholischen Presse-Agentur der Schweiz die Überschrift: "Auch in Brüssel wird im Ramadan zum İftar-Essen eingeladen" und gab das Freund Terhart als Titel für meinen heutigen Vortrag.

Auch in Regensburg lädt man zum İftar ein

Dann fand ich aber in der MZ vom 24. Oktober 2007 eine Überschrift: "ein edles ambiente beim interreligiösen Fastenbrechen"

Über mein İftaressen stand nichts in der Zeitung. Es war am Sonntag 1. Oktober 2006, nicht zum ersten Mal, auch in den vergangenen Jahren hatte ich schon eingeladen. Zunächst dachte ich, zu mir in die Ostengasse ins Institut einzuladen, und als wir über einen türkischen Koch sprachen, kamen Moscheevorstände und ich auf die Idee, ins türkische Restaurant Unter den Schwibbögen einzuladen. Dann meinte aber der Iman, im Restaurant stünden doch auf den Regalen gut sichtbar die vielen Flaschen mit Alkohol, und im Ramadan trinken selbst die nicht praktizierenden Muslime keinen Alkohol, also kann es für einige ein Skandal sein. "Sie laden ein, und unser Koch macht das Essen im Saal unter der Moschee in der Lindnergasse". So machten wir es auch in diesem Jahr am 1. Oktober.

Idee aus den Ländern des Ostens

Auf die Idee, zum İftar einzuladen, war ich in İstanbul gekommen. Dort erlebte ich zum ersten Mal, dass der katholische Bischof und der armenische Patriarch und mein Studienkollege Bartholomaios, den gestern der Papst besucht hat, Muslime einluden zum Abendessen İftar in einen Gemeindesaal oder auch in ein Restaurant. Wenn die Dunkelheit eingebrochen ist, nimmt man als Aperitif eine Dattel oder einen Schluck Wasser oder Saft. Der Imam singt das Gebet zum Fastenende - und zum Beginn des neuen Tages - "es ward Abend und Morgen, der erste Tag", diese biblische Tageseinteilung halten die Muslime und die Christen im Osten nicht nur im religiösen Bereich, sondern auch im gesellschaftlichen.

Nach dem Gebet beginnt das Essen, festlich, aber nicht üppig. Gute Unterhaltung, gute Reden. So ähnlich wie bei uns im Rotary-Club beim Gansessen. So auch in Regensburg.

Im ehemaligen Osmanischen Reich gibt es dann auch Gegeneinladungen der Moscheegemeinden an die christlichen Nachbarn, und die Muslime laden sich gegenseitig ein. Ein wichtiger Faktor für das Nachbarschaftsverhältnis. Nach dem Essen geht man dann zum Abendgebet in die Moschee. Zum Essen kommen alle, auch die "nichtkirchlichen" Nachbarn und Freunde. In die Moschee geht dann ein Drittel oder ein Viertel.

Man bietet den Nachbarn und Freunden viel an, meist wird in den islamischen Ländern mehr Essen eingekauft als wirklich gegessen, viel wird den Armenküchen gegeben, viel landet auch im Müll, die Müllabfuhr ist auf den Ramadan vorbereitet. Und die Leute nehmen in Kauf, dass die Kaufleute geschickt die Preise erhöhen im Ramadan. In der Hoffnung, dass die Kaufleute dann ein großes Almosen geben am Ende des Ramadan.

Dass der Ramadan das ganze Jahr durchläuft, lässt das Denken an Gott vor dem gesamten realistischen Hintergrund des Menschseins in der verschiedenen Jahreszeiten ablaufen.

Arche Noa

Der Ramadan beginnt an dem Tag, an dem Noach die Arche verlassen hat - also der neue Lebensanfang! - und endet mit der Nacht des Engels Gabriel, der dem Mohammed den Koran diktiert hat. Fasten hat auch eine katechetische Funktion: das Kind fragt "Mama, warum gibt es heute nichts zu essen?" und die Mutter kann erklären, Ramadan, Noah in der Arche, Koran, Gott.

Die fünf Säulen

Glaube
Ritusgebet
Solidaritätsabgabe
Wallfahrt nach Mekka
Fasten

Im Ramadan soll man verzichten, nicht nur auf Speise und Trank, sondern vor dem noch üble Nachrede, Verleumdung, Lügen, Beleidigungen. Und auf Geld und Sachen, die man besonders am Ende des Ramadan spendet.

Wortbedeutung

Ramadan oder Ramazan ist arabisch, ramida ist "brennende Hitze" Trockenheit, RAMDAA sonnengebrannnter Sand.

Entweder wegen des Durstes - man trinkt nicht den Tag über - oder weil der Ramadan die Sünden ausbrennt. Im Ramadan sind Herz und Seele für die Anbetung und das Gedenken an Gott empfänglicher, so wie Sand und Steine für die Hitze der Sonne. So hilft der Ramadan dem Gläubigen, sich neu zu formen.

Gespräche

Eine Lehrerin hat mal einige Gesprächsfetzen stenografiert. Ramadan hilft mir, näher zu Gott zu kommen. Das ist genau die Bedeutung des deutschen Wortes FASTEN.

Es kann sehr schwer werden, mehr als die fünf vorgeschriebenen Gebete zu verrichten, aber es lohnt sich. Gott hilft uns in allem. Ramadan ist ein Monat, der uns erfrischt in Gebet, Bitte um Verzeihung, Buße, Nachdenken, wozu ich eigentlich auf Erden bin.

Ramadan ist der Teil des Jahres, in dem wir Gott um Verzeihung unserer Sünden bitten und an die Armen denken, unseren Luxus schon deswegen aufgeben, damit wir beim Fasten tagsüber mal spüren, wie es denen geht, die aus Not Hunger und Durst leiden. Im Ramadan spürt man, wie schön der Islam ist, wie er Menschen zusammenführt.

Als Jugendlicher macht man ja so Ecken und Kanten in den Glauben. Ramadan hilft mir, sie wieder auszubügeln. Am Abend isst man zusammen und sagt sich die Erfahrungen und freut sich des Glaubens, und dass man es geschafft hat.

Theologische Erklärung

In den deutschsprachigen Glaubensbüchern für Muslime steht eine schöne Theologische Erklärung des Fastens, die auch in einem lutherischen oder katholischen Buch passen würde "Gott braucht unser Fasten nicht, weil er sich selbst genüge ist. Glauben ist Voraussetzung für eine Tat, die als Gottesdienst zählt. Eine Tat ohne Glauben wird von Gott nicht angenommen."

Interessant ein Blick ins LThK, Lexikon für Theologie und Kirche, das in Regensburg enstanden ist durch Bischof Buchberger: in der ersten Ausgabe von Buchberger in den dreißiger Jahren gibt es das Stichwort RAMADAN gar nicht. In der zweiten Ausgabe der fünfziger Jahre sind es 26 Zeilen und 3 Zeilen Literatur. In der dritten Ausgabe vom Ende des zweiten Jahrtausend sind es 21 Zeilen und drei Zeilen Literatur.

Vertrauen

Zum İftar in Regensburg lade ich auch meine Studenten ein, besonders gern kommen die mit, die eine enge gemeinsame Geschichte mit Muslimen haben, z.B. die Armenier. Wenn heute die Christen in muslimischen Ländern von westlichen Journalisten interviewt werden, klagen sie über Rechtlosigkeit oder Verfolgungen. Auch wenn sie mit westlichen Kirchenleuten sprechen, hüten sie sich, zu positiv über den Islam zu reden, weil die Christen im Osten wissen, dass der Westen heute den Islam als Gewaltpotential sieht. Und wenn sie zu positiv sprechen, könnten die Hilfsgelder weniger fließen.

Einige Stichworte aus Gesprächen und Beobachtungen, beim İftar oder bei Reisen, mit unseren ehemaligen christlichen Studenten oder den Bischöfen der jetzigen Studenten.

Da fällt mir auf, dass eigentlich erst im 19. Jahrhundert so richtig negativ über den Islam gesprochen wird und von Verfolgungen. In den vielen Jahrgängen der SÜDOSTEUROPA-Mitteilungen von Freund Schönfelds Südosteuropa-Gesellschaft ist das eindrucksvoll dokumentiert für den Balkan.

Bis ins 19. Jahrhundert haben die christlichen Kirchen sich gut entwickelt in den islamischen Ländern. Und auch heute gibt es viel Freundschaften. Unser ehemaliger Student aus Griechenland, jetzt oberster Denkmalpfleger Dr. Volanakis auf Rhodos erzählte uns gerade beim Papstbesuch in Regensburg, es gelinge ihm bei seinen häufigen Besuchen von Rhodos aus auf dem türkischen Festland nie, seinen Kaffee zu bezahlen. Das habe immer schon ein Einheimischer gezahlt "du bist doch unser Nachbar, du bist unser Gast".

Als die christlichen Völker am Rande des Osmanischen Reiches sich langsam befreiten, wurden die Christen im Osmanischen Reich nicht mehr so freundlich betrachtet. Als Griechenland 1823 entstand, wurde der Griechische Patriarch in İstanbul aufgehängt. Und so durch viele Jahrzehnte: Als Zypern geteilt wurde, wurde für hunderttauende von Griechen die Lage in İstanbul unhaltbar, sie flohen nach Griechenland. Die wenigen heute noch Verbliebenen nehmen es Griechenland übel, dass es bei seiner Politik die Griechen in der Türkei nicht berücksichtigt. Ich habe schon mal die Geschichte von dem Griechen in İstanbul erzählt …

Die friedliche Nachbarschaft zwischen Christen und Muslimen im Osmanischen Reich wurde auch getrübt durch die Heimkehrer aus den nicht mehr zum Reich gehörigen Gebieten, z.B. aus Serbien, die Familien der Soldaten usw., die keine guten Erfahrungen gemacht hatten in den verlorenen Kämpfen. In der Burg Sokol westlich von Belgrad las ich neulich in einem Buch über die Befreiung von den Osmanen die genüsslichen Beschreibungen, wie die serbischen Freischärler unter der Kreuzesfahne mit dem byzantinischen Adler die türkischen Frauen und Kinder niedermetzelten. Wer sich da retten konnte und nun in der Türkei unter vielen armenischen griechischen syrischen Christen wohnt, sieht diese Christen mit neuem Misstrauen.

Das führte zu den Vertreibungen der Armenier, auch vom deutschen Bundestag erst kürzlich verurteilt - ich habe den Text auf meiner Homepage.

In Spanien hat kein Muslim überlebt nach der Reconquista. Im Osmanischen Reich ist das Christentum stark geblieben bis ins 20. Jahrhundert, im Iraq bis zum ersten Überfall der Amerikaner und dem Embargo.

Warum wird der Islam so negativ gesehen heute?

Das ist immer wieder die bange Frage auch bei den İftar-Gesprächen. Die jungen Männer werden wegen ihres arabischen usw. Aussehens dauernd kontrolliert, auch in Regensburg. So gar unsere äthiopischen christlichen Ordensschwestern, die bei uns im Institut studieren und mit ihrer Kleidung wohl so aussehen, wie man sich Araber vorstellt, wurden in der Christnacht beim Heimweg aus dem Dom in Polizeigewahrsam genommen unter Terrorverdacht. Seitdem tragen die Ordenschwestern ein großes Kreuz um den Hals, wenn sie in die Stadt gehen.

Interessant, wie die Alten und die Imame antworten, wenn sie gefragt werden, warum die Christen gegen die Muslime sind. Sie sagen: ihr habt im Koran gelernt, dass die Christen gute Leute sind. Aber nicht alle Menschen in Europa sind Christen. Vieles wird von Nichtchristen getan, von Nichtgläubigen.

Dann wird dem Imam wieder entgegen gehalten: aber Bush hat zum Kreuzzug aufgerufen, wie vor tausend Jahren die Päpste. Oder ganz aktuell: Ministerpräsident Stoiber hat Dienstag 28. November beim Parteitag einer Partei, die das Wort "Christlich" im Namen führt, in Dresden gesagt "Die Türkei ist kein europäisches Land. Wir wollen nicht, dass die Kirchen immer weniger und die Moscheen immer mehr werden" - und hat frenetischen Beifall bekommen.

Muslime schützen radikale Glaubensbrüder

Dagegen rechnen wir im Westen alles Böse dem Islam zu. Der bisherige Gipfel an Vorurteil und Blauäugigkeit ist für mich ein Artikel in der MZ vom 22. November. Da wird allen "Kirchgängern" Moscheegängern vorgeworfen, sie geben keine Hinweise auf Radikalisierungen von "Glaubensbrüdern". Ich zitiere aus dem Artikel: "dabei merken die muslimischen Gemeinden nach Einschätzung von Experten frühzeitig, wenn junge Mitglieder radikal werden, sich aus der Moscheegemeinde ausgliedern…" Das müssen die Experten sein, die Papst Benedikt gesagt haben, der Toleranzaufruf Mohammeds in Sure 2 sei ein früher Text des Koran, als Mohammed noch schwach war. Als wenn 100 % der Muslime in die Moschee gingen oder es nur eine Moschee gäbe - selbst in Regensburg gibt es mindestens vier. Ich versuche, den Satz mal auf christliche Kirchgänger anzuwenden, die merken, wie sich ein Gewalttäter entwickelt…

Selbstmordattentäter

Harakiri entstehen auch ganz anders. Ich habe selbst in Israel miterlebt: eine junge Mutter muss zusehen, wie israelische Militärfahrzeuge den Ölgarten des Vates dieser junge Mutter zerstören, jahrtausende alt, Lebensgrundlage der ganzen Großfamilie. Wenige Stunden später sprengte sie in Tel Aviv sich und einen Linienbus in die Luft. Eine arabische Katholikin übrigens.

Minderwertigkeit

Alle Gespräche mit Muslimen in meinem Leben sind geprägt von deren Minderwertigkeitskomplexen. Wirtschaftlich sind sie in den letzten Jahrzehnten ganz zurückgeblieben, ihre Ethik ist ja auch das Gegenteil von Max Weber. Politisch sind sie machtlos. Und wo ein Staat stärker ist, wird er vom Westen angegriffen, wie z.B. Iran oder Iraq.

Iraq und Israel, das sind zwei Realitäten, die den einfachen Menschen im Nahen Osten ratlos und hoffnungslos machen, ob nun Muslim oder Christ. Es war ein harter Schlag, als der Vatikan, der Heilige Stuhl, den Staat Israel in den neunziger Jahren anerkannte und Diplomatische Beziehungen mit Israel aufnahm. Bis zur Anerkennung bestand die Hoffnung, dass doch dieses Unrechtsgebilde eine Verfassung bekommt und lebt, in der menschenwürdige Formen für alle dort Lebenden garantiert werden. Heute wird der Iran beschimpft, wenn er das Ende des Staates Israel fordert. Dabei war und ist es der Wunsch der offiziellen Diplomatie des Vatikans und der Wunschtraum der Christen und Muslime in der Gegend, und der laute Schrei der orthodoxen Juden in Israel selber, mittlerweile eine halbe Million orthodoxer Juden in Israel.

Vielleicht ist Ihnen im Sommer 2005 aufgefallen, dass Papst Benedikt beim üblichen Sonntagsgebet auf dem Petersplatz als Anliegen das Gebet für die Terror-Opfer ansagte und einige Beispiele sagte, Iraq, Afghanistan, Madrid … aber nicht Israel. Auf Nachfragen der Journalisten erklärte der Vatikansprecher, damals noch vom Opus Dei, der Papst hätte Israel nicht erwähnt, in Israel gäbe es ja Gewaltanwendung nicht nur von Seiten der sogenannten Terroristen, es gäbe nach jedem sogenannten Terrorakt dann eine Antwort des Staates, die meist viel mehr Tote bewirkte, Frauen und Kinder, die sicher nichts mit dem Terror zu tun hatten.

Nach dem berühmten 11. September in New York wagten der katholische Kardinal von New York und unser deutscher Militärbischof Walter Mixa zu sagen, jeder der Toten im Tradecenter sei zu bedauern, aber die Militäraktionen der USA in Afghanistan hätten ein Vielfaches von Toten hervorgerufen. Die Bischöfe wurden in den Medien niedergeschrien.

Eine irakische katholische Ordensschwester, Dominikanerin, die viel humanitäre Hilfe mit der jüdischen Gemeinde in İstanbul organisiert, sagte mir in İstanbul, von den eintausendneunhundert Juden, die im Trade Center in Neu York arbeiten, seien zufällig alle bis auf fünf an jenem 11. September wegen Krankheit oder Zugverspätung oder Zufall nicht zum Dienst erschienen.

Das Selbstbewusstsein der Muslime weltweit wird durch solche Einsichten immer geringer, die Verzweiflung wächst, auch bei den Christen im ehemaligen Osmanischen Reich. Die Christen verlassen das Land, in dem unser Christentum entstand. Nur in die Türkei wandern sie zurück, die Syrer aus Deutschland.

Der Iraq war das christlichste Land bis vor fünfzehn Jahren, jede Kirche aller christlichen Kirchen renoviert, viele neugebaut, jedes Pfarrhaus modernisiert, Intelligenz, Wasser, Öl. Ich war zu Beginn des Embargo im Iraq: keine Moschee war von den Amerikanern bombardiert, wohl aber einige Kirchen. "Wer will den Nahen Osten christenfrei machen?" hieß damals ein Artikel in der Zeitschrift der Franziskaner. Und die Frage bleibt aktuell in den Gesprächen in der Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen im Nahen Osten. Im Iraq läuft ja wirklich ein Völkermord, mit Zerstörung der gewachsenen Kultur. Die Christen haben Freunde im Ausland und verlassen das Land in den letzten Wochen und Monaten in Scharen, fast so schnell wie die Sachsen Rumänien verließen vor 15 Jahren. Einer unserer ehemaligen Studenten war Direktor des Priesterseminars der Syrer in Mossul, er hält uns auf dem Laufenden, solange er es noch dort aushält.

Orhan Pamuk

Ich habe erst ein Buch des Friedensnobelpreisträgers Literatur 2006 gelesen "Das schwarze Buch." Da fällt mir das am meisten auf, wie die Leute in İstanbul sich dauernd fragen, warum die Türken nicht vorankommen und warum ihre Wirtschaft nicht floriert und warum so viele auswandern müssen, um zu arbeiten. Ich bin gespannt auf die nächsten Orhan Pamuk, die ich noch lesen werde. Ob da auch die Minderwertigkeitskomplexe der Muslime und der Türken so deutlich werden.

Die Türken in der Türkei sind in einer eigenartigen Situation. Und ich freue mich, das mal ein Jahr lang richtig zu erleben, wenn ich als Pensionär in İstanbul wohne. Eine Regierung und eine Verfassung mit einer Trennung von Kirche und Staat, wie wir sie nur aus der Sowjet-Union und aus Mexiko kennen, vielleicht noch Kuba: nämlich mit starker Kontrolle der Kirche durch den Staat, staatliches Religionsministerium, noch schärfer als in Mexiko: staatliche theologische Fakultäten, staatliche Prediger in allen türkischen Moscheen auch außerhalb der Türkei. Verbot jedes religiösen Zusammenschlusses, jedes Besitzes von religiösen Gemeinschaften. Religiöse Bauten nur mit staatlicher Genehmigung. Die religiösen Orden halten ihre Gottesdienste als Folklore-Veranstaltungen, z.B. die Tanzenden Derwische. Kopftuch darf Frau nicht in öffentlichen Einrichtungen tragen. Darum studieren tausende türkischer Mädchen in Sofia oder in Plovdiv oder in Sarajewo. Und die christlichen Frauen, die natürlich auch nie ohne Kopftuch im Gottesdienst sind - wie unsere Mütter und Großmütter, wundern sich, dass in Deutschland das Kopftuch zu einem muslimischen oder gar islamistischen Zeichen stilisiert wurde.

Diese Verbote gelten in der Türkei natürlich nicht nur für muslimische Einrichtungen, sondern auch für christliche. Für die christlichen allerdings nicht so streng, weil sie durch die Konsulate und durch die vielen internationalen Kontakte gegen strenge Anwendung der Gesetze geschützt sind.

Die frommen "kirchentreuen" Muslime in der Türkei sind durch ihre Zahl gegen strenge Anwendung der Gesetze geschützt, man kann einfach nicht alle Moscheebauten verbieten, wenn die Bevölkerung danach ruft und selber zahlt. So gibt es in İstanbul pro Kopf der Gemeindeglieder mehr christliche Kirchen als Moscheen.

Ich war dabei, wie 1972 die griechische Theologische Schule Chalki Heybeliada geschlossen wurde. Damals waren die privaten Koranschulen wieder aufgekommen, weil der staatliche Religionsunterricht nur noch Ethik und Gegenwartskunde brachte. Der Staat musste also alle gegen die Gesetze noch existierenden christlichen Privatschulen schließen, sonst hätte er die Koranschulen nicht verbieten können. Bei uns ist nur bekannt, dass die griechische Theologische Schule geschlossen ist und dringend wieder eröffnet werden müsste.

Der armenische Patriarch Mutafyan, ausnahmsweise mal kein ehemaliger Student in Regensburg (sondern Gymnasiast in Stuttgart) hat gestern sicher dem Papst erzählt, dass die Armenier seit Jahren das Religionsministerium bitten, eine Kirche bauen zu dürfen beim Musa Dagh (viele kennen den Roman von Franz Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh). Sie haben nicht einmal eine Antwort bekommen. In den wenigen Monaten, die Erdoğan schon einmal Ministerpräsident war, gab es nicht nur eine Antwort, sondern der Bau wurde genehmigt. Denn Erdoğan hält mehr von der Religion als die Verfassung seines Staates. Insofern schätze ich die Überschrift und mindestens einen Satz in einem Artikel in der WELT von gestern 30. November (Safer Senocak) "Warum den Papst und Erdoğan mehr verbindet als trennt." Das ist der Titel. Der Satz "Eine muslimische Türkei in einem religionsfernen Europa ist nicht vorstellbar, genauso wenig wie der laizistische türkische Nationalstaat in ein christliches Europa passen würde. Aber eine muslimische Türkei in einem christlichen Europa … als Avantgarde des Weltfriedens?" Soweit DIE WELT.

Ein Beispiel, welch kuriose Blüten die Unkenntnis des Westens über seine eigene Geschichte treibt, welche Grenzen auch heute neu aufgerichtet werden, finde ich in einem Papier aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken vom Frühjahr 2004. Da wird von einem Mitarbeiter sehr deutlich und richtig festgestellt, dass die Wurzeln Europas in der jüdisch-christlichen und in der griechisch-römischen Kultur und Zivilisation liegen.

Dann sagt das Papier plötzlich, und ich zitiere es mit Schmunzeln, wegen dieser Wurzeln dürfe die Türkei nicht Mitglied der EU werden. Keineswegs will ich hier für eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU werben, so wenig wie ich für eine Mitgliedschaft von Rumänien oder Bulgarien eintrete. Gegen eine Mitgliedschaft gibt es sicher wichtige Gründe.

Aber in dem Land, das wir heute Türkei nennen, liegen doch die Wurzeln der jüdisch-christlichen und der griechisch-römischen Kultur, selbst in den bunten Reiseprospekten Türkei finden Sie die griechischen Tempel und die römischen Festungen, die Höhlenklöster und das Marienheiligtum Ephesus.

Stellvertreter Christi

In dem Land, das wir heute Türkei nennen, liegen die großen Basiliken der Ökumenischen Konzilien, die die Christenheit von Ost und West im ersten Jahrtausend gemeinsam gefeiert haben unter der Leitung des Römischen Kaisers aus der Hauptstadt des gesamten Römischen Reiches Byzanz Konstantinopel, die wir heute İstanbul nennen. Auf dem Gebiet der heutigen Türkei liegt das alte Armenien, der erste Staat, der die christliche Religion als Staatsreligion annahm im Jahre 301, also Jahre bevor Kaiser Konstantin im heidnischen Westen in Mailand diese christliche Religion überhaupt nur tolerierte. Die Überzeugung der frühen Christenheit, deren große Mehrheit in dem heutigen Kleinasien oder der Türkei lebte, die Überzeugung der frühen Christenheit, dass der Staat nicht ohne Religion existieren kann, lebt in den einfachen Menschen der Türkei bis heute.

Nicht selten kann man von orthodoxer Seite Kritik an der aus östlicher Sicht religiös-moralischen Schwäche der Kirchen im westlichen Europa hören. Die westliche Gesellschaft habe ihre religiöse Basis und Stütze verloren, und das Scheitern der Aufnahme des Gottesbezugs in die Europäische Verfassung, wofür die Kirchen so sehr gekämpft haben, scheint den orthodoxen Kritikern Recht zu geben.

Wie immer man zu dieser Kritik stehen mag: Steckt nicht in ihr im Kern doch insofern etwas Wahres, als die Menschen in Westeuropa aus der notwendigen Trennung von Kirche und Staat zugleich auch die Trennung von Religion und Politik betrieben haben und betreiben, die Verdrängung des Religiösen ins rein Private?

Haben die Europäer vielleicht auch deshalb ein Problem mit dem Islam, weil sie ein grundsätzliches Problem mit der Religion haben?

Gewiss soll Europa nicht ein "Club der Christen" sein oder werden, aber doch ist das Christentum, wie Jacques Delors ausdrückte, "die Seele Europas". Die jüngsten Ereignisse um die europäische Verfassung haben deutlich gemacht, wie zerbrechlich die politische Einheit Europas ist. Die Absichten der Politiker und die Regelungen der europäischen Verwaltungsbehörden stimmen oft nicht überein mit der Meinung der gläubigen Menschen in Osteuropa, der evangelischen, katholischen, orthodoxen und muslimischen Gläubigen. Es muss wiederum ein europäischer Geist erwachen, eine Einmütigkeit im Denken der Menschen entstehen, es muss die Idee Europas bei den friedlich zusammen lebenden und gemeinsam handelnden Völkern dieses Kontinents wieder lebendig werden.

Oft finde ich in diesen Jahren Ernst Wilhelm Böckenförde zitiert: "Der freiheitliche Staat lebt von Grundlagen, die er selbst nicht garantieren kann, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben." Gäbe der Staat wirklich seine Freiheitlichkeit auf, wenn er die Menschen daran erinnert, dass sie sich einem höheren Wesen verdanken?

Das tut selbst der angeblich laizistische Staat Türkei. Einfach weil so unendlich viele gläubige Menschen vieler Religionen in ihm leben. Und im Ramadan gemütlich İftar miteinander essen, z.B. in Regensburg. Ich nehme mir vor, Sie im nächsten Jahr alle einzuladen.

Dr. Nikolaus Wyrwoll
Ostkirchliches Institut
Regensburg