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von Erzbischof Serafim, Metropolit von Deutschland



Metropolit SerafimHeilig - Heiligung - Heiligkeit: was ist da zu sagen aus der geistlichen Erfahrung der Kirche Jesu Christi, die sich als "rechtgläubig - orthodox" bekennt?

"Das ist der Wille Gottes - eure Heiligung" (1 Thess 4,3), weil Gott selbst heilig ist: "Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig" (Lev 19,2). Das Wort "heilig", das in unserer Alltagssprache nicht vorkommt, hat nur dann einen Sinn, wenn diese unsere Sprache und die gesamte Wirklichkeit Anteil hat an der Heiligkeit Gottes. Wir nutzen die runde Jahreszahl 2000, um uns des umfassenden Heilswillens Gottes neu bewusst zu werden.

Wir tun das mit noch größerer Freude und Bereitschaft, weil die Unterzeichnung vom 31. Oktober 1999 in Augsburg, die historische Übereinkunft des Lutherischen Weltbundes mit der Katholischen Kirche über die Rechtfertigung allein aus Glauben, ganz der alten orthodoxen Tradition der Verklärung und Vergöttlichung des Menschen entspricht und ein fast lächerliches Missverständnis zwischen Christen beendet hat.

Vergöttlichung, Verklärung, griechisch Theosis, ist der zentrale Begriff der östlichen Tradition für die Heiligung der Schöpfung einschließlich des Menschen. Wir orthodoxen Christen bringen damit zum Ausdruck, dass die Vergebung der Schuld nicht nur den Menschen in sich heilt, sondern vor allem die Beziehung zu seinem Schöpfer. Heiligkeit ist nicht nur irgend eine Gabe Gottes an den Menschen, sondern der Heilige Geist selbst, "der ausgegossen ist in unsere Herzen" (Röm 5,5). "Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist" - diese Spendeformel für die Firmung hat die Katholische Kirche nach dem II. Vatikanum von der orthodoxen Tradition übernommen.

Gerade im Blick auf den 31. Oktober 1999 meine ich, "Theosis" könnte zum Schlüssel für die Lehre vom Heil des Menschen werden, denn dieser Begriff verbindet die Heiligkeit Gottes, das Heilswerk Jesu Christi und die heilbringende Sendung des Geistes mit der Rechtfertigung und Heiligung des Menschen in der Gemeinschaft der Heiligen, der Kirche.

Bezeichnenderweise hat der orthodoxe Patriarch Bartholomäus von Konstantinopel den 6. August als das Kernfest des Heiligen Jahres gewählt. Papst Johannes Paul hat die Anregung aufgenommen und dem Termin eine besondere Stellung im Heiligjahr-Kalender gegeben. "Verklärung des Herrn" heißt das Fest in Deutschland, Transfiguratio, Metamorphosis nennen es die Griechen, Scimbarea la Fata, Verwandlung des Antlitzes, heißt es bei uns Rumänen. Wir lesen die Verklärung Jesu Mt 17,1-9 und spüren, dass Heiligung nicht ein juristischer Prozess ist zwischen dem entfernten Gott und dem sündigen Menschen, nicht eine Rechtfertigung als Rechtsprechung. Gott und Mensch waren ja immer und sind auf ewig miteinander verbunden; "in IHM leben wir, bewegen wir uns und sind wir" (Apg 17,28) mitten in den normalen Abläufen dieser Welt.

Heiligung ist ganz konkret das heilende Tun Gottes in all unserem brüchigen Tun. Es geht um die "Heiligkeit" im Sinne der wahren Heilung der Seele und des Körpers, um ein Gesundwerden meiner Beziehung zu mir selber, die Gesundung der Gesellschaft und der Menschheit, um das Heilwerden der ganzen Schöpfung.

Als in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher wurde, dass der Mensch die Schöpfung nur als geistlose Materie betrachtet und sie schamlos ausbeutet, hat die Versammlung aller orthodoxen Patriarchen im März 1991 in İstanbul - Konstantinopel ein eigenes Fest der Ehrfurcht vor der Schöpfung eingeführt und es auf den 1. September gelegt, den Anfang des orthodoxen Jahreskalenders der Heiligen. Fast alle orthodoxen Patriarchen waren auf einem Schiff, das 1997 rund um das von Abwässern bedrohte Schwarze Meer fuhr, um zu bezeugen, wie anders unser Umgang mit einer Schöpfung sein müßte, die wir als Teil des Heilsplanes Gottes erkennen. 1999 veranstalteten viele Patriarchen ein Schöpfungs-Symposion, indem sie auf einem Schiff die Donau hinabfuhren und betend und segnend das Wasser als Lebensquell würdigten.

In einigen Sprachen merkt man sofort, dass "heil" mit "ganz" zusammen hängt, holy mit whole. Gottes Heilswille bezieht sich auf die ganze Schöpfung: er ist holistisch, universal, total, aber nicht totalitär: "Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten" (Tit 2,11). Um das Ganze zu retten, wird Gott ein Teil, ein armer Mensch ohne irdische Macht. Er errichtet keine globale politische Weltordnung, die unausweichlich totalitäre Züge trägt, sondern wandelt das Herz des Menschen. Im Angesicht Christi erkennen sich alle Menschen als Schwestern und Brüder; es gibt keine Über- und Unterordnung mehr. Im Angesicht Christi entfällt auch die Trennung zwischen dem Menschen und den Lebewesen und Dingen um ihn. Denn von der gesamten Schöpfung gilt, dass sie "bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt" (Röm 8,22). Der Mensch soll diese Schöpfung nicht als leblose "Natur" ausbeuten, sondern ihrer Heiligung dienen.

Der Gedanke der Theosis als Heil des Menschen wird in der Heiligen Schrift vielfach mit anderen Worten bezeichnet: Paulus umschreibt die gemeinte Wirklichkeit mit Ausdrücken wie "Kinder und Erben Gottes" (Röm 8,14), "Leben Christi im Menschen" (Gal 4,19), "erfüllt werden mit der Fülle Gottes" (Eph 3,17) und mit dem Hinweis Eph 2,6, dass "wir mit Christus in den Himmel gehoben sind." Petrus fasst das zusammen in den Satz 2 Petr 1,4: "auf dass ihr an der göttlichen Natur Anteil erlangt."

Mit diesen biblischen Aussagen fand auch die Frage der antiken griechischen Philosophie nach der Angleichung der Menschen an die Götter eine gültige Antwort. Ohne Zweifel ist für die antike Philosophie die menschliche Seele mit dem Göttlichen verwandt, das mit Geist und Vernunft identifiziert wird. Der christliche Glaube vertieft diese Sicht: Geist und Vernunft sind nicht selbst göttlich, sie müssen "vergöttlicht", "geheiligt" werden. Die Heiligung entfremdet nicht von der Welt, sondern führt um so tiefer in sie hinein, weil Gott selbst in Demut das Fleisch der Geschichte angenommen hat.

Im Weihnachtshymnus der byzantinischen Liturgie heißt es: "Vollkommen unsere Armut teilend hast du unsere irdische Natur vergöttlicht durch dein Eingehen in sie und Teilnehmen an ihr." "Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gott werde" - so lehren es die Kirchenväter seit Irenäus von Lyon († 202).

Ihre moderne Formulierung findet die Heiligung als Theosis durch die aufblühende russische Theologie des 19. Jahrhunderts. Angestoßen durch Literatur und Philosophie, durch Dostojevskij (1821-1881) und Solovjov (1853-1900), wird die Heiligung zur Antwort auf den Atheismus: Entweder nimmt der Mensch das Geschenk der Erlösung an, oder er bereitet sich den eigenen Untergang im Verlust der Freiheit. Der Märtyrertod des genialen Priesters Pavel Florenskij (1882-1937) markiert das Ende des freien Heiligungs-Denkens in Russland; die Theosis-Tradition wird durch Sergij Bulgakov (1871-1944) u.a. im Westen weitergeführt.

Ganz in der Tradition der Kirchenväter steht der rumänische Theologe Dumitru Staniloae: In der Heiligkeit erkennt der Mensch "sein wahres Wesen, zu dem er berufen ist. Davon ganz ergriffen, erwacht in ihm das Verlangen nach Reinheit und nach der Verbindung mit Gott; und das, weil er Seiner reinigenden Heiligkeit begegnete. Dieses tut ihm wohl, denn er verspürt, dass Gott sein wahres Wesen durchschaut hat und ihn trotz seines sündigen Zustandes nicht verstößt, sondern ihn zur Reinheit ruft. Wenn uns das widerfährt, fühlen wir uns glücklich und erleichtert, da wir nun frei und offen vor Ihm dastehen" (Orthodoxe Dogmatik Bd I). Gott schenkt uns für unsere Heiligung unsere ganze Lebenszeit. Er läßt uns nicht allein, sondern gibt uns die Gemeinschaft der Kirche, in der wir uns gegenseitig begleiten und ermutigen auf dem Weg der Heiligung: durch den Empfang der Sakramente, durch Gebet und Askese und durch Taten der Liebe.

Abschließend drei kurze Hinweise auf Wirklichkeiten, die für uns Orthodoxe bevorzugte Mittel der Heiligung darstellen: Wir verehren die Heiligen, weil sie Zeugen für das von Gott geschenkte Heil in konkreten geschichtlichen und gesellschaftlichen Umständen sind. Die Heiligen ermutigen, uns auch heute der Gnade zu öffnen. Ein schönes Beispiel dafür, wie die Heiligen die Kirche in Ost und West verbindet, ist der hl. Nikolaus. An ihm wird sichtbar, wie die Heiligung durch den Geist Gottes zu einem konkreten sozialpolitischen Einsatz für den Menschen und die Freiheit führt; zahlreiche Legenden berichten darüber.

Eine zweite Wirklichkeit ist die Ikone: Sie stellt Beispiele der Heiligung allein aus Gnade ständig sinnfällig vor Augen, in der Wohnstube, an vielen Arbeitsplätzen, in allen Kirchengebäuden in Vielfalt an der Ikonostase. Diese Ikonen bürgen sozusagen für die Richtigkeit der Verheißungen der Frohen Botschaft: was an den Dargestellten geschehen ist, das geschieht auch an uns, die wir heute vor den Ikonen beten.

Die kürzeste Zusammenfassung der Heiligung aus reiner Gnade ist für den Orthodoxen die Gottesmutter Maria. Sie ist unsere Hoffnung, weil sich an ihr die Heiligung der Schöpfung bereits ganz und gar erfüllt hat.


Metropolit Serafim Joanta
Rumänische Orthodoxe Kirche
Ostengasse 31
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Tel/Fax [49] 941 565742


erschienen am 15.01.2000
im Feuilleton der Welt