OKI-Logo Allgemeine Prinzipien und praktische Normen
für die Koordinierung der Evangelisierung und des ökumenischen Engagements der Katholischen Kirche
in Rußland und in den anderen Ländern der GUS


Einführung
Die Kirche hat von Christus den Auftrag erhalten, allen Menschen die Heilsbotschaft zu verkünden; sie ist ein messianisches Volk, "von Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit gestiftet," und wird "von ihm auch als Werkzeug der Erlösung angenommen und als Licht der Welt und Salz der Erde (vgl. Mt 5, 13-16) in alle Welt gesandt" (Dogmatische Konstitution über die Kirche: Lumen Gentium, Nr. 9).
Als Sakrament der Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen ist die Kirche Zeichen und Sauerteig der Einheit des Menschengeschlechts. Sie lädt alle dazu ein, aus der Fülle der Gaben Gottes zu schöpfen, die uns durch das Erlösungsopfer Jesu Christi und die Ausgießung des Heiligen Geistes, der das Antlitz der Erde erneuert, zuteil werden. In Erfüllung der ihr von Christus anvertrauten Mission begegnet die katholische Kirche anderen Gemeinschaften, die sich auch auf Christus berufen, vor allem den orthodoxen Kirchen, mit denen sie einen Großteil des kirchlichen Erbes teilt.
In ein und demselben Gebiet empfangen nicht alle, an die die Frohbotschaft gerichtet ist, diese auch auf die gleiche Weise; es gibt sowohl Gläubige, die der katholischen Kirche angehören, Brüder und Schwestern anderer Konfessionen und christlicher Traditionen als auch solche, die diese Botschaft zwar erhalten, sie sich aber nicht zu eigen gemacht haben und Nichtgläubige bzw. Atheisten geworden sind. Das Anliegen der Kirche richtet sich an alle und jeden einzelnen - entsprechend seiner jeweiligen Lage.
Die in dem vorliegenden Dokument enthaltenen Richtlinien betreffen die besondere Situation der Gebiete der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropas unter Berücksichtigung der jahrhundertealten Präsenz der orthodoxen Kirche sowie der leidvollen Geschichte dieser Völker unter dem kommunistischen Regime. Die nationalen Regelungen bezüglich der Religionsfreiheit ermöglichen den Kirchen heute, ihren Auftrag mit einem erneuerten Verantwortungsbewußtsein zu erfüllen, nicht nur gegenüber denjenigen, die verfolgt wurden, sondern auch gegenüber denjenigen, die auf der Suche nach der Wahrheit und den Mitteln des Heils sind. Nicht im Wettstreit miteinander, sondern in dem gemeinsamen Bemühen um die von Christus gewollte Einheit sind die katholische und die orthodoxe Kirche dazu aufgerufen, ihren Sendungsauftrag so zu erfüllen, daß ihr Zeugnis sowohl in dem, was jede Kirche für sich tut, als auch im gemeinsamen Handeln voll und ganz dem Willen Christi entspricht, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Weiterhin soll ihr Zeugnis das Gewissen jedes einzelnen sowie die freie Verbreitung der Gnadengaben des Heiligen Geistes achten.

I. Allgemeine Prinzipien

  1. Nach sechzig Jahren offiziellen Atheismus in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion bedürfen die katholischen Gemeinschaften des lateinischen, byzantinischen und armenischen Ritus vor allem einer Neu-Evangelisierung.
    Dies ist der Grund für die sofortige Reorganisation der Ortshierarchie gewesen, und zwar durch die Ernennung von Bischöfen und Apostolischen Administratoren für die Gemeinschaften des lateinischen Ritus in Weißrußland, Rußland, Kasachstan und der Ukraine, durch die Anerkennung und die "missio canonica" der bzw. für die Bischöfe der katholischen Kirche des byzantinisch-ukrainischen Ritus, die heimlich geweiht worden waren, sowie durch die Errichtung des Ordinariats für die katholischen Armenier.
  2. Die Bischöfe und die Apostolischen Administratoren haben somit das Recht und die Pflicht, sich der spirituellen Bedürfnisse der ihrer Seelsorge anvertrauten Katholiken anzunehmen. Ihre Aufgabe ist es, die Präsenz eines Priesters in den verschiedenen Gemeinden sicherzustellen, und zwar so, daß selbst die kleineren Gemeinden zumindest gelegentlich für die Feier der Eucharistie und anderer Sakramente priesterliche Hilfe erhalten und ihre Mitglieder die erforderliche religiöse Unterweisung bekommen können.
    Denn das Wort des hl. Paulus in seinem Brief an die Römer gilt auch heute noch: "Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt? Wie soll aber jemand verkündigen, wenn er nicht gesandt ist? … So gründet der Glaube in der Botschaft, die Botschaft im Wort Christi" (Röm 10, 14-17).
    Um dieses Werk der Evangelisierung erfolgreich durchzuführen, sollen sich die Bischöfe und die Apostolischen Administratoren, solange es noch keinen entsprechend ausgebildeten Ortsklerus gibt, um die notwendige Zusammenarbeit mit den Bischofskonferenzen und Ordensgemeinschaften anderer Länder bemühen. Sie sollten ebenso die sprachlichen Erfordernisse ihrer Gemeinschaften berücksichtigen, um auch auf religiöser Ebene die Rechte der ethnischen Minderheiten in den Ländern der GUS zu achten.
    Bezüglich der Gemeinschaften des orientalischen Ritus könnte man, falls es nicht genügend Priester eines bestimmten Ritus gibt, die Möglichkeit in Erwägung ziehen, auf Biritualisten zurückzugreifen. Diese sollten nicht nur die Liturgie, sondern auch die Traditionen und die Eigenheiten der Kirche kennen, zu deren Dienst sie bestellt werden.
  3. Ziel der apostolischen Strukturen, die von den Bischöfen und den Apostolischen Administratoren in den ihnen anvertrauten Gebieten errichtet werden, ist es, den Bedürfnissen der katholischen Gemeinschaften in diesen Gebieten gerecht zu werden. Hierdurch soll die katholische Kirche keinesfalls mit der russisch-orthodoxen Kirche oder mit anderen christlichen Kirchen dieser Gebiete in Konkurrenz treten. Die sogenannte Proselytenmacherei - d.h. jedweder Druck, der auf das Gewissen von Menschen ausgeübt wird, ungeachtet dessen, wie und durch wen dies geschieht - ist etwas völlig anderes als das Apostolat und sicherlich nicht die Methode, die von den Hirten der katholischen Kirche angewandt wird. In diesem Zusammenhang erklärt das II. Vatikanische Konzil feierlich: "Die Kirche verbietet streng, daß jemand zur Annahme des Glaubens gezwungen oder durch ungehörige Mittel beeinflußt oder angelockt werde …" (Dekret Ad gentes, Nr. 13).
  4. Das apostolische Wirken in den Gebieten der GUS und Osteuropas verlangt von den Katholiken, sowohl ihrem Auftrag treu zu sein als auch echte Sorge um ihre orthodoxen Schwestern und Brüder zu zeigen und dabei deren Glauben zu achten, um gemeinsam mit ihnen die von Christus gewollte kirchliche Einheit vorzubereiten. Es geht, genauer gesagt, um die Verwirklichung der Einheit in der Wahrheit, für die Christus gebetet hat (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, Nr. 54). Diese Vorbereitung der so sehr gewünschten Einheit wird durch die Entfaltung eines brüderlichen Vertrauens zwischen Bischöfen, Priestern und Gläubigen beider Kirchen erfolgen.
  5. Unter voller Achtung der Religionsfreiheit, die ein unveräußerliches Recht jedes Menschen darstellt, sollen die Bischöfe und Priester sehr sorgfältig die Beweggründe derer, die der katholischen Kirche beitreten möchten, abwägen und sie auch dazu bringen, sich ihrer Verpflichtungen gegenüber ihrer Ursprungsgemeinschaft bewußt zu werden.
    Die vom II. Vatikanischen Konzil verabschiedete Erklärung über die Religionsfreiheit ist für die katholische Kirche ein in dieser Hinsicht grundlegendes Dokument. Es wäre gut, bei Gelegenheit an diese Prinzipien zu erinnern und alle aufzufordern, die Wahl der Religion eines jeden Gläubigen zu respektieren.
  6. Jeder Katholik weiß sehr wohl, daß "die Kirche ihrem Wesen nach ‘missionarisch’ ist" (vgl. Dekret Ad gentes, Nr.2). Doch jeder Katholik weiß auch, daß das Bemühen, die Einheit der Christen zu fördern, zu jenem Auftrag gehört, der Welt die Heilsbotschaft Christi in der Einheit des einen Leibes, der einen Taufe und des einen Glaubens zu verkünden.
    Deshalb muß das apostolische Wirken der katholischen Kirche in den Gebieten der GUS heute mehr als jemals zuvor eine ökumenische Dimension aufweisen. Sie muß auf jede nur mögliche Art und Weise den Dialog zwischen den Christen im Lichte der vom II. Vatikanischen Konzil und den nachkonziliaren Dokumenten festgehaltenen Prinzipien fördern. Dies muß für die Institutionen der katholischen Kirche in den Gebieten der GUS eine der pastoralen Prioritäten sein. Denn der Weg zur Einheit der Christen führt keineswegs über Proselytenmacherei, sondern über den brüderlichen Dialog zwischen den Jüngern Christi, einen vom Gebet getragenen und in der Nächstenliebe verwirklichten Dialog, um zwischen der byzantinischen Kirche und der Kirche von Rom die volle Gemeinschaft (communio), die im ersten Jahrtausend bestanden hat, wiederherzustellen. Dieser Dialog muß sich sowohl auf lokaler als auch auf regionaler und internationaler Ebene entfalten; sein Ziel ist es, das gegenseitige Vertrauen zu fördern, so daß alle Christen verschiedener Konfessionen bei bestimmten apostolischen, sozialen und kulturellen Aktivitäten zusammenarbeiten können, damit "das Wort des Herrn sich ausbreitet und verherrlicht wird" (2 Thess 3,1).
    Indem sie einander als Mitglieder von Kirchen anerkennen, die ein Großteil des gemeinsamen - sakramentalen, liturgischen, spirituellen und theologischen - Erbes bewahren, können Katholiken und Orthodoxe ein gemeinsames Zeugnis für Christus vor einer Welt ablegen, die nach ihrer eigenen Einheit strebt. Das gemeinsame Erbe ist dergestalt, daß es gemeinsames Handeln unter Achtung der jeweiligen Traditionen fördert.
  7. Sicherlich muß das Vorgehen der katholischen Kirche in den Gebieten der GUS, die stark von der Präsenz und dem Wirken der orthodoxen und armenischen Traditionen geprägt sind, in einer Art und Weise erfolgen, die sich wesentlich von der in Ad gentes genannten Missionstätigkeit unterscheidet.
    Vor allem dürfen die lateinischen Katholiken die besonderen Umstände der Geburt und des Wachsens der Kirchen des Orients, die liturgische und spirituelle Tradition der Orientalen sowie ihre große Liebe zur Gottesmutter nicht vergessen. So sagte der Heilige Vater in seiner Botschaft Magnum baptismi donum am 14. Februar 1988 an die ukrainischen Katholiken anläßlich der Tausendjahrfeier der Taufe der Rus’ von Kiew: "Dasselbe Konzil unterstreicht die großen Werte der liturgischen, geistlichen, rechtlichen und theologischen Traditionen, die sich in diesen Kirchen finden, wie auch ihr Recht und ihre Pflicht, diese Traditionen zu leben, die zur vollen Katholizität und Apostolizität der Kirche gehören" (Nr.6; AAS 80 [1988], S. 993-994).
    Die katholische Kirche des lateinischen Ritus in diesen Gebieten muß daher die dort tief verwurzelten orientalischen Traditionen hochschätzen, vor allem die der orthodoxen Kirche. Die orthodoxe Kirche hat selbst eine lange Zeit der Verfolgung, der Schwierigkeiten und Zwänge jedweder Art durchlebt und steht heute vor der schweren Aufgabe der Neu-Evangelisierung zwar traditionell orthodoxer Völker, die jedoch im Atheismus aufgewachsen und erzogen worden sind.
    Somit sollen die Hirten der lateinischen Kirche in einem brüderlichen Dialog mit den Ortsbischöfen der orthodoxen Kirche und unter voller Achtung der religiösen Überzeugung der Bürger sich darum bemühen, die Zusammenarbeit mit der orthodoxen Kirche in allen Bereichen, wo dies möglich ist, zu fördern, damit die Einheit in der Nächstenliebe, die zwischen den beiden Kirchen als Präludium zur vollen kirchlichen Gemeinschaft (communio) herrschen soll, vor den Augen aller aufleuchte.
    Die mit dem Römischen Apostolischen Stuhl in Gemeinschaft stehenden Ostkirchen, insbesondere die katholische Kirche des ukrainischen byzantinischen Ritus, werden vom II. Vatikanischen Konzil daran erinnert, daß sie die besondere Aufgabe haben, "gemäß den Grundsätzen des von diesem heiligen Konzil erlassenen Dekretes über den Ökumenismus die Einheit aller Christen, besonders der ostkirchlichen, zu fördern. Dieser Aufgabe dienen vor allem ihre Gebete, das Beispiel ihres Lebens, die ehrfürchtige Treue gegenüber den alten ostkirchlichen Überlieferungen, eine bessere gegenseitige Kenntnis und Zusammenarbeit sowie brüderliche Wertschätzung des äußeren und inneren Lebens der anderen" (Dekret Orientalium Ecclesiarum, Nr. 24).
  8. Leider ist der Prozeß der Reorganisation der katholischen Kirche in den Ländern der GUS von Spannungen mit der orthodoxen Kirche begleitet gewesen.
    Diese traten in der Ukraine auf, vor allem im Zusammenhang mit der Zuteilung von Gotteshäusern nach der Anerkennung der Glaubensfreiheit durch die Zivilbehörden der ehemaligen UdSSR und der darauffolgenden Anerkennung der katholischen Kirche des byzantinischen Ritus, die 1946 aufgehoben worden war.
    Man kann es sicherlich nicht als "Proselytenmacherei" bezeichnen, wenn ganze Gemeinschaften einschließlich der ihnen vorstehenden Priester, die sich in den Jahren der Unterdrückung und Verfolgung der "griechisch-katholischen" Kirche - um zu überleben - für orthodox erklären mußten, heute nun nach Wiedererlangung der Freiheit ihre Zugehörigkeit zur "griechisch-katholischen" Kirche bekunden. Es handelt sich hier um einen freien Entschluß von Völkern, die sich vor 1946 offen zu ihrem katholischen Glauben bekannten.
    Dennoch sind die Streitigkeiten um Gotteshäuser ein schmerzlicher Vorfall auf dem Weg zur Ökumene gewesen.
    Im Einverständnis mit dem Moskauer Patriarchat hatte der Heilige Stuhl dies zu verhindern versucht, und zwar durch die Aufstellung von Richtlinien im Januar 1990, die eine friedliche Verteilung der Gotteshäuser hätten garantieren sollen. Leider hat diese gute Absicht aufgrund der durch die jüngste Vergangenheit dort entstandenen Situation nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Doch kann nicht nur eine Partei für das Scheitern der von der "Viererkommission" unternommenen Arbeit verantwortlich gemacht werden.
    Auch heute noch gibt es unangenehme und spannungsgeladene Situationen, und so gilt nach wie vor, was der Heilige Vater am 31. Mai 1991 an die Bischöfe Europas schrieb: "Alle müssen davon überzeugt sein, daß auch in solchen Fällen sich eher gelegentlich ergebender und praktischer Streitfragen der Dialog immer noch das geeignetste Mittel ist, einen brüderlichen Austausch anzustreben, der zum Ziel hat, den Streit im Geiste der Gerechtigkeit und der Liebe zu beseitigen" (Brief des Heiligen Vaters Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe des europäischen Kontinentes über die Beziehungen zwischen Katholiken und Orthodoxen in der neuen Lage Mittel- und Osteuropas, Nr. 2).

II. Praktische Normen
Im Lichte der oben genannten Prinzipien gelten die folgenden praktischen Normen, um die Befürchtungen, die in der orthodoxen Kirche aufgekommen sind, zu zerstreuen und das gegenseitige Vertrauen wiederherzustellen, das für einen echten ökumenischen Dialog zwischen den beiden Kirchen sowohl auf lokaler als auch internationaler Ebene unerläßlich ist:

  1. Die Bischöfe und die Apostolischen Administratoren sollen sich in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet um die Förderung einer soliden ökumenischen Ausbildung aller Pastoralträger (Priester, Ordensleute und Laien) bemühen, damit alle zu einer "ökumenischen Mentalität" gelangen, gemäß den Prinzipien des II. Vatikanischen Konzils sowie den Richtlinien des Heiligen Stuhls und unter Berücksichtigung ihrer eigenen Erfahrungen (vgl. CCEO, can. 904).
    Darüber hinaus sollen sie auf jede nur erdenkliche Art und Weise das gute Einvernehmen mit den örtlichen Autoritäten der orthodoxen Kirche unter Berücksichtigung der momentanen Schwierigkeiten dieser Kirche fördern und so dazu beitragen, daß ein von Vertrauen und friedlicher Zusammenarbeit geprägtes Klima geschaffen wird. Selbst wenn es in der Vergangenheit Gründe für einen Gegensatz gegeben hat, sollen sie die Gläubigen daran erinnern, daß nur die Umkehr der Herzen und die aufrichtige Vergebung gegenüber ihren Schuldigern es ihnen erlaubt, sich selbst wahre Jünger Christi zu nennen.
    In Fällen, in denen sich dieses Einvernehmen möglicherweise als schwierig herausstellt, sollen die Bischöfe und die Apostolischen Administratoren dafür Sorge tragen, den päpstlichen Vertreter und den Päpstlichen Rat für die Förderung der Einheit der Christen sowie die anderen Dikasterien der römischen Kurie, sofern es in deren Zuständigkeitsbereich fällt, zu informieren. Die Zusammenarbeit mit diesen höheren Instanzen kann in der Tat erheblich dazu beitragen, Sonderfälle, die dann eventuell mit dem Moskauer Patriarchat oder mit den zentralen Autoritäten anderer Kirchen erörtert werden können, zu lösen.
  2. Die Bischöfe und die Apostolischen Administratoren als Verantwortliche und Garanten für alle pastoralen Initiativen, die die Förderung des religiösen Lebens in den katholischen Gemeinschaften zum Ziel haben, müssen dafür Sorge tragen, daß keine Aktivität innerhalb ihres kirchlichen Jurisdiktionsbereiches Gefahr läuft, als eine "parallele Evangelisierungsstruktur" ausgelegt zu werden. Diesbezüglich heißt es in can. 905 des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO), daß sowohl falscher Ökumenismus als auch "übermäßiger Eifer" vermieden werden sollen.
    Gemäß den Bestimmungen des Kirchenrechts (CIC, can. 394 §1; CCEO, can. 203) müssen Priester, Ordensleute und Mitglieder von Laienbewegungen, die in den Ländern der GUS ein Apostolat ausüben möchten, eng mit den Ortsordinarien zusammenarbeiten und sind ihnen unterstellt; dabei dürfen sie keine Initiative ergreifen, die nicht zuvor von diesen Ordinarien genehmigt wurde, und sie müssen die Richtlinien gewissenhaft beachten, die die Ordinarien - natürlich im Rahmen ihrer jeweiligen Jurisdiktion - aufgestellt haben.
    Wenn ernsthafte Probleme auftreten, sollen die Bischöfe und die Apostolischen Administratoren den päpstlichen Vertreter und den Apostolischen Stuhl umgehend davon in Kenntnis setzen.
  3. Zur Förderung eines harmonischen Zusammenlebens mit der orthodoxen Kirche und als Beweis für die Transparenz, die bei allen pastoralen Initiativen der katholischen Kirche herrschen muß, sollen die Bischöfe und die Apostolischen Administratoren die Ordinarien der orthodoxen Kirche über alle wichtigen pastoralen Initativen informieren, insbesondere wenn es um die Errichtung neuer Pfarrgemeinden zur Befriedigung der Bedürfnisse der örtlichen katholischen Gemeinschaften geht.
    Der Heilige Stuhl ist überzeugt, daß die orthodoxen Bischöfe, die ja im Hinblick auf ihre Gläubigen auch um deren Evangelisierung bemüht sind, gerne den spirituellen Beistand für die katholischen Gemeinschaften innerhalb ihrer Diözesen fördern werden, u. a. durch die Rückgabe von Kirchengebäuden an die katholischen Gemeinschaften des orientalischen oder lateinischen Ritus, dort wo diese sie noch immer entbehren müssen.
    Ergeben sich jedoch aufgrund besonderer Umstände gegensätzliche Meinungen über die Zweckmäßigkeit einer pastoralen Initiative, die ein Bischof oder ein Apostolischer Administrator für das spirituelle Wohl selbst einer kleinen Gruppe von katholischen Gläubigen als notwendig erachtet, kann der Bischof oder der Apostolische Administrator, nachdem er alle oben genannten Mittel des Dialogs ausgeschöpft hat, nach seinem Gewissen handeln, insofern als er für das spirituelle Leben aller Mitglieder der katholischen Kirche vor Gott verantwortlich ist. Bei ernsteren Problemen soll er den päpstlichen Vertreter und die zuständigen Dikasterien der römischen Kurie konsultieren.
  4. Wenn es die Umstände erlauben, sollen sich die Hirten der katholischen Kirche - erfüllt von missionarischem Eifer und in dem Bemühen um die Evangelisierung von Millionen Menschen, die Christus noch nicht kennen -für eine Zusammenarbeit mit den orthodoxen Bischöfen bei der Entwicklung von pastoralen Initiativen der orthodoxen Kirche einsetzen und sich freuen, so zur Heranbildung guter Christen beitragen zu dürfen.
  5. Es empfiehlt sich, die Autoritäten der orthodoxen Kirche von den Initiativen sozialer Art (u. a. im Bildungs- und caritativen Bereich) in Kenntnis zu setzen, zu denen Institutionen der katholischen Kirche in westlichen Ländern eventuell aufgefordert werden, um einen Beitrag zum Gemeinwohl der Länder der GUS oder Osteuropas zu leisten.
    Wenn der Staat oder eine zivile Behörde um die Mitwirkung von Ordensgemeinschaften oder anderen der katholischen Hierarchie juristisch unterstellten Einrichtungen bittet, ist es für die Verantwortlichen dieser katholischen kirchlichen Einrichtungen ein Gebot der Nächstenliebe, die zuständigen Autoritäten der orthodoxen Gemeinschaften darüber zu informieren, auch wenn man davon ausgehen kann, daß die oben genannten zivilen Behörden dies bereits ihrerseits getan haben.
  6. Sollten Priester oder Bischöfe aus anderen Ländern von staatlichen Stellen (u. a. aus dem kulturellen und wissenschaftlichen Bereich) zur Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen eingeladen werden, ist es ein Gebot der Höflichkeit, das orthodoxe oder armenische Patriarchat davon zu unterrichten.
    Wenn eine höhere orthodoxe Persönlichkeit zu einer von der katholischen Kirche in den Gebieten der GUS durchgeführten Veranstaltung eingeladen wird, so empfiehlt es sich ebenso, das Patriarchat darüber vorher zu informieren.
  7. Die Bischöfe und die Apostolischen Administratoren sollen sich darum bemühen, daß die Feier der Sakramente in der jeweiligen Sprache erfolgt, die von den ethnischen Minderheiten in den verschiedenen Ländern gesprochen wird. Dies muß nicht bedeuten, daß eine liturgische Versammlung zu einem Element der Spaltung oder einem Instrument für militanten Nationalismus wird. Gleichzeitig sollen sich die Bischöfe und die Apostolischen Administratoren für die - dauerhafte oder zeitweilige - Integration von Minderheiten in den vorherrschenden sozialen Kontext des Landes, das sie aufnimmt, einsetzen, ohne daß dies den Verlust ihrer Identität nach sich zieht. Denn für jeden Katholiken bietet die Vielfalt die Möglichkeit, an dem Reichtum anderer teilzuhaben.
  8. Die für das liturgische und kirchliche Leben der christlichen Gemeinschaften notwendigen Gotteshäuser müssen den Bedürfnissen der Christen gerecht werden; diese ergeben sich aus dem persönlichen Recht, religiöse Handlungen des eigenen Glaubens - allein oder in der Gruppe - auszuüben, sowie aus den örtlichen Gegebenheiten: Bedeutung der Gemeinschaft, materielle Möglichkeiten, Seelsorge. Mit welcher Priorität die bereits bestehenden Gotteshäuser verteilt werden, hängt von dem - numerischen, sozialen und historischen - Anteil der an einem bestimmten Ort lebenden Gläubigen ab. Wenn es darum geht, ein neues Kirchengebäude zu errichten, muß abgewogen werden, ob ein solches Gebäude notwendig ist, bevor die erforderliche Erlaubnis des Diözesanbischofs eingeholt wird (CIC, can. 1215 §1; CCEO, can. 870). Manchmal wird es ratsam sein, die gemeinsame Nutzung eines Gotteshauses vorzusehen, sofern sich die katholischen und orthodoxen Gemeinschaften oder andere christliche Konfessionen zuvor darauf geeinigt haben; diese Vereinbarung ist den jeweiligen kirchlichen Autoritäten zur Zustimmung vorzulegen.

Schluß
Bei der Verkündigung des Evangeliums, die allen Geschöpfen gilt, darf das große Gebot der Liebe nicht außer acht gelassen werden, denn Jesus sagt: "Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: Wenn ihr einander liebt" (Joh 13,35). Die hier für die katholischen Gemeinschaften vorgeschlagenen Mittel, Wege und Methoden sollen diesen helfen, voller Bereitschaft auf diese Berufung und Gnade, Zeuge für die von Christus gewollte Einheit zu sein, zu antworten.
Alle sind dazu aufgerufen, den vom II. Vatikanischen Konzil geförderten Geist der Gemeinschaft zu erneuern, damit die brüderlichen Beziehungen, die zwischen den Jüngern Christi herrschen sollen, zur vollen Gemeinschaft (communio) im Glauben und in der Nächstenliebe führen können. Auf diese Weise wird "jeglicher Geist streitsüchtiger Eifersucht" ausgeschlossen (vgl. Dekret Unitatis redintegratio, Nr. 18); und ist die Wand, die die abendländische und die orientalische Kirche trennt, erst einmal hinweggenommen, so wird es schließlich nur eine einzige Wohnung geben, deren fester Eckstein Jesus Christus ist, der aus beidem eines machen wird.

Vatikan, 1. Juni 1992
Päpstliche Kommission "Pro Russia"

Text aus:
"Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls"
Nr. 109, 1. Juni 1992
S. 15-26.