OKI-Logo Jürgen Krüger/ Michael Meyer Blanck
Evangelisch in Rom.
Der etwas andere Reiseführer.

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
1. Aufl. 2008
ISBN 978-3-525-63390-8, € 19,90

 

 

Evangelisch in Rom. Buchcover.Rom ist eine evangelische Stadt, die Gottesmutter Maria ist Symbol für die Erlösung aus Gnade (S. 124), Michelangelo war einer der Reformatoren wie Martin Luther (S. 84) - das sind Botschaften dieses Romführers zweier lutherischer Theologen, den ich jedem empfehle, auch wenn er schon die anderen Reiseführer gelesen hat. Es lohnt sich, das Büchlein zunächst in einem Zug durchzulesen.

Auf 240 handlichen Seiten, schmaler als DIN A 5, passt gut in die Jackentasche, gibt es für den Petersdom und viele andere römische Wirklichkeiten eine "evangelische Lektüre" (S.13), die sich fast überall als echt katholisch zeigt.

Das gilt für das kostbare einleitende Kapitel "Evangelisches Pilgerverständnis". Auf vier knappen Seiten gelingt es, "das Pilgerwesen … in allen Wesenszügen nachzuzeichnen," obwohl die Autoren bescheiden bemerken "…ist hier weder genügend noch der rechte Platz" (S.23).

Es folgen zwanzig Seiten Berichte, wie Luther, Rothe, Tholuck, Bonhoeffer Rom gesehen haben, das schärft die eigene Aufmerksamkeit und die Aufnahmebereitschaft für Änderungen im eigenen Leben. Alle vier Rompilger sind offenbar im Glauben gewachsen. Im Jahre 2001 war ich mit den Mitarbeitern des Hauses für Gemeindedienst der Landeskirche Hannovers in Rom, sie bauten danach einen Auferstehungsweg zwischen Hanstedt und Ebstorf wie den über den Kallixtuskatakomben.

Weiter gilt die "evangelische Lektüre" dem Pantheon, San Clemente, San Pietro in Vincoli und dem Meridian in der Basilika am Bahnhof Termini. Genau ein Drittel des Buches (99-180) ist neuen Bauten gewidmet: Preußens Kapelle auf dem Kapitol, den anglikanischen Kirchen, den Waldenserkirchen, Methodisten und Baptisten, der Christuskirche und der 2003 gebauten Kirche vom Barmherzigen Vater.

Mit dem Titel "Leben" beschreiben die letzten sechzig Seiten die Friedhöfe, die lutherische Kirchengemeinde in der via Toscana, die Waldenser und die Gemeinschaft Sant’ Egidio. Darüber hinaus geben sie praktische Hinweise, Literatur, Register und Bildnachweis. Die Bilder sind hervorragend ausgesucht, ihre Unterschriften bieten wichtige Ergänzungen und manchmal durchaus andere Akzente als der umstehende Text (z.B. S. 145 - aber woran erkennt man den Kirchenvater Dollinger?)

"Die Organisation des mittelalterlichen und des neuzeitlichen Europa hing entscheidend mit dem Papsttum zusammen" (S.7) - ein wichtiger Anstoß für viele evangelische (und deutsche) Christen, für die die Kirchengeschichte oft mit Augustinus aufhört und erst in der Reformationszeit wieder beginnt.

Einige Fehler und Ungenauigkeiten mindern nicht den Wert des Reiseführers. Ein palazzo ist auf deutsch ein Mietshaus, ein Wohnhaus, selten ein Palast (z.B. S. 165).

Der julianische Kalender ist nicht vierzehn Tage, sondern bis 2099 nur dreizehn Tage hinter dem gregorianischen Kalender (S.95), nicht nur einige orthodoxe Kirchen halten am julianischen Kalender fest, sondern, wenigstens für die Berechnung des Osterdatums, auch die Katholiken der östlichen Riten und viele westliche Gemeinden in östlichen Ländern, z.B. die deutschsprachige katholische Pfarrei in Athen.

Vom Campo Santo am Petersdom zum Friedhof an der Pyramide bei der Porta San Paolo fährt man besser direkt mit dem Bus 23, anstatt den Riesenumweg mit der Metro mit Umsteigen an Termini (S. 181). Kyrill und Method wohnten im Konvent an St. Praxedis (S. 61).

Auch theologisch ist das eine oder andere Fragezeichen zu setzen, z.B. wird auf S. 172 berichtet, dass Pfannschmidt für das Apsismosaik in der lutherischen Kirche in der via Toscana das Christus-Mosaik von San Clemente (S. 69) kopiert habe, aber "alle anderen Figuren wegließ und sich ganz auf die Darstellung Christi konzentrierte". Glauben evangelische Christen nicht, dass ER "alles in allem" ist, der Ganze Christus, in ihm leben wir, wesen wir und sind wir? Vielleicht schreiben hier die Autoren augenzwinkernd, um auf ein beliebtes Missverständnis bei deutschen Christen hinzuweisen, es gäbe Kräfte, die dem solus Christus Konkurrenz machen könnten. Oder hinzuweisen auf die Angst von Kaiser Wilhelm II., seine Rolle als Pantokrátor könne geschmälert werden, als Nachfolger des römischen Kaisers als "Stellvertreter Christi"? Augenzwinkernd vielleicht auch die Bemerkung S.188 "Die denkerische Distanz zur Kirche als Institution ist ja gerade die Form evangelischer Kirchlichkeit" - ist sie nicht doch gerade die Form jeder Kirchlichkeit von Petrus’ Hinweis auf Rom als die große Hure Babylon bis zu Johannes Pauls "Es ist mehr, Christ zu sein als Bischof - selbst wenn es sich um den Bischof von Rom handelt" (Die Schwelle der Hoffnung überschreiten). Was der Führer S.14 über das Petrusgrab sagt, gilt für alle Institution: "Denn es sind ja nicht die Körper des Apostels oder der Heiligen, die dem Menschen Hoffnung geben, sonder deren glaubenden Existenz und Gottesbeziehung".

S. 114 wird die anglikanische Liturgie als mittelalterlich (also katholisch) gelobt, auf S. 119 werden die anglikanischen Bauten in Rom unter die protestantischen eingereiht.

Rothe meint S.35 nach seinem Aufenthalt in Rom 1824 bis 1828 "dass von der römischen katholischen Kirche unter keiner Bedingung Heil für die Wiederbelebung der christlichen Kirche zu erwarten ist", aber mehrfach wird berichtet (z.B. S. 118), dass im 19. Jahrhundert eine evangelische Krankenpflege in Rom für nötig gehalten wird, weil in den römischen Krankenhäusern offenbar lebendige Seelsorge ist, die für nichtkatholische Kranke drohender Proselytismus ist.

Auch wer keine Romreise plant, wird mit dem Führer "Evangelisch in Rom" wertvolle Anregungen für seine eigene Kirchlichkeit finden und spüren, was der Führer gleich zu Beginn als zweiten Satz Goethe sagen lässt: Nun bin ich hier und ruhig und, wie es scheint, auf mein ganzes Leben beruhigt (S.7) und als letzten Satz auf S.10: ich habe … nichts ganz fremd gefunden, aber die alten Gedanken sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, dass sie für neu gelten können.

Klaus Wyrwoll