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und die Folgen


Europa im Spannungsfeld zwischen Ost und West

 

  Mitten in einer Vortragsreihe "Byzanz - die Macht der Bilder", zwischen drei Vorträgen, die das Wort "Bild" auch im Titel haben, sei es in der deutschen Fassung "Bild" oder in der griechischen Fassug "Ikone", steht ein Vortrag mit dem von den Veranstaltern pfiffig ausgewählten Titel, er stammt nicht von mir "Byzanz und die Folgen", "Europa im Spannungsfeld von Ost und West".
Es wäre nun überaus reizvoll, auch unter dem Titel meines Vortrags "Europa im Spannungsfeld von Ost und West" die Ikonen zu betrachten, unsere westliche Wegentwicklung vom Bild zum Wort in einer scheinbaren Eindeutigkeit als Grund für Spannungen bis in die neuste Zeit hinein, wo wir von der Gutenberg-Galaxie mit der Vergötzung des Wortes nach der Erfindung des Buchdruckes wieder wegkommen zu einer multimedialen Ausdrucksform, in der Bildliches wieder zur Sprache kommt und auch die Wörter als Bilder entlarvt oder entdeckt werden.
Aber von den Autoren der Vortragsreihe wurde mir gesagt, dass ich zeigen soll, wie Byzanz heute in menschlichen Gemeinschaften lebendig ist. Da gilt es also, von den Kirchen zu sprechen, die das Wort "Byzanz" und "byzantinische" Traditionen lebendig halten, und mit denen ich mich seit vierzig Jahren beschäftige, seit ich 1957 in dem Rom am Tiber meine Vorbereitung auf die Priesterweihe begann und dort mit sehr lebendigen Resten von Byzanz in Kontakt kam, dem Rom am Bosporus.
Was ich mit Ihnen in Erinnerung rufen möchte, habe ich mir in acht Abschnitte eingeteilt. Ich beginne mit
1. "Byzanz und die Folgen",
1.1. mit lebendigen Folgen von Byzanz verbringe ich meine Tage in Regensburg, mit orthodoxen Studenten, die von ihren orthodoxen Bischöfen aus Osteuropa, aus dem Einflussgebiet von Byzanz und südlich und östlich davon, nach Regensburg gesandt werden, zum Theologie-Studium. Sie wohnen in einem Institut, zur Begleitung eben dieser orthodoxen Studenten, Stipendiaten der katholischen Kirche in Deutschland.
Im Wintersemenster 1997-1998 haben wir Studenten aus Georgien, Rumänien, Russland, der Ukraine, Serbien, Indien; im Sommerkurs auch noch aus Weißrussland, Bulgarien und Griechenland.
Chef des Hauses ist Prälat Dr. Albert Rauch, Regensburger Priester, Pfarrer im Landkreis Regensburg, der viermal in der Woche im Ostkirchlichen Institut nach dem Rechten schaut.
Wir haben 1965 das Wort "Institut" gewählt, weil es in den Zeiten des Eisernen Vorhangs die Visa-Beschaffung erleichterte. In Wirklichkeit sind wir ein Priesterseminar. Ich wohne seit 1990 mit den Studenten, sozusagen als Subregens oder Studienpräfekt oder manchmal auch Spiritual.
1.2. Unsere Studenten der letzten 30 Jahre sind nun in den byzantinischen Kirchen und anderen Kirchen des Ostens als Priester oder Bischöfe oder Professoren tätig. Wir hatten auch Ordensschwestern im Haus, die sind jetzt als Äbtissin oder Waisenhausleiterin tätig.
Die orthodoxen Bischöfe senden ihre Studenten zu uns, damit auch in ihren Bistümern Leute sind, die die westliche Form der Theologie und der Glaubensausdrücke kennen.
2. "Byzanz und die Folgen",
was heißt denn "Byzanz", was hören Menschen beim Wort "Byzanz"?
2.1. Wir reden von der Stadt Byzanz, Konstantinopel, İstanbul (mit einem Punkt auf dem großen I). Konstantinopel sagten viele, seit Kaiser Konstantin zu Beginn des 4. Jahrhunderts die Hauptstadt des römischen Reiches von der Stadt Rom am Tiber in die Stadt am Bosporus verlegt, nach Byzanz, ein offizieller Name ist Neu-Rom, Zweites Rom.
2.2. In den modernen kirchlichen Gemeinschaften heißt die Stadt heute meist Konstantinopel, also mit dem Namen des Kaisers - das ist bezeichnend. Die Slawen sagten bald Zarigrad - Zarenstadt, Kaiserstadt. Viele Griechen sagten einfach Polis - die Stadt schlechthin.
2.3. Die Menschen südlich und östlich von Byzanz sagen in ihren Sprachen, z.B. arabisch, syrisch, persisch, armenisch, türkisch bis heute nur "Rom, Rum". Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel - der jetzige, Barthomoläus, ist auch einer der ehemaligen Stipendiaten unseres Hauses ist also in jenen Sprachen der "Römische Patriarch", Rum Patrik, und auch beim Blick in die Geschichte sprechen sie nicht vom byzantinischen Kaiser, sondern vom römischen Kaiser - für ca. 1000 Jahre ist das unmissverständlich der Kaiser in Rom am Bosporus, in Rom am Tiber saß seit 476 kein solcher, bis 1453 nur in İstanbul, Byzanz, Konstantinopel.
2.3. Noch als Konstantinopel am 21. Mai 1453 endgültig von den Osmanen eingenommen wurde, war die Bezeichnung Rom in der östlichen Christenheit so lebendig, dass im slawischen Raum, in der Rus, Überlegungen und Prophezeiungen aufkamen über die Stadt Moskau als das "Dritte Rom": das erste Rom ist von der Kirche abgefallen, das zweite Rom ist unter die Heiden gefallen, das dritte Rom wird nie fallen.
In Rom am Tiber finden alle drei Jahre wissenschaftliche Tagungen mit dem Titel "Das Dritte Rom" statt.
3. "Byzanz und die Folgen",
3.1. jetzt könnte die Frage interessant werden: wo liegt eigentlich Byzanz? liegt Byzanz im Osten? folgen Sie einmal meinem Finger und stellen Sie sich mit mir zu den christlichen Schwestern und Brüdern nach Persien, nach Ägypten, nach Äthiopien, nach Indien, nach Armenien und Georgien, in eines der 300 nestorianischen Bistümer in Asien, deren Reste Marco Polo fand.
Und schauen Sie mit diesen Millionen von Christen nach Byzanz: im Osten liegt es jedenfalls nicht. Ja, z.B. von Armenien oder Indien aus gesehen und von der Entfernung her ist das Rom am Bosporus gar nicht weit vom Rom am Tiber und vielleicht in vielem identisch.
3.2. Unter Kaiser Justinian 527-565 war die spätantik-frühbyzantinische Spielart des Staatskirchentums voll ausgebildet. Römisches Reich und Katholische Kirche erstrecken sich gleich weit, der Kaiser trägt Verantwortung für das Reich und für die Kirche. Kaiser Konstantin hatte jenes Konzil einberufen, das wir als 1. Ökumenisches Konzil von Nicäa zählen. Alle Christen in Ost und West waren zunächst einverstanden, dass der Kaiser zuständig ist für das ökumenische Konzil (Sie merken ein weiteres, diesmal sprachliches Spannungsfeld: ökumenisch und katholisch sind in jenen Zeiten identisch, beides heißt damals nichts weiter, als die wörtliche Übersetzung heute noch, allgemein, weltweit.)
3.3. Nicht ein Bischof, sondern der Kaiser intervenierte, wenn die Kircheneinheit gefährdet war, denn in der Kircheneinheit sah der Kaiser eine Festigung der Reichseinheit. Gerade das hatte aber Vertiefung der kirchlichen Spannungen zur Folge: wo Völker politisch nach Unabhängigkeit suchten, strebten sie auch einen theologischen Unterschied zur Kirche des Kaisers an, möglichst ein Schisma. Die Armenier im Perserreich (ihre wunderbare Epiphanias-Liturgie aus Isfahan haben Sie am 6. Januar live im Fernsehen gesehen ?!) verurteilten ausdrücklich das kaiserliche Konzil von Chalzedon 451, damit ihr Landesherr der persische Schah nicht meinte, sie gehörten zur Kirche des Feindes, des römischen Kaisers. Sie wollten ausdrücklich Häretiker sein, "abgeschnitten", der andere ist heterodox, nicht orthodox.
3.4. Gegen Andersgläubige ging der Kaiser mit Bekehrungsdruck vor, nur wer zur Catholica gehörte (ich sage nicht zur "Allgemeinen") , konnte Römischer Bürger sein. Nach der Rückeroberung Nordafrikas unter Kaiser Justinian wurde das nichtnizänische Christentum der Vandalen dort (die Germanen waren Arianer - nicht nur Arier) durch kaiserliche Maßnahmen schnell zum Erliegen gebracht wir wundern uns heute, dass dort so wenige Christen sind.
Die Politik des römischen Kaisers von Byzanz zur Einebnung von allen theologischen und völkischen Gegensätzen hatte zur Folge, dass die großen christlichen Kulturvölker der Syrer und der Kopten den Islam als Befreiung von Byzanz begeistert begrüßten. "Die christliche Bevölkerung in Alexandrien zitterte, als Kaiser Manuel 646 versuchte, die Stadt von den Arabern zurück zu erobern. Er scheiterte, die christliche Bevölkerung mit Patriarch Benjamin dankte Gott und zog das arabische Joch dem byzantinischen vor.
3.5. Ein wörtliches Zeugnis haben wir vom syrischen Patriarchen Michael, als Kaiser Heraklios 626 Mesopotamien den Persern entriss und dann an die Araber verlor. Michael schreibt: "Heraklios schrieb ans ganze Römische Reich, dass man allen die Nase und die Ohren abschneiden soll, die nicht das Konzil von Chalzedon anerkennen, ihre Häuser seien zu plündern. Diese Verfolgung dauerte lange, viele Mönche akzeptierten die Synode und nahmen Klöster und Kirchen mit sich. Heraklios ließ keinen Rechtgläubigen zu sich vor, der sich über die Enteignung der Kirchen durch kaiserlich gewordene Mönche beschweren wollte …
Deswegen hat der Gott der Gerechtigkeit, der allein Allmächtig ist, … aus dem Süden die Kinder Ismaels herangeführt, um uns aus den Grausamkeiten der Römer zu erlösen … zwar haben die Araber uns die von den Römern geraubten Kirchen nicht zurück gegeben, das ist ein großer Schaden - aber es ist nicht schlimm im Vergleich zu dem Vorteil, dass wir nun frei sind von der Grausamkeit der Römer, von ihrer Verlogenheit, von ihrem Zorn … und Ruhe haben."
3.6. Die koptischen und syrischen Kirchen hatten unter den Muslimen Ruhe, sie blieben im Gegensatz zu Nordafrika stark und lebendig bis in unser Jahrhundert. Seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches dezimieren sie Christenverfolgung und Emigration.
3.7. Die Rolle des Kaisers, die kirchliche Rolle des Kaisers macht verständlich, dass (Der Bischof von Rom am Tiber leitete also eine Kirchenspaltung ein, als er einen eigenen Kaiser krönte!) Karl der Große eine Kirchenspaltung einleitete, als er 794 in Frankfurt eine Synode abhielt, um in eigener Souveränität die Fragen zu behandeln, die 787 das reichskirchliche ökumenische katholische Konzil in Nizäa entschieden hatte.
3.8. Das Ende eines gemeinsamen Kaisertums für Lateiner und Griechen, für die Römer im Westen und im Osten, hatte zur Folge, dass nur noch einmal, 1439 in Florenz, ein gemeinsames Konzil zustande kam - unter dem doppelten gleichberechtigten Vorsitz des Papstes auf der westlichen und des römischen Kaisers auf der östlichen Seite.
Im Westen hatten die römischen Bischöfe mittlerweile größere Freiheiten der Kirche vom Staat erreicht als vorher, im Osten war die alte Tradition lebendig geblieben, dass der Kaiser für die Kircheneinheit zu sorgen hat.
3.9. Die alte Oströmische byzantinische Tradition wurde von allen Herrschern im Osten aufgegriffen, die sich aus dem Römischen Reich oder später aus dem Osmanischen Reich lösten oder die Tradition des Römischen Kaisers sonstwie fortführen wollten wie der "Zar" (aus "Caesar"). Sie kam in der Zeit des Absolutismus auch im Westen in neuer Form zur Geltung, wurde seit Joseph II. als Josephinismus zur selbstverständlichen Form auch in den Nachfolgestaaten Östereich-Ungarns und durch den Kommunismus bis heute erhalten.
In Deutschland in den evangelischen Landeskirchen gilt sie bis 1924. "Europa im Spannungsfeld von Rom und Byzanz", zwischen Ostrom und Westrom vor unserer Haustür, ja hinter der Haustür, z.B. bei Mischehen.
4. "Byzanz und die Folgen", "Europa im Spannungsfeld von Ost und West".
  Wir haben schon mehrere Spannungen gespürt, fassen wir einiges zusammen in vier Stichwörter:
4.1. die Verlegung der Hauptstadt des Römischen Reiches von Rom am Tiber nach Rom am Bosporus. Da können wir uns Spanungen leicht vorstellen, was bewegt uns so bei der Verlegung der Hauptstadt von Bonn nach Berlin?
Oder: die Verlegung des Regierungssitzes von Hildesheim nach Hannover, welche Verwundungen kommen da heute noch in manchen Gesprächen zum Ausdruck hier in dieser Stadt, auch nach 25 Jahren.
4.2. Spannungen, weil selbst im östlichen Teil des römischen Reiches der Patriarch von Neu-Rom Byzanz wegen der Anwesenheit des Kaisers sich immer stärker gegen die anderen Patriarchen durchsetzen kann, gegen die anderen Patriarchen des römischen Reiches (außer in Rom am Tiber) und des ehemaligen römischen Reiches, also Antiochien Alexandrien Jerusalem. Der Patriarch von Neu-Rom Byzanz behält seine faktischen Prärogativen aus der Anwesenheit des Kaisers auch in einer seit dem Patriarchen Photios größer werdenden Unabhängigkeit des Patriarchen von Byzanz vom Kaiser vom Byzanz bei. Unter den Osmanen dehnt der Patriarch von Neu-Rom Byzanz dann seine Verantwortung auf Länder und Kirchen aus, die nie zum byzantinischen Reich gehörten. Damals wird der Begriff "Ökumenischer Patriarch" für den römischen Patriarchen in Neurom so richtig lebendig. Patriarch Johannes hatte ihn 588 eingeführt, Papst Gregor der Große (590-604) heftig protestiert. Das gesamte Osmanische Reich war sein Patriarchat, seine "griechische" oder "römische" Nation, die anderen Patriarchen von Antiochien Alexandrien Jerusalem wohnten meistens bei ihm in İstanbul Konstantinopel und suchten die Kircheneinheit zu erhalten. Eine handeltreibende orthodoxe Oberschicht, die Phanarioten (vom Amtssitz des Patriarchen, dem "Phanar", die keineswegs alle das Griechische als Muttersprache hatten, waren an großräumigen Wirtschaftsbeziehungen und keineswegs an der Zerstückelung des Osmanischen Reiches in Nationalstaaten interessiert. Um die Einheit ihrer Nation zu bewahren, suchten sie die orthodoxen Bischofssitze im ganzen Reich mit ihren Gesinnungsgenossen zu besetzen. Im 18. Jahrhundert ist es ihnen tatsächlich gelungen, die beiden südosteuropäischen Bastionen kirchlicher und damit auch "nationaler" Autonomie zu beseitigen: Peć und Ohrid. In Peć gab es eine serbische Nation, in Ohrid eine Nation aus Griechen, Makedoniern, Albanern, Bulgaren, Rumänen.
4.3. Als dann die Osmanen mehr und mehr zurückgedrängt wurden, blieben die neuen christlichen Länder außerhalb des osmanischen Reiches, die der byzantinischen Tradition folgten, nach Meinung des Patriarchen in Byzanz von ihm abhängig. Sie selbst fanden aber mit der staatlichen Unabhängigkeit auch eine Unabhängigkeit vom byzantinischen Patriarchen selbstverständlich. Sie gerieten dadurch in Schisma zu Konstantinopel. Solche Schismata bestehen bis heute, z.B. der Makedonischen Kirche im neuen Staat Makedonien im Süden des ehemaligen Jugoslawien.
4.4. Die Spannungen zu den schon früher außerhalb des byzantinischen Reichs gelegenen Christen Armenier, Ägypter, Syrer sind uns durch die eindrucksvollen Worte des Patriarchen Michael im Herzen.
5. "Byzanz und die Folgen",
  damit wären wir bei einem Abschnitt, zu dem jetzt sehr gut das vor einem Jahr vorgeschlagene vorläufige Thema passt: "geschichtliche Entwicklung der Ostkirchen".
5.1. Ostkirchen ist heute eigentlich der Oberbegriff für alle katholischen Kirchen in Osteuropa und dem Nahen Osten (die Engländer sagen Middle East), die nicht den westlichen Gottesdienst- und Gemeinde-Traditionen folgen, Oberbegriff für alle diese Kirchen, unabhängig von ihrer Nähe zu dem Rom am Tiber oder dem Rom am Bosporus.
Die Ostkirchen östlich und südlich des byzantinischen Reiches sind teilweise älter als die Hauptstadt Neurom Byzanz. Heute nennen wir diese Kirchen "Vor-Chalzedonier", gestern nannten wir sie noch "Monophysiten" Armenien Kopten mit Äthiopien und Eritrea, Syrer mit Indien. Und die Alte Katholische Kirche des Osten, die "Nestorianer" oder Assyrer oder Chaldäer.
5.2. Kommen wir jetzt zu denen, die ihre Kirchenordnung aus Byzanz nehmen, so ist als erste selbstständige Kirche die Bulgarische Orthodoxe Kirche zu nennen, noch zur Zeit von Byzanz. Westrom reichte damals noch bis Thessaloniki, erst die ikonoklastischen Kaiser (Ikonoklasmus = Bildersturm, Bilderverbot) verlegten die Grenze zwischen Ostrom und Westrom nach Westen, so dass auch die Bulgaren durchaus in der Entscheidung zwischen einer Kirchengründung nach westlichem oder nach östlichem Stil waren.
5.3. Eine serbische Kirche entwickelt sich, die später die orthodoxe Kirche der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn ist. (offiziell heißt es immer, dass der serbische Patriarch Arsenios 1691 mit seinen Leuten vor den Türken nach Österreich floh, vielleicht floh er auch vor einer erneuten Einverleibung ins Patriarchat von Byzanz; Suttner, Kirche und Nation, S. 103f, 251)
5.4. Es folgt die Kirche der Rus, von Kiew aus in wechselnder enger und weiter Verbindung mit dem Zweiten Rom, bis dann nach 1453 Moskau Sitz eines Patriarchen wird, zum Dritten Rom.
5.5. Mit den Nationalstaaten entwickelt sich eine
Rumänische Orthodoxe Kirche,
Ukrainische Orthodoxe Kirche,
Orthodoxe Kirchen in Finnland,
Estland,
Polen,
Tschechoslowakei,
und durch die Emigration in den Vereinigten Staaten.
Damit es richtig auffällt, nenne ich ganz zum Schluss die byzantinische orthodoxe Kirche, die eigentlich die allerälteste ist, die Kirche von Georgien im Kaukasus, sie wurde 337 Staatskirche in einem christlichen Königreich, wenig später als Byzanz zum "Zweiten Rom" wurde.
Die Kirche von Zypern ist eine eigenständige Orthodoxe byzantinische Kirche.
Ebenso gibt es eine Orthodoxe Kirche in Griechenland mit einem Erzbischof in Athen, große Teile der orthodoxen Kirche des jungen Staates gehören aber direkt zum Patriarchen von Konstantinopel.
5.6. Die wirklichen Byzantiner in der Stadt İstanbul wollen unter gar keinen Umständen Griechen genannt werden, sie nennen sich Romaíoi Römer (und auch die Türken nennen sie so, Rum Ortodox, die Griechen von Griechenland werden von den Türken Yünani genannt) und reden manchmal spöttisch über die Griechen in Griechenland, im Juli sagte einer zu mir "ach, diese Griechen in Griechenland, das sind Türken, die glauben, sie seien Italiener".
6. "Byzanz und die Folgen",
  Ich unterscheide drei oder vier geschichtliche Phasen.
Die 1. Phase: Gegenseitige Anerkennung als Schwesterkirchen in voller Gemeinschaft bis 1453.
6.1.1. Probleme und Schismen werden in dieser Phase durch die Konzilien gelöst, "Apokrisiare" als zwischen den Kirchen ausgetauschte Gesandte (heute könnten wir sagen "Nuntien", "Ständige Vertreter") halten ständige Gesprächsbereitschaft und ermöglichen die Suche nach einvernehmlichen Lösungen, Apokrisiare haben heute noch die Patriarchate Jerusalem, Antiochien, Alexandrien und Bulgarien beim Patriarchen von Moskau.
6.1.2. Probleme zwischen der Reichskirche (also Rom und Konstantinopel) einerseits und den altorientalischen Kirchen andrerseits (Syrern, Kopten, Armeniern, Nestorianern) werden von den Kaisern mit militärischer Gewalt gelöst. Die Städte gehören zur Reichskirche, das Land bleibt altorientalisch und begrüßt die Muslime als Befreier.
6.1.3.1. Wachsende Spannung durch die Krönung eines außerhalb des Reiches stehenden Königs Karl durch den ersten Bischof des Reiches, den Bischof von Rom 800, obwohl doch ein Kaiser da ist!
6.1.3.2. Wachsende Spannung durch die Eroberung des griechischen Süditalien durch die Normannen - die Übertragung der Gebeine des hl. Nikolaus 1087 vom unbewohnt gewordenen Myra zu den Griechen in Bari ist ein Versuch, das Griechentum in Bari zu stärken.
6.1.3.3. die Erneuerung durch die Reformpäpste des 11. und 12. Jahrhunderts stärkt den Westen
6.1.3.4. Die Italienischen Handelsstädte, z.B. Venedig, haben großen wirtschaftlichen Erfolg im byzantinischen Reich, 1204 erobern sie Konstantinopel
6.1.3.5. Versuch einer Vereinigung der getrennten Kirchen durch Unterstellung der Griechen unter lateinische Bischöfe, z.B. auf Zypern von 1191 (Ritter), 1372 (Venedig) bis zur Eroberung durch die Türken 1571.
6.1.3.6. Vereinigung durch Lösung des "Filioque" (Credo: der aus dem Vater "und dem Sohne" hervorgeht) auf dem Konzil von Lyon 1274 scheitert, Vereinigung in Ferrara Florenz 1439 scheitert.

Die 2. Phase: Byzanz ohne christlichen Kaiser
6.2.1. Die Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen am 22. Mai 1453 bringt für die östliche Kirche den Verlust gemeinsamer Handlungsfähigkeit, weil der Kaiser fehlt. Das Kirchenbild wird in Ost und West allmählich unterschiedlich:
- autokephale unabhängige Ortskirchen im Osten als Fortführung altchristlicher Tradition, im Bewusstsein gemeinsamen Bekenntnisses
- ökumenischer Zusammenhalt der Ortskirchen unter gemeinsamer Führung des Bischofs von Rom im Westen, mit ganz bewusst nicht zu diesem ökumenischen Zusammenhalt gehörenden und altchristliche Tradition ablehnenden protestantischen Landeskirchen, im Bewusstsein verschiedenen Bekenntnisses.
6.2.2. Die Theologie der westlichen Kirchen wird fast ausschließlich mit den Themen der Reformatoren befasst, das östliche Erbe gerät im Westen in Vergessenheit.
6.2.3. Unter Osmanischer Herrschaft verfällt die Theologie der griechischen Kirchen.
6.2.4. Moskau sieht sich in der Aufgabe für die Einheit der Gesamtkirche als "Drittes Rom".
Wo die Zugehörigkeit der östlichen Kirchen zum gemeinsamen Bekenntnis angezweifelt wird, wollen östliche Ortskirchen ihre Gemeinschaft mit der römischen Kirche bekräftigen,
1. Unionspläne im Fürstentum Moldau
2. Union von Brest 1596 in Brest in Litauen
3. Union von Marca
4. Union von Uzgorod
5. Union von Siebenbürgen 1784 von den rumänischen orthodoxen Christen in der Habsburger Monarchie.
Diese Bitte östlicher Kirchen um Bestätigung der vollen Gemeinschaft im Ökumenischen Zusammenschluss "römische Kirche" wird in Rom als Bitte um Aufnahme in diesen Ökumenischen Rat "römische Kirche" missverstanden. Es kommt zu schweren zwischenkirchlichen Rivalitäten.

Die 3. Phase: Der offizielle Bruch 1729
6.3.1. Das Verbot der "communicatio in sacris" durch die römische Kongregation für die Glaubensverbreitung Propaganda Fide 1729.
Bei westlichen Priestern unter den östlichen Christen war strittig geworden, ob die Sakramente außerhalb der in Einheit mit dem Bischof von Rom stehenden Kirchen erlaubt gespendet würden. Dass sie gültig gespendet würden, daran war seit dem Konzil von Trient kein Zweifel. Rom sandte mehrere Mahnschreiben, um den misslichen Streit beizulegen. Als der Streit weiter ging, wurde schließlich 1729 von der Propaganda fide entschieden, dass "communicatio in sacris" nur mit den in voller Einheit stehenden Priestern möglich sei. Parallele seelsorgliche Strukturen entstanden.
6.3.2. Der Zweifel offizieller Stellen in Rom an der Berechtigung der griechischen Kirchen zur Spendung der Sakramente und die Konkurrenz zwischen sogenannten Unierten Orthodoxen und sogenannten Nichtunierten Orthodoxen beunruhigte die griechischen Patriarchen.
Im Juli 1755 erklärten die Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Jerusalem in Konstantinopel gemeinsam:
Wir, die wir durch Gottes Erbarmen in der orthodoxen Kirche aufwuchsen, den Kanones der hl. Apostel und Väter gehorchen, nur die eine, unsere heilige, katholische und apostolische Kirche anerkennen, ihre Sakramente, folglich auch die Taufe annehmen, aber die Sakramente der Häretiker als verkehrt ansehen, wir verwerfen die Sakramente der Häretiker in gemeinsamem Beschluss. Wir nehmen die Konvertiten, die zu uns kommen, als Ungetaufte auf.
Nie zuvor in der Kirchengeschichte hat es eine vergleichbare Verurteilung zwischen den griechischen und den lateinischen Kirchen gegeben. Das Patriarchat von Antiochien schloss sich an.
6.3.3. Moskau "das 3. Rom" allerdings verfügte 1757, dass weiterhin die Sakramente der westlichen Kirche anzuerkennen seien. So bestätigte der Moskauer Metropolit Filaret Drozdov im 19. Jahrhundert. Filaret wurde am 7. Dezember 1995 in der Kathedrale im Kreml in Moskau heilig gesprochen.
6.3.4. Im 18. Jahrhundert hält also der weltumspannende Zusammenschluss der katholischen Ortskirchen daran fest, dass die ökumenische Einheit mit (fast) allen anderen allein seligmachend ist, während orthodoxe Kirchen sich für die alleinige Kirche Christi halten. Im 18. Jahrhundert wird es möglich, von einer katholischen Kirche und von einer orthodoxen Kirche als Konfessionen zu sprechen.

Die 4. Phase: Rückkehr zur traditionellen Auffassung von Schwesterkirchen (1. Phase)
6.4.1. durch das 2. Vatikanische Konzil 1962-1965 und die Panorthodoxen Konferenzen, Ausarbeitung dieser Rückkehr durch die Gemeinsame Offizielle Theologische Kommission der katholischen und der orthodoxen Kirche.
6.4.2. In einer Gemeinsamen Erklärung mit Papst Johannes Paul II. vom 30. Juni 1995 wiederholt der Patriarch von Konstantinopel Bartholomäus, "dass unsere Kirchen sich gegenseitig als Schwesterkirchen anerkennen" (Nr.2). Den Text habe ich aus KIPA Freiburg Schweiz. In KNA Dokumente 24 vom 1. 7. 1995 ("wir dokumentieren die Erklärung in Auszügen") ist dieser Satz nicht aufgenommen. Übrigens fehlt ein Hinweis auf "Schwesterkirchen" auch in der neuen Ausgabe des Denzinger von Prof. Hünermann - schlichtweg übersehen etwas dogmatisch so entscheidendes im "Kompendium der Glaubensbekenntnisse und Kirchlichen Lehrentscheidungen"!
6.4.3. Wie das Aufblühen der Kirche im vierten christlichen Jahrhundert als Wunder durch die zahlreichen Martyrer erklärt wird, so sieht Papst Johannes Paul II. in Tertio Millennio adveniente die Martyrer unseres Jahrhunderts als Erklärung für das Wunder der am Ende des zweiten Jahrtausends (Nr.37) immer bewusster werdenden Ökumene. Als Erklärung, wieso dieser riesige und enge ökumenische Zusammenschluss "Katholische Kirche" sich erhält und stärker wird, und auch die anderen Kirchen 1948 einen ähnlichen Zusammenschluss gebildet haben, trotz Aufkommen der Nationalstaaten, trotz Zerfalls der großen Reiche, Österreich, Osmanische Reich, Britisches Empire, Sowjetreich. 1890 wurden 90% der Bischöfe von Ortskirchenautoritäten ernannt, Domkapitel, König, Kaiser, Patronatsherr. 1990 werden 90% der katholischen Bischöfe in Zusammenhang mit der Gesamtkirche, mit der Ökumene ernannt, "vom Papst".
7. "Byzanz und die Folgen",
7.1. wer weiß über Osteuropa? Seit einigen Jahren finden sich vermehrt Vorlagen für den Religionsunterricht, auch Religionslehrertagungen laden vermehrt Referenten zum Thema Osteuropa ein. Aber in meiner Generation und lange danach ist wenig bekannt. (s. Prof. Hünermann)
7.2. Da wird vom alten und vom neuen Kalender geredet, wobei unser gregorianischer Kalender der neue genannt wird, obwohl er eigentlich der alte ist: Gregor XIII. hat den Kalender im Oktober 1582 wieder dem Stand der Gestirne angepasst, wie ihn das Konzil von Nizäa als Grundlage des liturgischen Jahres wollte.
Viele Ostkirchen, auch die mit Rom ganz unierten, folgen aber weiter dem unkorrigierten "julianischen" Kalender des Julius Caesar. Dieser Kalender entfernt sich immer mehr von den Gestirnen, seit 1900 hat er z.B. die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche 13 Tage später als sie wirklich ist, ab 2100 werden es 14 Tage sein.
Das ist einer der Gründe, warum die meisten Orthodoxen Ostern später feiern als wir. Und nicht einmal untereinander können die Orthodoxen sich darüber einigen. Fehlt der Kaiser? Es müsste schon ein Weltenkaiser sein.
7.3. Oder der Buß- und Bet-Tag! ein Witz, dass er als protestantischer Feiertag gilt, und noch schlechterer Witz, dass der entsprechende Staatsfeiertag gerade jetzt abgeschafft wird, wo Osten und Westen zusammenwachsen und zusammen wachsen sollten. Der Buß- und Bet-Tag erinnert an den uralten gesamteuropäischen Beginn der sechswöchigen Fastenzeit vor Weihnachten. Die byzantinischen Ostkirchen haben heute noch diese sechswöchige Adventszeit. Die frommen Preußen wussten das sehr genau, als sie 1866 die vielen Bußtagstermine der protestantischen Landeskirchen auf einen einzigen Termin zusammenlegten, eben auf den Mittwoch vor dem letzten Sonntag des Kirchenjahres.
7.4. Spannungsvoll auch die Bezeichnungen: Griechisch-Orthodox, Russische Orthodoxe Kirche.
8. "Byzanz und die Folgen",
8.1. ist unser Thema veraltet? weil keiner mehr davon weiß? oder weil der Ökumenische Patriarch Bartholomäus Ende 1996 in Bukarest die Rumänische Orthodoxe Kirche "Byzanz nach Byzanz" "Byzance après Byzance" nannte, weil sie als einzige der byzantinischen Schwesterkirchen die Tradition der Kirche Ostroms trägt zusammen mit der sprachlichen neulateinischen und kulturellen Bindung an Westrom.
Ihr folgen mittlerweile Millionen von Orthodoxen in den Ländern der Emigration, englisch in den USA und in England, französisch in Frankreich, romanisch ähnlich wie rumänisch in Lateinamerika.
8.2. Ist die Spannung am Spannungsfeld überholt? der gleiche Ökumenische Patriarch Bartholomäus sagte vor kurzem in Chévetogne, dass die Einheit zwischen Westrom und Ostrom heute größer sei als im ersten Jahrtausend.
Davon bin ich auch überzeugt.

Vortrag von Dr. Wyrwoll
im Dom-Museum Hildesheim
am 20. Januar 1998