OKI-Logo "Die Kirche selbst ist Ökumene"
Prälat Dr. Nikolaus Wyrwoll zum Stand der Ökumene
zwischen katholischen und orthodoxen Kirchen.

 

Einer der Schwerpunkte des Pontifikats Benedikts XVI. ist die Vertiefung der Ökumene mit den orthodoxen Kirchen. Was ist erreicht worden? Welche Rolle spielen historische Belastungen, gibt es Mythen in den Beziehungen, die in den Köpfen überwunden werden müssen? KNA sprach mit Prälat Dr. Nikolaus Wyrwoll, dem Direktor im Ostkirchlichen Institut Regensburg und Bischöflichen Beauftragten im Bistum Hildesheim für Ökumene.
Frage: Herr Dr. Wyrwoll, Papst Benedikt XVI. will die Ökumene mit den orthodoxen Kirchen vertiefen. Was ist seit seinem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren an ökumenischen Fortschritten erreicht worden?
Wyrwoll: Papst Benedikt XVI. macht ernst damit, dass Ökumene gleichbedeutend mit dem Leben der Kirchen selbst ist. Die katholische Kirche ist selbst die Ökumene, Communio von vielen katholischen Schwesterkirchen im einen Leib Christi. Die orthodoxen Kirchen sind solche Schwesterkirchen, wie DOMINUS JESUS 17 ausdrücklich anerkennt. Der größte Fortschritt besteht darin, in Wort und Tat anzuerkennen, dass hier gar kein Fortschritt mehr nötig ist.
Johannes Paul II., hat 1978 in den ersten Stunden seines Dienstes gesagt, dass die Einheit innerhalb "der katholischen Kirche" und die Einheit mit den anderen Kirchen die beiden Seiten der einen Medaille sind.
Frage: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Besuch des Papstes beim Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel?
Wyrwoll: Der Besuch des Papstes beim Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel ist Ausdruck dieser Schwesterkirchen-Communio in einer Reihe von gegenseitigen Besuchen. Diese haben mit dem Besuch von Papst Paul VI. in Konstantinopel 1967 begonnen haben mit dem Breve "Anno ineunte", in dem die Terminologie der Schwesterkirchen neu aufgegriffen wird. Die Bistümer Konstantinopel und Rom besuchen sich zum Andreasfest und zu Peter und Paul. Andere ahmen diese Besuche nach, zum Beispiel die Deutsche Bischofskonferenz und das Moskauer Patriarchat.
Frage: "Lieber der Turban des Sultans als die Tiara des Papstes", lautete ein Sprichwort der griechischen Christen. Welche Rolle spielt die Erinnerung an historische Ereignisse wie die Plünderung Konstantinopels und die Gründung eines Lateinischen Kaiserreichs in Byzanz durch die Kreuzritter im gegenwärtigen Verhältnis zwischen katholischen und orthodoxen Kirchen?
Wyrwoll: Die Aussage "Lieber den Turban als die Tiara" berichtet man ja auch von Martin Luther, als die Türken 1529 vor Wien standen. Die Ostkirchen haben Jahrhunderte lange und oft gute Erfahrungen einer Existenz in einem islamischen Lebensraum. Diese Erinnerung kann hilfreich sein für unsere heutige Beziehung zu unseren muslimischen Schwestern und Brüdern.
Papst Johannes Paul II. hat um Verzeihung gebeten für all das, was mehr oder weniger offizielle Vertreter der Westkirchen im oströmischen Reich angerichtet haben.
Aus der Psychologie wissen wir, dass Verletzungen oft lange nachwirken. Die Angriffe westlicher Heere auf islamische Lebensräume haben das Verhältnis der dortigen einheimischen Christen verschlechtert, weil sie der Sympathie mit den Feinden verdächtigt werden. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam ein positives Geschichtsbewusstsein entwickeln und uns daran erinnern, wie vieles uns verbindet.
Unser Geschichtsbewusstsein ist voll von Mythen, die nicht der geschichtlichen Realität entsprechen, zum Beispiel von einem angeblich "endgültigen Schisma 1054" [1] zwischen Ost und West. Ost und West sind seit der Zeit der Apostel getrennt, sagt das Zweite Vatikanische Konzil im Dekret über die Ökumene Nr.14.
Frage: Das sicherlich größte Problem für die Ökumene ist die Definition eines päpstlichen Primats. Joseph Ratzinger hat mehrfach betont, dass im Hinblick auf den Primat von den Orthodoxen nicht mehr verlangt werden könne, als was im ersten Jahrtausend formuliert und praktiziert worden ist. Wird diese Formel von den Orthodoxen akzeptiert?
Wyrwoll: Wer geschichtlich denkt, sieht sofort, dass eine Einigung nicht durch eine Rückkehr ins erste Jahrtausend erreicht werden kann. Nicht nur die Westkirchen, sondern auch die Ostkirchen haben seit dieser Zeit einen erheblichen Wandel durchgemacht. Seit 1453 fehlt den byzantinischen Ostkirchen der "Primat" des Kaisers, der als "Stellvertreter Christi" eine koordinierende Rolle wahrnahm. Auch sie können nicht zurück ins "erste Jahrtausend".
In einem Briefwechsel mit Metropolit Damaskinos hat Kardinal Ratzinger gestanden, dass er im Primat auch die größte Chance für die Ökumene sieht. Im Grunde sind die Orthodoxen ja die besten Zeugen für den Primat des Bischofs von Rom: Sobald die volle Communio wieder hergestellt ist, werden sie in ihrer Liturgie den Bischof von Rom wieder als ersten Hierarchen nennen. Gemeinsam suchen wir heute nach einem Primat, der die Einheit der Kirche in personaler Gestalt sichtbar macht - natürlich in demselben Geist, der die Kirche seit dem Pfingstfest bewegt und immer tiefer in die Wahrheit einführt.
Frage: Und wogegen richtet sich die orthodoxe Theologie?
Wyrwoll: Der Widerstand der orthodoxen Theologie richtet sich nicht gegen den Primat als solchen, sondern gegen den "Jurisdiktionsprimat", in dem sie einen Widerspruch zur geistgewirkten Einheit der Kirche und zur vollen Verantwortung des Bischofs in seiner jeweiligen Ortskirche sehen. Diese Rückfragen helfen den katholischen Kirchen, ihre eigene Tradition theologisch zu klären.
Frage: Welche Widerstände gibt es auf katholischer Seite gegen eine Begrenzung des päpstlichen Primats?
Wyrwoll: Der gefährlichste Widerstand ist wohl die die Unlust, festzustellen, wie "wenig" im Ersten Vatikanischen Konzil definiert ist. Der Primat enthält auf katholischer Seite seit jeher seine Begrenzung in sich selbst. Die theologische Tradition kennt den Grenzfall des "häretischen Papstes", der ipso facto sein Amt verliert, wenn er nicht mehr im Geist der ganzen Kirche handelt. Die Definition des Primats und der Unfehlbarkeit auf dem Ersten Vatikanischen Konzil schwächt nicht, sondern stärkt die Ortsbischöfe. Die Definition stärkt den Bischof von Rom und damit jeden Bischof und alle Kirchen gegenüber der weltlichen Gewalt, unterstreicht, dass wir nicht den Machthabern dieser Welt ausgeliefert sind. Diese Stärke garantiert die Freiheit der Kirchen, ja letztlich die Freiheit der Menschen in dieser Welt.
Frage: Wie sieht die Haltung der Orthodoxen zum Infallibilitätsdogma aus? Können und müssen die Orthodoxen die Unfehlbarkeit des Papstes anerkennen?
Wyrwoll: Die Orthodoxen betonen eine Einsicht des Glaubens, mit der die Katholiken völlig einverstanden sind: Die Wahrheit des Glaubens kann nicht von einer Instanz bezeugt werden, die sozusagen außerhalb und oberhalb der Kirche steht. Der "Geist der Wahrheit" ist der ganzen Kirche gegeben und kann nur von der ganzen Kirche bezeugt werden. Wenn man das Unfehlbarkeitsdogma richtig liest, dann enthält es genau diese Aussage: Die Autorität des Römischen Bischofs, wenn er "ex cathedra" spricht, stammt aus "jener Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei der Definition der Glaubens- oder Sittenlehre ausgestattet sehen wollte" (DH 3074 [2]). Das Unfehlbarkeitsdogma ist also eine Konkretisierung von Aussagen der Heiligen Schrift: Mt 28,20: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt und Joh 16,13: Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen.
Das muss zum Kriterium werden, nach dem der Bischof von Rom seinen Dienst ausübt.
Frage: Können und müssen die Orthodoxen andere Dogmen wie die unbefleckte Empfängnis Mariens oder die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel anerkennen?
Wyrwoll: Mit dem Inhalt der Mariendogmen sind die Orthodoxen nicht nur einverstanden, sondern machen in ihrer Liturgie Aussagen über die Gottesmutter Maria, die unsere Marienfrömmigkeit übersteigen: "Du bist ehrwürdiger als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim" … "Eingedenk unserer allheiligen, makellosen, hochgelobten und ruhmreichen Herrin, der Gottesgebärerin und immerwährenden Jungfrau Maria …"; vgl. den Hymnos Akathisthos … Die Orthodoxen bezeugen die wichtigsten Aussagen des Glaubens lieber im hymnischen Gesang der Liturgie als in einem trockenen dogmatischen Lehrsatz! Bei uns im Westen waren die beiden genannten Dogmen 1854 und 1950 hilfreich als Reaktion auf den Materialismus. Die Orthodoxen kritisieren, dass wir sie nicht mit ihnen gemeinsam verkündigt haben.
Frage: Ein weiterer Stolperstein im Dialog zwischen katholischer und orthodoxer Kirche ist der Uniatismus. Welche Ansätze gibt es, um in dieser Frage Fortschritte zu erreichen? Müssen die unierten Kirchen befürchten, von Rom im Stich gelassen zu werden, damit Fortschritte in der Ökumene erzielt werden können?
Wyrwoll: Die Unierten fühlen sich schon im Stich gelassen, seit das Vatikanische Konzil 1962-1965 die Sakramentengemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen erklärt hat und Kardinal Josef Ratzinger im Jahr 2000 in DOMINUS JESUS Nr. 17 festgestellt hat, dass die orthodoxen Kirchen echte Teilkirchen sind, obwohl sie den Primat nicht in seiner modernen Form anerkennen.
An der Wurzel der Entstehung der unierten Kirchen steckt ein Missverständnis, das aus dem antiprotestantischen Zentralismus der Nachreformationszeit hervorgeht: Als verschiedene Ost-Kirchen die Communio mit dem Bischof von Rom bestätigten und um seine Unterstützung baten, verlangte der Papst von ihnen, die Communio mit ihren Hierarchen des Ostens abzubrechen. Damit wurde die Trennung vertieft statt geheilt. Die orthodox-katholische Gesprächskommission hat bei ihrer Tagung in Balamand 1993 anerkannt, dass der Uniatismus in diesem Sinne nicht der Weg der Ökumene sein kann.
Wir alle sind von dieser Schuldgeschichte irgendwie infiziert. Es ist ein Zeichen der Erbsünde, dass der Geist der Spaltung nicht nur aus der Kirche herausführt, sondern gleichsam in ihr selbst Gestalt werden kann. Nicht die Kirchenpolitik kann uns aus dieser Situation herausführen, sondern nur der Geist des Gebets und der Bekehrung. Weil wir alle darauf angewiesen sind, haben wir nicht das Recht, einander im Stich zu lassen.
Frage: Papst Johannes Paul II. hätte gerne Russland besucht. Wie stehen die Chancen für einen Besuch Benedikts XVI. in Russland?
Wyrwoll: Eine persönliche Begegnung von Papst Benedikt und Patriarch Alexij von Moskau wird meiner Meinung nach bald stattfinden
Frage: Einer der wenigen theologischen Streitpunkte ist der so genannte Filioque-Streit. Gibt es hier Annäherungen zwischen Katholiken und Orthodoxen?
Wyrwoll: Kenner der Theologiegeschichte sagen uns, dass der Streit um das Filioque immer dann akut wurde, wenn die Kirchen in Ost und West aus anderen Gründen im Streit lagen und einen Vorwand brauchten, um sich gegenseitig des Irrglaubens zu bezichtigen. Es liegen zahlreiche theologische Interpretationen in Ost und West vor, die zeigen, dass das Filioque einvernehmlich verstanden werden kann.
Theologische Worte sind nicht eindeutig, sondern gewinnen ihren Sinn in einem größeren Zusammenhang des kirchlichen Lebens. Daran müssen wir arbeiten.
Frage: Die mediale Konzentration auf das Papsttum ist beachtlich. Von evangelischen Vertretern wie zum Beispiel Bischöfin Käsmann ist dies immer wieder kritisiert worden. Ist das für die Orthodoxen ein Problem?
Wyrwoll: Ich habe eher den Eindruck, dass die Orthodoxen mit Achtung auf das öffentliche Zeugnis der Päpste schauen. Das haben die anerkennenden Ehrbezeugungen anlässlich des Todes von Johannes Paul II. von orthodoxer Seite eindrücklich bestätigt. Die orthodoxen Kirchen haben einen ausgeprägten Sinn dafür, dass der Glaube nicht Privatsache ist, sondern eine "politische" Dimension hat. Das Evangelium soll nicht nur die Seele verändern, sondern jeden Bereich unseres Lebens und Zusammenlebens. In diesem Sinne wirken die orthodoxen Kirchen im Augenblick entscheidend mit an der Gestaltung der postkommunistischen Gesellschaft in Osteuropa. Die von den Medien verbreiteten mutigen Worte der Päpste werden von den orthodoxen Kirchen als Unterstützung und Stärkung ihres eigenen Wirkens wahrgenommen. Von vielen evangelischen übrigens auch.
Frage: Einheit in Vielfalt -- auf diese Formel könnte man die ökumenischen Bestrebungen bringen. Was kann die katholische Kirche von den Orthodoxen lernen und was können die Orthodoxen von den Katholiken lernen?
Wyrwoll: In einem allgemeinen Sinne: jede Teilkirche lebt nur einen Ausschnitt aus der großen, reichen Tradition des christlichen Glaubens. Häretiker ist derjenige, der seinen Ausschnitt mit dem Ganzen identifiziert und mit seinem Teilaspekt die anderen bekämpft. "Katholisch" oder "orthodox" sind alle Kirchen, denen die Gemeinschaft mit den anderen so wichtig ist, dass sie ihre bescheidene Wahrheit in das größere Ganze einbringen. Orthodoxe und Katholiken können aneinander lernen, was Sie "Einheit in Vielfalt" nennen.
Die Spaltung, die innerhalb der Westkirche nach drei Vierteln unserer gemeinsamen westlichen Kirchengeschichte aufkam, hat mit "Einheit in der Vielfalt" nichts zu tun: Hier muss eine Verneinung innerhalb ein und derselben Tradition geheilt werden. Die protestantischen Formulierungen "allein die Schrift - sola scriptura", "allein die Gnade - sola gratia" "allein durch den Glauben - sola fide" sind völlig katholisch wie alles, was wir in den protestantischen Kirchen an Frömmigkeit und gläubiger Praxis vorfinden. Geheilt werden muss nur, dass das, was wir aus der bis 1500 gemeinsamen Tradition bei den Protestanten nicht vorfinden - z.B. fünf Sakramente, Marienfrömmigkeit - angeblich falsch ist.
Frage: Seit dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, das das Verhältnis zu den getrennten Kirchen im Dekret über den Ökumenismus "Unitatis Redintegratio" behandelt hat, sind über 40 Jahre vergangen. Glauben Sie, dass das Schisma der Kirche in 40 Jahren überwunden sein wird?
Wyrwoll: Wenn es ein Schisma zwischen Ost und West gab, ist es mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überwunden, als Papst Paul und Patriarch Athenagoras 1965 die gemeinsame Erklärung verlasen, durch die die Exkommunikation von 1054 aus der Erinnerung der Kirche herausgenommen, für gegenstandslos erklärt und ganz und gar in der Vergessenheit begraben wird. Und eine Sakramentengemeinschaft erklärt wird, die die russische orthodoxe Kirche 1967 aufgegriffen hat. 1979 haben alle byzantinischen orthodoxen Kirchen einen offiziellen gemeinsamen Dialog mit den katholischen Kirchen zur Herstellung der Sakramentengemeinschaft begonnen.
Die armenischen, assyrischen, koptischen und syrischen Kirchen haben in den letzten Jahrzehnten gewisse Sakramentengemeinschaft mit Rom vereinbart. Damit scheint mir heute "offiziell" eine Einheit zwischen Ost und West zu existieren wie noch nie seit der Zeit der Apostel.
In unseren Köpfen muss das Schisma noch überwunden werden. Deswegen z.B. gibt das vatikanische Staatssekretariat allen, die von Berufs wegen den Annuario Pontificio auf den Schreibtisch bekommen, in diesem Frühjahr 2007 dazu in gleicher Aufmachung das Verzeichnis aller orthodoxen Bischöfe, das mit Unterstützung durch das Bistum Hildesheim jedes Jahr im Ostkirchlichen Institut Regensburg erscheint.

 

Dr. Ralf Magagnoli