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Vladimir Solov’ev




Andreas Martin
Dresden

Alleinheit und Vielfalt,
Einführung in Leben und Werk von Vladimir Solov’ev

Vladimir Sergejevic Solov’ev (1853-1900) war Philosoph, Theologe, Publizist und Dichter, mit Lev Tolstoj und Feodor Dostojévskij "in Freundschaft und Streit verbunden". Was macht diese Gestalt und ihr Programm der All-Einheit so interessant? Ist es der eschatologische Anspruch, der schon die Zeitgenossen in seinen Bann schlug: ´Er steht da wie ein Prophet‘ (17)? Ist es der Versuch einer endgültigen, universalen Synthese von Wissenschaft, Philosophie und Religion östlicher und westlicher Tradition, die über den Ansatz Hegels hinausreichen und sich gegen Nietzsches Nihilismus behaupten will? Oder ist es Sophía, die göttliche Weisheit, die sich im Letzten jeder philosophische Geist zur "mystischen Braut" erwählt und mit der Solov’ev eine geradezu visionäre, personale Beziehung verbindet? Oder ist es schließlich das "neue Russland", zu dessen Sprecher er sich an der Schwelle zum 20. Jh. macht, dessen Fall er fürchtet und dessen Schicksal auch uns heute als Europäer nicht unberührt lassen kann?

Solov’ev verbindet manches mit Pascal, wenn er nach einer jugendlichen Hinwendung zum Atheismus später schreibt: "Alles, was die abstrakte Vernunft geben kann, ist erprobt und hat sich als untauglich erwiesen; und die Vernunft selbst hat auf vernünftige Weise ihre Insolvenz bewiesen. Aber dieses Dunkel ist der Beginn des Lichtes; denn wenn der Mensch gezwungen ist zu sagen: Ich bin nichts - so sagt er eben damit: Gott ist alles. Und hier erkennt er Gott - nicht die kindliche Vorstellung aus früherer Zeit und nicht den abstrakten Begriff des Verstandes, sondern den wirklichen und lebendigen Gott...". Er ähnelt aber auch einer Jeanne d´Arc, die sich beauftragt weiß, eine göttliche Mission zu erfüllen. Solov’ev will, dass der Zar sich der geistlichen Führung des Papstes unterwirft und er will, dass der römische Papst das russische Reich als Führungskraft in einer freien Theokratie anerkennt (22). Leo der XIII. kommentiert einen diesbezüglichen Brief: "Gute Idee! Aber sie geht über ein Wunder hinaus, einfach unmöglich" (23). Solov’evs Gedankengänge ähneln auch den teilweise mythologisch anmutenden Ansätzen Spinozas, Schopenhauers oder Schellings, wenn diese Gott oder das Göttliche nicht aus sich selbst, sondern aus unhinterfragbaren Urgründen aufsteigen lassen (vgl. auch Jakob Böhme). Hier gerät Solov’ev in Widerspruch mit der christlich-jüdischen Schöpfungslehre, dem Verständnis von Ursünde und Fall. Aber er ist von den drei Begegnungen mit der Weisheit (Sophía) so überzeugt, dass er sich nicht beirren lässt. Sie, die er als Kind in einer Vision sah, die ihm bei einem Besuch der Londoner Bibliothek erschien und die ihm auf einer Fahrt nach Ägypten in der Wüste begegnete, diese Weisheit ist nicht deckungsgleich mit einer Emanation oder Qualität Gottes, auch nicht Bild für die Gottesmutter Maria, wie sie die christlichen Kirchen in ihrer Mehrzahl begreifen. Sie ist... ist mehr, will mehr!

Solov’ev spürt sich gedrängt, gegen die Leibeigenschaft vorzugehen, gegen den Hass auf die Juden, er will "Religion als herrschendes Prinzip, als Gravitationszentrum der geistigen Welt" neu einsetzen (35), er schreibt eine "Rechtfertigung des Guten" - eine wirklich lesenswerte Moralphilosophie. Dies füllt sein Leben aus, entkräftet es aber auch, lässt es mit einer visionären Mahnung enden, die er in der "Erzählung vom Antichrist" in dramatischer Form kurz vor seinem Tod verarbeitet. Wie vieles mutet uns hier sehr modern an!

"Der Sinn der Welt ist Friede, Übereinstimmung, Einmütigkeit aller. Das höchste Gut ist, wenn alle vereint sind in einem allumfassenden Willen, alle solidarisch in einem gemeinsamen Ziel...., darin liegt die ganze Wahrheit der Welt. In der Zwietracht, in der Trennung ist keine Wahrheit.... Die volle Wahrheit der Welt aber besteht in der lebendigen Einheit dieser Wahrheit der Welt, und darin liegt ihre Schönheit. Wenn die Vielfalt der sinnlichen Erscheinungen in eins zusammenklingt, dann wird diese sichtbare Harmonie von uns als Schönheit empfunden (Kosmos = Welt, Harmonie, Schönheit)" (47).

Ein hehres Ziel, eine hoffnungsvolle Vision, aber sie wird Zeit brauchen.

Wer war Vladimir Sergejevic Solov’ev?

"Man kann sagen, er ist der Philosoph Nr. 1. Mit ihm begann erst eigentlich in Russland die Philosophie im klassischen Sinne", so in der Einleitung zu einem russischen Sammelband über Solov’ev.

Am 16. Januar 1853 in Moskau geboren, war er als Kind "so fröhlich und zugleich düster". Früh verband sich eine mystische Begabung mit dem Wunsch die Wirklichkeit zu erkennen.

Solov’evs Vater war ein berühmter russischer Geschichtsgelehrter und in der Studienzeit seines Sohnes Rektor der Universität in Moskau.

Vladimir studiert zunächst Naturwissenschaften, seziert Blutegel und beschäftigt sich mit den Theorien Haeckels. Er studiert die deutschen Philosophen, Auguste Comtes und stellt wenig später fest: "Es war notwendig und nützlich, ‘durch den Kult der Naturerkenntnis durchzugehen nach (all) den Hegelschen Abstraktionen’".

Einer jungen Verwandten schreibt er sogar: "...beschäftige Dich nicht zu ausdauernd und um Gottes willen nicht mit Naturwissenschaften: Dieses Wissen ist in sich selbst ganz leer und voller Täuschung. Wert zu studieren ist an sich nur die menschliche Natur und das Leben, doch diese kann man am besten in den wahrhaft poetischen Werken kennen lernen; deshalb rate ich Dir: lies möglichst die großen Schriftsteller".

Solov’evs Weg zum reifen Glauben weist Turbulenzen auf: "Mit 13 Jahren habe ich ihn (den Glauben) verleugnet", schreibt er an die gleiche Freundin, "heute noch schmerzt mich die Erinnerung - völlige Leere war in meinem Innern, Dunkelheit, ich war lebendig tot".

Dabei hatte er mit 9 Jahren bereits die erste mystische Begegnung mit der Weisheit – Sophia - während eines sonntäglichen Mittagsgottesdienstes. Doch noch in seiner Studienzeit erhält er den Glauben zurück und erkennt seine Lebensaufgabe, der er treu bleibt: "Eine Aufgabe steht aus: die ewig gültigen Inhalte des Christentums in eine neue, ihm entsprechende, d.h. unbedingt vernunftgemäße, Form zu überführen...Jetzt gilt es noch entschieden an der Theorie zu arbeiten, an der theologischen Lehre. Das ist im Eigentlichen meine Sache".

Als Solov’ev 1874 seine Magisterarbeit zum Thema "Krise der westlichen Philosophie (gegen die Positivisten)" verteidigte, "vernichtete und besiegte er das Lügengespinst der wutschnaubenden, eingefleischten Positivisten, Materialisten, Nihilisten u.a.", so ein damaliger Verehrer Solov’evs. Die Wirkung dieser Arbeit war tatsächlich außergewöhnlich und verhalf Solov’ev sofort zu einer Anstellung an der Moskauer Universität.

Kurz darauf drängt es ihn, eine Studienreise nach England zu unternehmen. Er beschäftigt sich in dieser Zeit u. a. mit den östlichen Religionen und er will im "Britischen Museum die Denkmäler der indischen, gnostischen und mittelalterlichen Philosophie studieren".

Dort hat er seine zweite Vision der Weisheit – Sophia. Spontan entschließt er sich zu einem "Abstecher" nach Ägypten, lernt arabisch, erklimmt die Cheopspyramide, badet im Nil, und sieht eine echte Sphinx.

Obwohl er eigentlich länger bleiben will, bricht er seinen Aufenthalt vorzeitig ab. In der Wüste begegnet ihm zum dritten und letzten mal die Sophía, die Weisheit, die ihm schon im Londoner Museum den Weg nach Ägypten gewiesen hatte. Bei aller Skepsis gegenüber diesen Erscheinungen der Weisheit und allen rationalen Begründungen was die Motivation für die Reisen und Ziele Solov’evs angeht, ob "man an Gott, an die Weisheit glaubt, es ist wert daran zu glauben, dass Vl. Solov’ev etwas schaute", so der Biograph.

Es war für Solov’ev wichtig, dass er sah, worüber er nachdachte.

Er wird der russische Plato genannt und als solcher lebte er in zwei Welten: "in der Welt der Dinge... und in der Welt der Ideen - der echten und wahren Welt".

Der Biograph fügt an dieser Stelle hinzu: "Während der gewöhnliche Philosoph die Idee denkt, schaut sie der visionär begabte Philosoph auch noch".

Im Juni 1876 kehrt Solov’ev nach Moskau zurück. Er vermeidet es, sich nochmals in Europa aufzuhalten, im Westen, den er einmal sehr despektierlich mit einem "Abtritt" vergleicht. Vielleicht waren ihm schon damals die Auswüchse der Zivilisation zuwider, er hatte z.B. eine Abneigung gegen Zylinder: "Man galt als nackt , wenn man keinen trug".

Solov’ev schreibt an seiner Habilitation: "Kritik der abstrakten Prinzipien", die er 1880 verteidigt. Hier taucht zum erstenmal in systematischer Form der Gedanke der All-Einheit auf. Solov’ev stellt drei Erkenntnisprinzipien heraus: das göttliche (religiöse), das materielle (naturwissenschaftliche) und das menschliche (philosophische). Die Philosophie sei berufen "die innere Verbindung zwischen dem göttlichen und materiellen Prinzip herzustellen". So wird die Einheit von menschlicher Erkenntnis und die All-Einheit des Lebens erreicht.

In seinen "Vorlesungen über das Gottmenschentum" von 1878 führt Solov’ev diesen Zusammenhang weiter aus: Die All-Einheit ist "die Realität des Alls, die allgemeine oder ganzheitliche Realität, die Realität Dessen, Der alles ist - die Realität Gottes...Sie ist Gegenstand des religiösen Wissens... Die Religion ist die Vereinigung des Menschen und der Welt mit dem unbedingten und ganzheitlichen Prinzip. Dieses Prinzip schließt, da es ein ganzheitliches oder allumfassendes ist, nichts aus, und darum kann die wahre Vereinigung mit ihm, die wahre Religion kein Element, keine lebendige Kraft im Menschen und in seiner Welt ausschließen oder unterdrücken oder sich gewaltsam unterwerfen. Die Vereinigung oder die Religion besteht darin, dass alle Elemente des menschlichen Seins, alle einzelnen Prinzipien und Kräfte der Menschheit in das richtige Verhältnis zum unbedingten zentralen Prinzip und durch dieses und in ihm zum richtigen und harmonischen Verhältnis gegeneinander gebracht werden". Solov’ev betont weiter, dass diese Vereinigung eine "unbedingt freie" sein muss. "Und so stellt sich", fährt er fort, "von dieser Seite aus gesehen, das religiöse Prinzip als die einzige tatsächliche Verwirklichung der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit dar".

Zurück zur Biographie. Solov’ev hatte Gegner an der Universität, besonders der Rektor Michail I. Wladislawzew verhinderte eine Anstellung. Er wusste wohl, was er tat: Ende März 1881 kommt es zu einem politischen Skandal. In einer Vorlesung (Solov’ev war als Privatdozent an der Universität tätig) äußerte Solov’ev das Folgende: "Dieser Augenblick stellt einen bis jetzt nie da gewesenen Fall für die Regierung dar, ihren Anspruch auf die höchste Leitungsvollmacht über das Volk praktisch zu rechtfertigen. Heute sitzt man zu Gericht - und wahrscheinlich wird auch entschieden - über den Tod für die Zarenmörder. Der Zar kann ihnen vergeben und, wenn er wirklich seine Verbundenheit mit dem Volk spürt, dann muss er vergeben". Am 1. März 1881 war der Vater des herrschenden Zaren Alexanders III. ermordet worden. Das kam Solov’ev teuer zu stehen. Nur ein devoter Entschuldigungsbrief und die Tatsache, dass sein Vater ein angesehener Gelehrter war, retteten ihn vor Bestrafung und Gefängnis. Solov’ev reicht seine Entlassung aus dem akademischen Dienst ein. 18 Jahre schwieg Solov’ev in der Öffentlichkeit, nur seine Feder ließ er sprechen. "Es begann die Periode in seinem Leben, in der er die Idee der All-Einheit versuchte in einen organisierten praktischen Plan umzusetzen". Auch das war eine Frucht seiner Erkenntnistätigkeit, die ihn von einem früheren Entschluss, Mönch zu werden, abhielt: "Das Mönchtum hatte einst seine große Bedeutung, aber jetzt ist die Zeit gekommen, nicht mehr vor der Welt davonzulaufen, sondern in die Welt zu gehen, um sie umzugestalten". Und um dieses Zieles willen begann für ihn persönlich "eine Unbehaustheit ähnlich dem Nicht-von-der-Welt-Sein".

Erstes Ziel in der Umsetzung der Idee von der All-Einheit war die Vereinigung der Kirchen: All-Einheit = die allgemeine Kirche. Die Trennung der Christenheit in eine östliche (orthodoxe) und eine westliche (katholische) - das ist ein tragischer Fehler der Geschichte, genauer gesagt, eine große Sünde. Alle Menschen, die diese Tragik erfasst haben, müssen beginnen an der Einheit mitzuwirken. Und Russland ums beginnen - das ist seine geschichtliche Vorbestimmung. - Diesem großen Gedanken und dieser "großen Sache" widmete Vladimir Solov’ev fünfzehn Jahre seines Lebens. Wie stellte er sich die mögliche Einheit vor? "Schon seit 1875 forderten mich verschiedene Stimmen im Schlaf, wie auch bei Tage dazu auf: Beschäftige Dich mit Chemie, beschäftige Dich mit Chemie - Ich verstand das anfänglich wörtlich und versuchte es zu erfüllen, aber dann verstand ich, worum es ging", so schreibt er 1883.

Die Einheit der Kirchen soll eine dialektische Aufhebung sein, in der Hegelschen Terminologie ausgedrückt, von Orthodoxie und Katholizismus. Nicht auf mechanischem Wege, sondern sozusagen, Vereinigung auf chemischem Wege, wenn als Ergebnis sich etwas entwickelt, was sich ganz von den sich vereinigenden Elementen unterscheidet: "Irgend etwas auf dem Gebiet dieser Chemie können auch wir vollbringen mit der Hilfe Gottes".

Solov’ev nimmt Kontakt mit Führern der verschiedenen Kirchen auf, ob eine angestrebte Audienz bei Papst Leo XIII stattgefunden hat, ist bis heute nicht bekannt. Die Zeit war jedoch noch nicht reif und so endeten alle Bemühungen Solov’evs in einer Enttäuschung.

Er selbst hatte diese neue Kirche im Geiste gefunden, sah jedoch, dass es den meisten seiner Zeitgenossen schwer fiel, diese Offenheit und innere Freiheit zu leben und den andern zuzugestehen, die für einen solchen Schritt unabdingbar waren.

Vielleicht waren das Motive, die ihn bewogen, sich der Ethik zuzuwenden und eine "Rechtfertigung des Guten" (1897) zu schreiben. "Ich will hier überhaupt nicht Tugend predigen und das Laster entlarven: ich glaube, dass das für einen gewöhnlichen Sterblichen nicht nur eine unnützliche, sondern sogar eine unsittliche Beschäftigung ist, weil sie den ungerechten und stolzen Anspruch, der Betreffende sei besser als andere, zur Voraussetzung hat. Wichtig für uns sind nicht die einzelnen Abweichungen vom rechten Wege, und seien sie noch so stark, sondern wichtig ist nur die allgemeine, entschiedene und entscheidende Wahl zwischen den zwei Wegen der Sittlichkeit, wenn diese Wahl mit voller und klarer Bewusstheit vollzogen wird...Im unbedingten sittlichen Prinzip die innere und allseitige Verbindung zwischen der wahren Religion und einer gesunden Politik aufzuzeigen - das ist der wichtigste Anspruch, den diese Moralphilosophie erhebt....Gleichzeitig verzichtet diese Moralphilosophie ganz entschieden darauf, in irgendeiner Weise Einzelpersonen durch Aufstellung irgendwelcher äußerer und unbedingt festgelegter Verhaltensregeln leiten zu wollen". Es geht Solov’ev auch hier um eine Vision, die nicht zuletzt wieder den ursprünglichen Gedanken der All-Einheit auch in einer allgemeinen Kirche aufgreift. So heißt es im abschließenden großen Kapitel "Die sittliche Organisation der Menschheit":

"Die Katholizität der Kirche - die Grundform der sittlichen Organisation der Menschheit - [Man beachte die schöne Definition von Kirche als "Grundform der sittlichen Organisation der Menschheit!, des Verfassers] ist die bewusste und gewollte Solidarität aller Glieder des universalen Leibes in dem einen unbedingten Ziel der Existenz unter vollster ‘geistlicher Arbeitsteilung’, das heißt unter Teilung der Arbeit unter die Gaben und die Dienste, die dieses Ziel ausdrücken und verwirklichen. Diese sittliche Solidarität unterscheidet sich durch ihre Bewusstheit und durch ihre Freiwilligkeit innerlich von jener natürlichen Solidarität, die wir zwischen den verschiedenen Gliedern eines physischen Organismus wie auch zwischen den verschiedenen Gruppen natürlicher Wesen finden - sie bildet eine wirkliche Brüderlichkeit, in welcher für den Menschen positive Freiheit und positive Gleichheit enthalten ist".

Als Solov’ev 1900, seinem Todesjahr, in prophetischer Sicht schon "das Rollen des Donners" vernimmt, schreibt er in einer genialen Vision "Drei Gespräche über Krieg, Fortschritt und das Ende der Weltgeschichte mit Einschluss einer kurzen Erzählung vom Antichrist". Solov’ev verleiht hier nochmals seinem Credo Ausdruck, dass All-Einheit der Kirchen unter Anerkennung des Petrusamtes möglich ist. "...dann erscheint die ursprüngliche Perle des Evangeliums in ihrer ganzen Reinheit und Pracht, vor der sich alle Völker beugen müssen unter völligem Verzicht auf alles, was sie voneinander trennt, damit das hohepriesterliche Gebet des Heilands sich erfülle, ‘dass alle eins seien’, wie der Vater im Sohn und der Sohn im Vater (Joh 17, 21)". So lautet eine Zusammenfassung aus einem seiner Hauptwerke "Russland und die universale Kirche"(1888).

Mit diesen kurzen und ausgewählten Verweisen muss sich unser biographischer Abriss bescheiden. Nach 100 Jahren und nach dem oftmaligen "Grollen und Donnern", nach vielen Manifestationen des Bösen, erklingen die Worte Vladimir Solov’evs heute neu in Zuversicht auf eine "Rechtfertigung des Guten, des Wahren und Schönen", auf die All-Einheit von Schöpfung und Schöpfer hin. In seinem Leben besticht zum einen die Klarheit der Erkenntnis, wie auch die Konsequenz, für ihre Umsetzung einzutreten ohne Rücksicht auf die eigene Karriere, aber auch mit großer Rücksicht auf die Freiheit derer, die einer solchen Vision noch nicht Folge leisten konnten, ja sie belächelten.

Gott schenkt ja immer wieder solche Visionen, läßt Begeisterung in den Herzen von Menschen aufflammen und diese dann zur Tat schreiten.

Der Begriff der All-Einheit, die Leidenschaft für die Einheit der Kirchen einzutreten, ja diese Einheit auch auf die politische Welt, d.h. letztlich auf alle Menschen auszudehnen, ist ja ein so zentrales Thema der Botschaft Jesu und des ganzen NT, dass es nicht wirklich verdrängt oder unterdrückt werden kann.

Gerade nach den furchtbaren Kriegen, die Solov’ev hat schon heraufziehen sehen, sind starke Bewegungen auf die Einheit hin entstanden sei es auf politischem wie auch spirituell-kirchlichem Gebiet. Einen dieser Aufbrüche, der dezidiert mit dem Wort Einheit verbunden ist, stellt die inzwischen weltweit verbreitete Fokolarbewegung dar.

Gleichsam als eine Frucht aus den Trümmern, aus dem "Donnerwetters" eines Weltkrieges hervorgewachsen, hat sie das Ideal der Einheit auf ihre Fahne geschrieben.

Dieser Krieg hatte endgültig alles zerstört, alle Ideale dieser Welt in Frage gestellt, alle wie auch immer zusammengehaltene Einheit zertrümmert. Chiara Lubich und ihre ersten Gefährtinnen aus Trient in Norditalien sahen unter den Tränen über Zerstörung und Tod die Sterne der Liebe Gottes und einer neuen Zukunft erstrahlen. Gott die Liebe - dieses Ideal kann niemals zerstört werden. Seine Liebe gilt allen seinen Kindern. Wir sind seine Kinder, wenn wir sein Gebot halten, sein Vermächtnis erfüllen: "Liebt einander" und so sollen "alle eins sein".

Altbekannte Worte der Schrift werden zu einer neuen Vision für Kirche und Welt, für die Kirchen und Religionen, ja für alle Menschen guten Willens. Zögernd erst wird der entstehenden Bewegung bewusst, dass Einheit wohl zuerst die katholische Kirche angeht: Einheit unter ihren Gliedern, Einheit mit dem Papst und der Hierarchie, Einheit zwischen allen Gruppen und Institutionen dieser Kirche. Dann aber sind andere Christen da, die mittun wollen, die den Geist der Einheit spüren: Evangelische, Orthodoxe und Anglikaner. Nicht die Anerkennung des päpstlichen Primates steht hierbei im Vordergrund, sondern die liebende Annahme des anderen in seiner Verschiedenheit.

So steht Vladimir Solov’ev nicht mehr allein, der Same seines Bemühens trägt heute in den Herzen vieler Frucht und wird durch Begegnungen, wie wir sie in diesen Tagen erleben dürfen, weitergetragen.