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Theodor Romža - Ein Lebensbild

 

Bei seinem ersten Besuch in San Pastore hielt uns der inzwischen verstorbene Bischof von Ermland, Exz. Maximilian Kaller, eine Ansprache, die mir bis heute unvergesslich geblieben ist. Er kam auf die bekannte Stelle Hebr. 5,1 zu sprechen: "Omnis namque Pontifex ex hominibus assumptus". Der Ton liege auf "hominibus", nicht auf dem "ex". Ein Priester und ein Bischof aus dem Volk und für das Volk war Theodor Romža, aus Munkács, Karpatho-Russland. Ein sehr lieber und sehr treuer Freund war er. Und doch hat seine Freundschaft nie den peinlichen Beigeschmack einer partikulären Vertraulichkeit erweckt. Sie hatte etwas männlich Starkes an sich. Sie war von der selben Art wie seine Begeisterung für Christus und dessen Sache, die ihn als ersten Bischof der jüngsten Germanikergeneration zum blutigen Martyrium führte.

Es war am 30. Oktober 1930, als ich im "alten" Kolleg eintraf und das hinterste Erstjährigenzimmer des berühmten V. Pianos bezog. Berühmt war es nicht nur wegen der Höhe, sondern mehr noch wegen anderer Vorzüge. Bei regnerischem Wetter ließ sich schon am Morgen je nach der Zahl der Wasserstreifen, die an der Zimmerwand herunterliefen, die Intensität des Regens feststellen. Machte ich andererseits beim Zimmerputzen selber zu ausgiebigen Gebrauch mit dem Wasser, so kam schon der nebenan wohnende Duktor, unser lieber Fredybub (Eröss) aus Siebenbürgen, in aller Eile gelaufen, um zu schauen, was passiert sei. In seinem Zimmer habe sich eine Überschwemmung ereignet. Das also war meine Umgebung nach oben und auf der einen Seite. Auf der anderen befand sich ein Herr mit ebenfalls fremdklingendem Namen, aber mit einem noch viel fremder anmutenden Äußern, mit fast mongolenhaft aussehenden Zügen, die mir - offen gesagt- nicht sehr sympatisch waren. Glücklicherweise kann das Äußere täuschen. Das musste ich schon bald feststellen und durfte es später im Kolleg und nachher erst recht erfahren. Unser erster Verkehr im Kolleg vollzog sich zunächst auf französisch. Das slavische Idiom war mir so fremd, wie ihm das deutsche. Das hatte zur Folge, dass er "in ignorantia invincibili" manche Hausregel nicht verstand oder mit einem verschmitzten Augenzwinkern nicht erfassen wollte. So ließ er z.B. bei seinen Besuchen nicht einmal den berühmten einen Fuß in signum legis in den Gang hinauslugen, sondern schob ruhig und selbstverständlich den ganzen Mann ins Zimmer hinein, um mir irgend einen stilechten Kosakentanz und andere akrobatische Übungen vorzuführen oder den damals von Radio und Grammophon, von Lehrlingen und Ausläufern in gleicher Weise in ganz Europa gesungenen, gepfiffenen und abgeleierten Schlager der "Donna Clara" in seinem weichen Slaventenor von der ersten bis zur letzten Strophe auf deutsch vorzusingen. Das waren zunächst seine bedeutenderen Leistungen in der deutschen Sprache; sonst behalfen wir uns immer noch auf französisch. Selbst den ersten Predigtentwurf brachte er in französischer Sprache. Er hatte es übrigens auch bald heraus, wie man sich am besten den wohlgemeinten Änderungsvorschlägen unseres Magisters eloquentiae sacrae gegenüber zu verhalten hatte; nämlich, dass nach zwei oder drei Entwürfen schlussendlich doch der erste Gnade fand. So nickte er zu allen Verbesserungen ein verständnisvolles "Ja" und schrieb nichts, bis er entdeckt wurde.

Sonst unterschied er sich nicht von jedem anderen rechten Germaniker. Seine Frömmigkeit war echt und natürlich. Sein Arbeiten gut und eifrig. Daneben liebte er Musik und Humor und treue Kameradschaft. Nur Zimperlichkeit und Kleinlichkeit konnte er nicht leiden. "Warum sind doch so dumm die Leute", war dann sein entrüsteter Ausspruch. Mit besonderem Geschick gab er sich mit römischen und anderen Lausbuben ab.

Einen großen Kummer hatte Theodor Romža während der ganzen Germanikerzeit. Kaum dass er ins Germanikum eingetreten war, starb sein Bischof und Gönner, der ihn nach Rom geschickt und ihm versprochen hatte, er werde für alle Studienkosten aufkommen. Am 14. April 1911 in Velikij Bočkiv geboren und aus einfachen Verhältnissen stammend, wäre es ihm nicht möglich gewesen, aus eigenen Mitteln ein Auslandstudium zu bestreiten. Sein Vater war nämlich infolge der politischen Verschiebungen des ersten Weltkrieges um seine Stellung als Staatsbeamter (Eisenbahner) gekommen. Zu drei verschiedenen Staaten hatte Karpathorussland nacheinander gehört. Damals im Germanikum hatte er wohl nicht daran gedacht, dass er noch einmal fast dieselbe politische Karussellfahrt verschiedener Staatszugehörigkeiten mitmachen und schließlich als russischer Staatsangehöriger sein Leben beschließen würde.

Dieser Umstand der finanziellen Unsicherheit mag mitbestimmend gewesen sein, dass Romža nach dem ersten Jahr der Theologie ins Russikum übersiedelte. Da er ja von Haus aus dem orientalischen Ritus angehörte, hatte er schon seit einiger Zeit regelmäßig im russischen Kolleg die liturgischen Funktionen mitgemacht. Doch war das nicht der einzige und letzte Grund seiner vollständigen Übersiedlung zu den "barbati". In der Zeit seiner Priesterweihe war es, als er mir einmal gestand, er hätte sich für Russland gemeldet, um mehr für Christus leisten zu können, er sei bereit, auch sein Blut und sein Leben dafür einzusetzen. Wie bald sollte sein Wunsch in Erfüllung gehen! Zunächst schien es allerdings noch anders zu kommen. Sein Bischof hatte ihm vor dem Übertritt ins Russikum zur Bedingung gemacht, dass er ihn nur für die Arbeit in Russland selbst, nicht aber in der Emigration freigebe, mit anderen Worten, dass er nach dem Studium in seine ursprüngliche Heimtadiözese zurückzukehren habe bis zu einer allfälligen Öffnung der russischen Grenzen für katholische Geistliche.

So kehrte Theodor nach dem siebten Jahr in seine Heimat zurück, zunächst um der allgemeinen Verpflichtung des ein Jahr dauernden Militärdienstes nachzukommen. Nach dieser einjährigen Unterbrechung sollte er dann noch einmal nach Rom zurückkehren zur Erlangung des Doktorhutes. Aber es kam die Zeit von "München 1938".

"Anstatt nach Rom zu fahren, musste ich auf Front marschieren. Es war für mich nicht sehr angenehme Überraschung ... Du sollst gehen und vielleicht nie wieder kommen. Rom nie mehr sehen, von den Zielen nichts erfüllt haben, die Freunde nicht besuchen ... Ich sage Dir, es war nicht sehr angenehm. Ich ging aber selbstbewusst, um meine Pflicht zu erfüllen. Diese Entschlossenheit hatte ich, aber trotzdem! Nein, ich hatte keine Angst! Das nicht!"

Drei Wochen dauerte diese unliebsame Zeit. Aber mit Rom war es vorläufig aus. Er bekam zwei Pfarreien zur Verwaltung. "Im besten Fall in Sommer (1939) oder September werde ich meine Reise unternehmen ... Ich wäre schon sehr gerne nach Rom zurückgefahren. Diese Arbeit hier hat fast nichts gemeinsam mit unserer Missionstätigkeit, so dass ich sehe, dass in fünf Jahren wäre aus mir "ein guter Herr Pfarrer im Dorfe!"

Im nächsten Frühjahr (März) erfolgte der Anschluss Karpathorusslands an Ungarn. Diese Tatsache änderte zunächst nichts an der Arbeit unseres Theodor. Im September wollte er, wie geplant, nach Rom zurückfahren. "Im Herbst also hatte ich meinen Pass schon fertig und wollte Dir eine Überraschung machen in Zürich, es ist aber so gekommen, dass ich noch einige Zeit dableiben werde ... Der Bischof braucht Leute und er hat mich gebeten, noch dazubleiben. So wurde ich Spritual und zugleich auch Professor der Philosophie am Priesterseminar in Užgorod (Ungvár), der ehemaligen Hauptstadt Karpathorusslands".

Über seine Tätigkeit als Spritual schrieb er, dass die unruhige politische Lage der letzten Jahre nicht ohne Auswirkung auf das geistliche Leben der Alumnen geblieben sei. "So bemühe ich mich, alle diese schlimmen Einflüsse auszureißen. Die Wunden heilen aber ziemlich langsam. Aber ich vertraue auf Gott. Ich werde arbeiten, soweit ich Kräfte dazu habe..." "Ich regiere mit Entschiedenheit, aber auch mit väterlicher Güte und mache einen tiefen Eindruck mit meinem Bart auf meine Alumnen. Wenn ich zu ihnen spreche, dann sicher denken sie sich, was könnte denn unter diesem Bart verborgen sein". Ja, sein Bart! Was hatte ihn sein erstes Sprossen im ersten Theologiejahr gekostet an Selbstverleugnung unter den Liebenswürdigkeiten seiner bartlosen Gefährten! "Halte dich am Bart, und der Bart wird dich halten!" Dieses etwas abgeänderte Motto nach einem Ausspruch des hochwürdigsten Bischofs Ehrenfried von Würzburg brachte ihm also sehr hurmorvollen Segen: "Heute habe ich das erste Colloquium mit den Erstjährigen. Die armen Kerle zittern. Wahrscheinlich wieder mein Bart macht Eindruck auf sie".

Der Bischof hatte ihm anfänglich die Professuren für Kirchenrecht und Kirchengeschichte zugedacht. Aber Romža glaubte darin zu wenig bewandert zu sein und entschied sich daher lieber für ein spekulatives Fach. Dass er sich im Spekulieren nicht verlor, davor bewahrten ihn sein gesunder Sinn und ein untrüblicher Humor, vor allem aber die Not, mit der er hier fast so viel wie früher auf der Pastoration in Berezovo zu kämpfen hatte. "Ich lebe sehr arm, aber doch glücklich", schrieb er einmal, als er noch Pfarrer war. Doch meinte er, er werde erst Hilfe erbitten, wenn er wirklich in Not sei. Ein Jahr später war es nicht viel besser. "Meine Professur ist nur eine Miseria. Tagtäglich schmeiße ich eine Menge Agenten hinaus, die nicht glauben wollen, dass der "Herr Professor" kein Geld hat". Und nun gesteht er: "Seit zwei Jahren lebe ich wirklich in der Not. Ich habe es niemandem gesagt, aber Dir als meinem guten Freund darf ich es sagen. Als ich noch in meinen Pfarreien war, kam es oft vor, dass ich kein Abendessen oder Frühstück hatte. Jetzt arbeite ich für zwei: Spritual und Philisophieprofessor, aber die Taschen sind leer. Ich jammere nicht, ich arbeite doch nicht für Geld. Ich habe das Geld auch nicht gern, aber für das Nötigste müsste man schon etwas haben". Eine solche Gesinnung lässt sich allerdings nicht nur aus gesundem Sinn und Humor erklären, sondern war sicher nicht zuletzt eine Frucht der mir und sicherlich vielen anderen unvergesslichen Exhorte unseres damaligen Rektors P. Noppel, über die Aussendung der 72 Jünger im Evangelium. Theodor Romža wurde mit der Armut eines echten Christusjüngers bekannt und mit ihr fertig. Seine volle Bereitschaft wurde schon oben gezeichnet. Er hat sie auch später, als seine Pläne immer wieder durchkreuzt wurden, erneuert: "Mir ist es wirklich egal, ob in einer Stadt zu sein oder in der anderen".

Theodor Romža hat seine theologischen Studien nicht als Alumnus des Germanikums beendet. Daher mag es besonders interessieren, wie er sich später zum Kolleg stellte. Vom Russikum aus war er ein häufiger Gast im Kolleg und nahm speziell an den Weihetagen seines Kurses regen Anteil. Und später fehlen fast in keinem Brief besondere Grüße an diese oder jene Germaniker nominatim. Zu einem übersandten Foto meinte er: "Giovanni (Niederer) ist noch immer so mager wie in illo tempore und ich glaube, er wird den Gandhi überholen in der Schlankheit". In einem Punkt war er dem Kolleg besonders verbunden: "In jedem Fall, die Pünktlichkeit, die ich im Germanikum noch gelernt habe, wird von mir am strengsten verlangt ... was ich bei anderen nicht sehe. Meine Pünktlichkeit ist schon fast legendarisch geworden hier in Užgorod; man sagt, dass ich immer eine Uhr in der Hand habe, um auf Sekunde pünktlich anfangen etwas". Wie weit vermag doch das hinreißende Beispiel eines pünktlichen Oberduktors (Haendly) seine Kreise zu ziehen!

Mit 1940 brach seine Verbindung mit seinen Freunden im Ausland plötzlich ab, vermutlich aus Gründen politischer Klugheit. Ein noch am Weihnachtstag 1939 angekündigter Brief erschien nicht mehr und auf alle weiteren Anfragen von verschiedener Seite, kein Lebenszeichen. Auch das Korrespondenzblatt suchte mehrmals angeblich nach seiner Adresse. Eine Nachricht aus Ungarn im Jahre 1942, Romža sei bereits päpstlicher Geheimkämmerer geworden und befinde sich immer noch am alten Ort. Aber wieder keine Antwort. Dann schloss sich der berühmte Vorhang und ließ aus seinen Geheimnissen nur zuweilen eine Notiz durchsickern. So kam mir erstmals über eine englische Agenturmeldung zur Kenntnis, dass Theodor Romža zur Würde eines Bischofs gelangt sei. Erst viel später eigenlaufene Berichte bestätigten das. Nach dem Tode des Munkácser Oberhirten, Msgr. Alexander Stojka, war am 1. Januar 1944 der Bischof der orientalischen Diözese Hajdúdorog, Msgr. Nikolaus Dudás, zugleich auch mit der Verwaltung des Bistums Munkács betraut worden. Als Hilfsbischof wurde ihm am 24. September 1944 vom Heiligen Stuhl Msgr. Theodor Romža zur Seite gegeben. Nach kaum einem Monat erfolgte der Einmarsch der Russen und machte die weitere Verwaltung von Munkács durch Msgr. Dudás unmöglich. So erfolgte die Ernennung Msgr. Romža's zum apostolischen Administrator für Munkács.

Später hieß es, wieder in einer Agenturmeldung, Bischof Romža sei als letzter unierter Bischof nach Osten verschleppt worden. Diese Nachricht stimmte jedoch nicht. Wahrscheinlich hatte man ihn einzig deshalb noch geschont, in der stillen Hoffnung, den jugendlichen Bischof durch Versprechungen und Schmeicheleien zum Anschluss an das Moskauer Patriarchat zu gewinnen. Diese Hoffnung zerstörte Bischof Romža gründlich. Seine bestimmte und kurze Antwort auf alle diesbezüglichen Pläne und Drohungen hieß stets: "Eher den Tod als Verrat des wahren Glaubens". Im Gegenteil, er ging zur Offensive über, indem er in besonderer Weise auf die Rückgewinnung weiter orthodoxe Kreise bedacht war.

In diesem Zusammenhang war es, dass im Herbst 1947 plötzlich die Meldung von seinem Tode infolge eines mysteriösen "Unfalls" kam. Nach neuesten Berichten aus sehr zuverlässiger Quelle durfte Bischof Romža am 26. Oktober 1947 die Krönung seines Episkopates erleben: Es war dies der Tag, an dem er ein ganzes Dorf mit über 8000 Einwohnern, Veliky-Loučky, das nach dem ersten Weltkrieg mit noch etwa 50.000 Ruthenen in das Schisma zurückgefallen war, wieder in den Schoß der Kirche aufnehmen konnte. Dies geschah in feierlicher Weise mit Einweihung der Kirche.

Als aber am anderen Tag der Bischof mit einigen Begleitern in einem Pferdewagen nach Munkács zurückfuhr, wurde das Fahrzeug plötzlich von einem entgegenkommenden russischen Geländewagen schwer angefahren. Es wurde auch auf den Bischof geschossen, wie die spätere Untersuchung der Verletzungen erwies. Schwer verletzt wurde er mit seinen Begleitern von herbeieilenden Leuten geborgen und in das Spital von Munkács gebracht, wo am große Hoffnung auf Genesung hegte. Einige Tage später aber, als die Todesgefahr bereits vorbei war, wurden plötzlich auf Befehl von oben der ukrainische Direktor und die katholische Krankenschwestern entfernt. Am Tag darauf, Allerheiligen 1947, wurde dann von der neuen Leitung mitgeteilt, dass der Bischof und sein Begleiter ihren Verletzungen erlegen seien. Auf Anordnung der Polizei wurden die getroffenen Vorbereitungen zum Begräbnis abgebrochen und die Leiche nach Užgorod überführt. Über 30.000 Gläubige nahmen an der Beisetzung teil. Obwohl während zwei Tagen der Verkehr auf der Bahn wie auf den Zufahrtsstraßen unterbrochen worden war, waren sie aus allen Teilen Karpathorusslands zusammengeströmt, um von ihrem geliebten Oberhirten Abschied zu nehmen und ihm ihre letzte Liebe zu bekunden.

Theodor Romža war bereit, sein Leben für Russland zu opfern. Nicht mit Pathos hat er es angeboten, sondern schlicht und selbstverständlich und ganz sicher auch manchmal mit menschlichem Bangen. Zweimal ließ er das schon im Jahre 1939 durchblicken: "Das weißt Du, dass wir gemeinsame Grenzen haben (nach der Angliederung an Ungarn) mit den Bolschewiken. Es ist nicht gerade trostvoll. Der liebe Gott wird uns aber behüten". Sein Opfer wurde angenommen. Möge es Russland und uns allen Segen bringen!


Korrespondenzblatt
für die Alumnen des Collegium
Germanicum + Hungaricum
Juni 1949