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Göttingen St. Johannis
Pfingstmontag, 12. Mai 2008

 

Der Ablauf
des Gottesdienstes

 

Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit,
der wird euch in die ganze Wahrheit führen

Joh 16,13a

Das ist der Predigttext. So steht es auf unserem Liedblatt. Ist das Wort Predigt hier richtig in der Ordnung unseres wunderschönen Gottesdienstes? Hat uns nicht eben Johann Sebastian Bach mit Chor und Orchester eine gewaltige Predigt gehalten? So möge meine Worte jetzt Worte der Verbindung sein.

Die katholischen und viele evangelische Schwestern und Brüder in Deutschland halten sich gern an das Wort Martin Luthers im Kleinen Katechismus: des Morgens, so du aus dem Bette fährst, magst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes. Dieses Kreuzzeichen ist das griechische Chi das "X" - der Anfangsbuchstabe von "Christus". Stellen wir uns gemeinsam unter diesen Lebensbaum, von dem uns der Geist des Lebens gesandt ist, bekreuzigen wir uns alle gemeinsam im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Es ist der Geist, der Martin Luther und uns in diese Wahrheit führt, die nicht eine Theorie ist, sondern eine Person, eben der ganze Christus in Haupt und Glieder. Ich bin der Weg und die Wahrheit …

Vor einer Woche bin ich aus Rom zurückgekommen von einer Reise mit den lutherischen Pastoren des Kirchenkreises Rhauderfehn unter Leitung von Superintendent Gerd Bohlen. Eine Reise auf den Spuren des Ephorenkonventes des Sprengels Göttingen mit Regionalbischof Dr. Krause, auf den Spuren der Pastorenkonferenz der Baptisten um Pastor Dobutowitsch in Stade. Eine Reise, die uns in manche Wahrheit geführt hat, die uns Pfingsterlebnisse geschenkt hat, geisterfüllte Einheit in der Vielfalt des Glaubens.

Der erste Besuch in Rom gilt der Basilika des heiligen Paulus, des Völkerapostels. Weil er in Rom gepredigt hat, hat die Gemeinde von Rom eine besondere Aufgabe für die Einheit der Christen, sagt das älteste schriftliche Zeugnis für diese Aufgabe "weil in Rom Paulus gepredigt hat und enthauptet wurde". Von allen Enden der Erde besuchen Menschen die Basilika St. Paul, erleben Ökumene und Konfessionsökumene mit der Tradition von fast 2000 Jahren und Ökumene und Konfessionsökumene mit der weltweiten Gegenwart des Heiligen Geistes, verstehen die Bilder in ihrer Sprache und Tradition als Kunde der Großtaten Gottes.

Wir alle wissen, dass "weltweit" auf griechisch oikouméne heisst oder katholiké, "allgemein", und nichts zu tun hat mit unseren heutigen angeblichen Konfessionsbezeichnungen. "Wo Christus ist, da ist die katholische Kirche" schreibt Ignatius von Antiochien hundert Jahre nach der Enthauptung des Paulus. "Was überall, was immer und von allen geglaubt wird, das ist eigentlich katholisch" schreibt Vinzenz von Lerin um 450.

Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit,
der wird euch in die ganze Wahrheit führen

(Joh 16,13a)

Eine Wahrheit, die gerade Rom-Besucher aus Deutschland überrascht und manchmal erschreckt: wir deutschen Katholiken sind nur 2 % in dieser ökumenischen Gemeinschaft, die man in Deutschland "römisch-katholische Kirche" nennt. Es gibt noch 98 % andere Katholiken mit ganz anderen Sensibilitäten, mit ganz anderen Formen der Frömmigkeit, mit anderen Voraussetzungen beim Hören auf Verlautbarungen des Papstes.

In Rom merkt man bei jeder Konferenz, Synode, beim Rundgespräch, bei jeder Übersetzung merkt man die babylonische Sprach- und Sprechverwirrung, und staunt, wie pfingstliche Einheit möglich ist bei so schwieriger Kommunikation. Das kann nur die Einheit des Heiligen Geistes sein.

Die katholische Kirche ist keine Konfession, sondern eine communio von Kirchen, ein ökumenischer Rat von vielen Mitgliedskirchen, Einheit in der Vielfalt, versöhnte Verschiedenheit, eine bunte ACK. Das wird besonders deutlich bei der sogenannten Papstaudienz am Mittwoch, einer ökumenischen Andacht auf dem Petersplatz oder in der Aula Nervi eine Lesung aus der Heiligen Schrift, eine Auslegung durch den Papst in italienischer Sprache, Vaterunser und Segen. Zwischendurch aber werden alle anwesenden Gruppen und Pilger und Gemeinden aufgerufen und vorgestellt, sie hören die Auslegung nochmal verkürzt in ihrer Sprache, spanisch, französisch, deutsch, englisch, russisch, kroatisch, slowenisch, slowakisch, …

Das ist das eigentlich Schöne und Wichtige an dieser Andacht. Da wird das Wort des Lebens des heiligen Paulus im Brief an die Philipper groß "ihre Namen stehen im Buch des Lebens", (4,3), sie sind der Ganze Christus, in den uns der Geist der Wahrheit führt. Gerade diese gemeinsame Andacht auf dem Petersplatz lässt uns spüren, wie sehr die Einheit unter den verschiedenen Mitgliedskirchen dieser Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen ACK "Katholische Kirche" gewachsen ist in den 2000 Jahren Christentum, besonders in den letzten 150 Jahren.

Die Einheit der Christen war nie so intensiv wie heute, sagte der Ökumenische Patriarch Bartholomaios bei seinem Besuch in Deutschland 1993. Der Geist der Einheit wirkt gewaltig und reißt die Mauern nieder. Jetzt sind fast alle Kirchen Freikirchen geworden - nicht mehr unter staatlicher Oberhoheit. Es ist unrealistisch, heute noch das Trennende zu beklagen anstatt das Verbindende wahrzunehmen. Die Einheit unter den christlichen Kirchen war nie so groß wie sie heute ist. Etwa zwei Drittel aller Christen gehören zum Ökumenischen Rat "Katholische Kirche", und weitere 20 % sind im Ökumenischen Rat Genf.

Konrad Raiser schreibt als Generalsekretär des Ökumenischen Rates Genf "… die römische Kirche hat in Struktur und Selbstverständnis den Charakter einer weltweiten Gemeinschaft erhalten. Im Protestantismus tauchte die Frage der Einheit als Folge der Missionsbewegung auf … Die Gemeinschaft aller an Christus Glaubenden und Getauften geht jeder geschichtlichen Verwirklichung und Strukturierung der communio auf lokaler und universaler Ebene voraus." (Wir stehen noch am Anfang. Ökumene in einer veränderten Welt. Gütersloh 1994, S. 30. Anm. 17 verweist auf die Schluss-Erklärung von Basel 1989). Wirken des Heiligen Geistes!

Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit,
der wird euch in die ganze Wahrheit führen

(Joh 16,13a)

Johann Sebastian Bach hat es uns eben eindrücklich gepredigt, und Chor und Orchester haben es uns zum doppelten Dankgebet gemacht. Was sagt uns Johann Sebastian Bach? Sieben Geistesblitze habe ich gesehen:

  • Der Heilige Geist hat die Wunden der Trennung geheilt, nach und nach in zwei Jahrtausenden hat er uns zusammengeführt.
  • Jeder von uns ist "Tempel Gottes"
  • Jeder von uns ist "heilige Hütte"
  • "mein Herz ist Gottes Herz"
  • "wer kann ein größeres Heil erwählen?"
  • "Gott wohnt in uns mit Heil."
  • "jeder von uns ist Heiligtum".

Darum schreibt die "heilige Hütte" Paulus an die Heiligen in Rom und Korinth und Ephesus… und ich stehe vor den Heiligen von Göttingen. Darum schreibt die "heilige Hütte" Martin Luther, wir sollen Maria und die Heiligen anrufen, denn sie sind heil gemacht von Gott, sie tun nichts, Gott tut alle Dinge. Anrufen soll man sie, dass Gott um ihretwillen gebe und tue, was wir bitten, damit, ja gewiss das Werk immer ganz allein Gottes Sache bleibe.

Darum sagt die "heilige Hütte" Erzbischof Hélder Câmara: die meisten Menschen auf diesem Erdball haben nie eine andere Chance, das Evangelium kennen zu lernen als durch das Lebenszeugnis gläubiger Menschen - unser Zeugnis als Heilige, aus Gnade geheilt.

Darum reden die orthodoxen Schwestern und Brüder ihre Priester mit "Eure Heiligkeit" an, die Ehefrauen der Priester und die Ordensschwestern mit "Heilige Mutter" und die Ordens-Brüder mit "Heiliger Vater" Darum hörte ich in einer Pfingstpredigt in Italien, wir sollten uns alle mal ein Jahr lang mit dem heiligen Paulus als "Eure Heiligkeit" anreden, um uns bewusst zu machen, dass unser Heil nur und ganz allein von Gott kommt. "Guten Morgen, Eure Heiligkeit!"

Katholizität, Ökumene, also etwas Selbstverständliches, wenn auch nicht immer Sichtbares in der allgemeinen Kirche. Das Faszinierende ist, dass diese Katholizität seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch in den protestantischen Kirchen bewusst wird, zunächst durchaus gegen Rom. 1846 wird die "Evangelische Allianz" gegründet auf einer Tagung in London von 921 Christen aus verschiedenen Kirchen. Grundlage war die Erkenntnis dieser 921, dass wir durch Jesu Gebet um die Einheit seiner Jünger die uns von Gott geschenkte Einheit auch über die Konfessionen und Gruppen leben dürfen.

Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit,
der wird euch in die ganze Wahrheit führen

(Joh 16,13a)

Die "Fünf Antworten" aus Rom vom Sommer 2007 zur Frage der Kirche unterstreichen, dass es weiter geht mit der Weitervereinigung, und keineswegs eine Ende des Ökumene-Engagements zu sehen ist, wie es manche Traditionalisten in den katholischen Kirchen nach der Wiederzulassung des bis 1973 gültigen Ritus der Messe erhofften. Sieben Geistesblitze sehe ich da, unmissverständlich sagen die Antworten:

  • "das Zweite Vatikanische Konzil hat zur Erneuerung der katholischen Ekklesiologie beigetragen…"
  • "die Identifizierung der Kirche Christi mit der katholischen Kirche bedeutet nicht, dass etwa außerhalb der katholischen Kirche ein kirchliches Vakuum ist"
  • "die Kirche ist offen für das besondere ökumenische Anliegen, den wirklich kirchlichen Charakter und die wirklich kirchliche Dimension der christlichen Gemeinschaften anzuerkennen, die nicht in voller Gemeinschaft mit den katholischen Kirchen stehen."
  • "außerhalb dieses sichtbaren Subjektes gibt es echte kirchliche Wirklichkeit"
  • "wir müssen immer wieder erinneren, dass in diesen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaft zweifellos die Kirche Christi gegenwärtig ist"
  • "wegen der Heiligung und der Wahrheit, die in ihnen sind, ist in ihnen zweifellos die Kirche Christi gegenwärtig".
  • das ist die Beschreibung dessen, was im 2. Vatikanischen Konzil "subsistit in" heißt

Johann Sebastian Bach hat es uns bekräftigt. Ich bin fest überzeugt, dass sich heute das Wort erfüllt hat "Der Heilige Geist wird euch in die ganze Wahrheit führen" - nämlich in Christus, der in uns lebt, "in ihm leben, weben und sind wir". (Apg 17,28)

Der Heilige Geist führt uns hinaus ins Weite. Nicht zurück. Das Wort "Rückkehrökumene" passt überhaupt nicht: Denn: Zu Jesus Christus brauchen wir nicht zurück zu kehren, der Geist führt uns in Christus, lehrt uns auch alles das, was der Jesus Christus der Evangelien seinen Jüngerinnen und Jüngern noch nicht sagen konnte. Denn: Zur Einheit können wir nicht zurückkehren, weil es noch nie so viel Einheit gab wie heute. Ebenso unrealistisch wie "Rückkehrökumene" ist das Wort "Wiedervereinigung". Bischof Paul Werner Scheele hat an seinem 80. Geburtstag im April seinen Beitrag überschrieben mit dem Wort "Weitervereinigung". "Weitervereinigung" ist unser ökumenischen Tun, ist das Wirken des Geistes.

Zum Schluss meiner Bemerkungen zu Johann Sebastian Bachs großer Predigt eine Bitte um Gebet:

Dass der Heilige Geit uns noch viel lehren wird, darauf vertraue ich im Blick auf ein ökumenisches Problem, das gerade in diesen Wochen neu aufkommt. Es bezieht sich nicht auf die Ökumene zwischen den lutherischen, katholischen, baptistischen, mennonitischen, methodistischen Gemeinden, Kirchen in unserem Bistum Hildesheim, also nicht auf Konfessions-Ökumene, sondern auf die Ökumene unter den katholischen Ortsgemeinden, Kirchen. Zwischen den katholischen Ortsgemeinden kommen neue Spannungen auf durch die Zusammenlegung von Gemeinden, durch die Schließung von Kirchen. Da steht nicht mehr die Einheit der Kirche im Vordergrund, sondern manches sektiererisches Eigeninteresse, Spannungen und Spaltung kommen auf. Das weltweite allgemeine kommt ins Hintertreffen, sagen wir es griechisch: das katholische.

Lassen Sie uns darum gleich mit Michael Schirmer beten im Gemeindelied aus dem Evangelischen Gesangbuch Nr. 130, "dass wir in Glaubenseinigkeit auch können alle Christenheit dein wahres Zeugnis lehren." Durch die Wahl der Melodie von "Wie schön leuchtet der Morgenstern" haben uns die Mütter und Väter des Glaubens eindrucksvoll deutlich gemacht, dass Christus der Geist ist. Wir müssen nicht aus eigener Kraft Zeugnis geben, Christus tut es in uns, das ist unser gemeinsames Glaubensbekenntnis, im letzten Vers des Schlussliedes bezeugen wir es noch einmal einander: "da schreitet Christus durch die Zeit in seiner Kirche Pilgerkleid Gott lobend: Halleluja".